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# taz.de -- Beobachtungen von der Berlin Art Week: Lauwarm mäkeln übers post-…
> Wie steht’s, Kunststadt Berlin? Eine Woche feierte jetzt die Berlin Art
> Week die Kunstszene der Stadt. Anlass, ein paar Beobachtungen zu machen.
Bild: Blick in die Ausstellung „Maximal“ in einem Kreuzberger Kunstatelier,…
## Bedrängen und verdrängen
Es ist eine Geschichte, die schon die Nebelkrähen von den Berliner
Baustellengerüsten krächzen: Eine Künstlerin verliert ihr Atelier. Muss
ausziehen, weil die Kreuzberger Remise, in der es sich befindet, luxuriösen
Eigentumswohnungen weichen soll. Die Künstlerin, ihr Name lautet Cathrin
Hoffmann, beschließt, ihre Räume noch einmal zu nutzen. Maximal. Tut sich
mit einer weiteren, Sophia Süßmilch, zusammen, lädt rund 40
Künstler*innen ein. Bekannte Namen sind darunter, [1][Christian
Jankowski] etwa, Gregor Hildebrandt oder [2][Selma Selman]. Organisiert
eine Gruppenausstellung samt Performanceabend, die dann für die Sektion
„Featured“ der Berlin Art Week ausgewählt wird.
Zwischen all dem, was man sich da anschauen kann, ist „Maximal“, wie
Hoffmann und Süßmilch die Ausstellung genannt haben, die wohl größtmögliche
Zumutung. Irre wild, irre gut. Bild neben Bild, dicht an dicht auf weiß
gestrichener Strukturtapete. Aneinandergeschobene Skulpturen. Eine
Videoarbeit im Wandschrank. Voreinander, hintereinander, übereinander sind
kleine und große Arbeiten in drei Räumen platziert. Wo zuerst hingucken
oder wohin überhaupt? Die Kunst bedrängt und verdrängt sich gegenseitig.
Wie das ja eh im Kopf stattfindet, wenn man [3][während der Art Week] mehr
anschaut, als man aufnehmen kann. Das Schärfste aber ist, dass manche der
Werke bei „Maximal“ erst gar nicht zu sehen, sondern unter den hübsch
drapierten Falten eines Tuchs verborgen sind. Sichtbarkeit, die Währung der
Kunst, einfach mal auszuhebeln, das muss man sich trauen.
Die andere Währung, der schnöde Euro, drängte sich gleich zu Beginn der
Berlin Art Week in den Vordergrund, als Gerüchte hochkochten, deren
Finanzierung und damit auch Existenz sei akut gefährdet. 2025 hatte die Art
Week, veranstaltet von Kulturprojekte Berlin, 300.000 Euro Förderung vom
Kultursenat, 150.000 Euro vom Wirtschaftssenat und eine nicht öffentliche
Summe von privaten Sponsoren erhalten. Im neuen Haushaltsplan waren die
300.000 Euro nicht mehr aufgeführt. Eingespart wie so vieles. Entwarnung
kam von Mona Stehle, der künstlerischen Leiterin der Art Week: Sowohl
Kultur- als auch Wirtschaftssenat hätten zugesichert, die Veranstaltung
weiterhin zu unterstützen, erklärte sie der taz, sprach von „positiven
Signalen“. Nur die Höhe der Förderung stehe noch nicht fest.
Dennoch schwebte die Frage nach dem Geld noch nie so deutlich über allem
wie in diesem Jahr, in dem zeitgleich die erste Lesung des Doppelhaushaltes
2026/27 stattfand. Und mit dieser auch die ersten großen Proteste gegen die
geplanten Kürzungen, die nicht nur die Kultur betreffen, die freie Szene,
die Künstler*innen der Stadt aber recht deutlich und auf vielen Ebenen.
Auswirkungen wird das haben auch auf die Berlin Art Week, so oder so. Deren
Stärke ist es schließlich, dass dort die große Institution und das kleine
Projekt, auch wenn das wie „Maximal“ einmal größer ausfällt,
gleichberechtigt nebeneinandersteht. Auch stehen muss, denn ohne das eine
kann es das andere nicht geben. Beate Scheder
## So post-cool
Ist Berlin etwa nicht mehr cool? Um diesen Abgesang auf die internationale
Künstlerstadt anzustimmen, der gerade so viel aus englischsprachigen
Kunstkanälen tönt, bot während der Berlin Art Week die große Werkschau von
Mark Leckey in der Julia Stoschek Foundation wohl den besten Anlass. Schon
als Sammlerin Stoschek die Presse begrüßte, stichelte sie noch ein wenig
die klammen Berliner Kulturhäuser. Warum der Brite Leckey,
Turner-Prize-Gewinner, ausgerechnet in ihren privaten Hallen seine erste
Einzelaufstellung in Berlin erhält.
Die Schau selbst ist super, um nicht zu sagen cool. Mit Leckey begibt man
sich auf einen dunklen, berauschenden Trip. Flackernde Lichter, tiefe
Bässe, im betongrauen Keller begegnet man einem glatzköpfigen bleichen
Tänzer auf einer Projektion. Der bewegt sich so irre. Mal zuckt er, mal
schüttelt er seine Gliedmaßen, als könne er sie abwerfen. Das Tageslicht
brennt in den Augen, wenn man wieder rauskommt aus dem ostmodernen Bau auf
die Leipziger Straße. Bei Leckey geht es um den Rave und den Kater danach,
um Rausch und Ernüchterung.
Über die Ernüchterung von der lange so berauschenden Hauptstadt schrieb
kürzlich der in Berlins Kunstszene recht umtriebige, aus Irland kommende
Autor und Kurator John Holten im Magazin Spike. Die einst freie Kunststadt,
ihr „cosmopolitan nowhere“, leide unter einer neoliberalen Sklerose, habe
sich bei einem konservativen Backlash in der Politik, den Mieterhöhungen
und den [4][Kulturkürzungen] zu einem sehr deutschen Ort entwickelt. Was
sie besonders provinziell mache? Die Reaktionen der öffentlichen
Institutionen auf den 7. Oktober. Hashtag „Staatsräson“ und [5][„Zensur�…
Letzteren träufelte auch der viel gelesene US-amerikanische Kunstkritiker
Pablo Larios in seine Besprechung der [6][Berlin Biennale], die er kurz vor
Eröffnung der Art Week veröffentlichen ließ, so als Einstimmung zur
Kunstwoche.
„Zensur“, dieses Label klebt hartnäckig an der englischsprachigen
Kunstkritik über Berlin. Das läuft aber eher ins Hohle, wenn man mal
genauer wissen will, ob und wo Zensur wirklich stattfindet. Als eine
blickverstellende „Erwartung der internationalen Presse“ beschrieb Axel
Wieder, Direktor der Berlin Biennale, den prosperierenden Zensur-Vorwurf
auf einer üppig besuchten Diskussionsveranstaltung in Stoscheks Räumen mit
dem Titel „Post-Cool Berlin?“, lauwarm moderiert von jenem Pablo Larios.
Die [7][Künstlerin Henrike Naumann] deutete es beim Panel vielmehr als
„Misstrauen zwischen Künstlerschaft und Institutionen“, das sich nach der
großen Verunsicherung des Kulturbetriebs im Winter 2023 entwickelt hat.
Souveräne, gut finanzierte öffentliche Einrichtungen könnten das wieder
abbauen.
„Alle sagen, dass sie gehen, am Ende macht’s keiner“, entlarvt der
designierte Volksbühnenintendant Matthias Lilienthal an anderer Stelle die
Diskussion um die coolste Kunststadt. Also doch alles dufte in Berlin? Wie
gut sich hier immer noch High und Low, freie Szene, Museen, private
Stiftungen und Galerien treffen, das zeigte diese Art Week schon. Die
Immobilienwirtschaft muss aufpassen, dass es so bleibt. Sophie Jung
## So muss das sein
Der Notizblock ist weg. Muss verloren gegangen sein, als Fred Rubin zum
Abschied gesagt hatte: „Glück ist, wenn Gott gerade nicht hinschaut.“
Am Samstagabend fand der zweite Teil des Festivals statt, [8][das vom
Berliner Label Grzegorzki Records in den Wilhelm Hallen ausgerichtet
wurde]. Dort werden großformatige Arbeiten von Künstlern Berliner Galerien
ausgestellt, darunter Werkgruppen wie die Bilder von Viktoria Binschtok.
Sie basieren auf Fotos, die Männer hinter und neben religiösen Führern und
Staatslenkern zeigen. Aufmerksam halten sie nach Attentätern Ausschau.
Wer zur Musik will, kommt an diesen Bildern vorbei. In der hintersten Ecke
über dem Eingang zu einer versteckten Halle, dem Blinddarm des Komplexes,
leuchtet in Pink ein Neonschild mit dem Namen des Labels. Der Berliner
Künstler Gregor Hildebrandt hat es gegründet, nachdem er vor einigen Jahren
die Münchner Band Paar gehört hatte. So entstand die erste Veröffentlichung
auf weißem Vinyl. Nur eine Seite hat eine Rille, vier Stücke wurden auf die
Scheibe geschnitten. Das Cover hat Hildebrandt zusammen mit der Band
entworfen.
Als wir ankommen, spielen gerade die Die Hektischen Flecken, danach Yaneq,
Paar, Stabat Kater und schließlich Special Guest Stephan Eicher. Der hatte
den Sound von Paar für gut befunden, aber gefragt, warum die jungen Leute
so alte Musik spielen? Die Antwort könnte lauten: Weil sie in der alten
etwas finden, das ihnen die neue nicht geben kann. Eicher nahm die
jugendliche Herausforderung an und spielte Songs, die er vor seinem 27.
Lebensjahr komponiert hatte. Material von „Stephan Eicher spielt Noise
Boys“ von 1980, einige legendäre Stücke von Grauzone und Lieder aus den
Soloalben.
Los ging’s mit „Eisbär“, den Eicher aber gleich wieder unterbrach, weil …
vergessen habe, darauf hinzuweisen, dass damals sein Bruder Martin den
„Eisbär“ gesungen hatte. [9][Vor Grauzone hatten Martin Eicher und Marco
Repetto, die Mitgründer von Grauzone, in der Berner Punkband Glueams
gespielt, während Eicher Kunst studierte].
Stephan Eicher bediente konzentriert und entspannt seine Geräte und hängte
sich dazu eine Gitarre um. Klassiker wie „MiniMiniMiniJupe“ oder „Der Weg
zu zweit“ knallten wie eh und je, wobei er sie so spielte, wie man heute
Musik produziert, er interpretierte sich also selbst. Es zählen nicht die
Erinnerungen, sondern was man damit macht. Einige Kids tanzten dazu eine
interessant anzusehende Form von Neo-Pogo.
So kantig und kalt die Musik von Grauzone war, aus ihrer Liebe zu
sehnsüchtigen Pop-Melodien hat sie nie einen Hehl gemacht. Die Leute in der
Halle feierten Eicher dafür, was ihn freute, aber auch ein bisschen
amüsierte, weil er in Berlin noch nie so begeistert empfangen worden sei.
Zugaben gebe er üblicherweise nicht: „Wenn’s vorbei ist, ist’s vorbei.“
Euphorisiert machten wir noch halt im Café Pförtner in der Uferstraße, das
wegen des neuen Besitzers des Areals, einer der Zalando-Brüder, in Kürze
schließen muss. Kurz davor oder danach muss der Block mit den Notizen
verloren gegangen sein. Wie heißt es so schön in einem von Stephan Eichers
Liedern: „Kräftig hassen, zärtlich lieben, etwas finden, um es zu
verlieren.“ Ulrich Gutmair
15 Sep 2025
## LINKS
[1] /Ausstellung-ueber-Waren-und-Kirche/!5964156
[2] /Kunst-Klasse-Geschlecht/!5980105
[3] /Projekt-mit-Saengerin-Patti-Smith/!6110106
[4] /Berlin-spart-an-der-Kultur/!6048501
[5] /Antisemitismus-in-der-Kultur/!6018208
[6] /Berlin-Biennale-eroeffnet/!6093833
[7] /Deutscher-Pavillon-in-Venedig-2026/!6090594
[8] https://grzegorzkirecords.com/
[9] https://www.ox-fanzine.de/interview/grauzone-6681
## AUTOREN
Beate Scheder
Sophie Jung
Ulrich Gutmair
## TAGS
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