| # taz.de -- Ausstellung von Erik Schmidt: Ein durchschnittlicher Mann von Welt | |
| > Bezugsrahmen eigenen Schaffens: Im Kindl-Zentrum Berlin verweist mit „The | |
| > Rise and Fall of Erik Schmidt“ ein Künstler auf sich selbst. | |
| Bild: Der Künstler in seinem Element: Erik Schmidt „Suitwatchers Anonymous�… | |
| Ein Mann will nach oben. Er schiebt sich an Häuserfassaden hoch, Wände und | |
| Gitter rauf. Klettert auf Bäume, Anhöhen und Zäune. Weit kommt er aber | |
| nicht, egal wo er anfängt, sein absurder Parcours führt nirgendwohin. An | |
| den generischen Neubauten, die er zum Großteil zu erklettern versucht, | |
| findet er keinen Halt. | |
| Die Stadt ist Berlin, man erkennt sie an Plätzen, Straßen, [1][der | |
| Architektur], Kunstwerken. Etwa an jenen merkwürdigen künstlichen Palmen, | |
| die vor dem Gebäude des Bundesnachrichtendienstes, wie es auf dessen | |
| Website heißt, „für Ferne und fremde Kulturen stehen“ sollen. Glatte, | |
| seelenlose Dinger, an denen der Künstler Erik Schmidt, von dem die | |
| Videoarbeit „The Bottom Line“ stammt, gar nicht erst Hand oder Fuß anlegt. | |
| Fährt man mit dem Aufzug nach oben in den zweiten Stock des Kindl – Zentrum | |
| für zeitgenössische Kunst in Neukölln, ist „The Bottom Line“ die erste | |
| Arbeit, auf die man in Schmidts Einzelausstellung blickt. Und bei der man | |
| gleich mitten drin steckt in Schmidts Kosmos. | |
| ## Zwei Protagonisten an einem Ort | |
| Vor allem auch stellt sie die beiden wichtigsten Protagonisten seines Werks | |
| und der Ausstellung vor, als da wären der Künstler selbst und Berlin. „The | |
| Rise and Fall of Erik Schmidt“ – so der Titel der Schau – führt | |
| gewissermaßen genauso Aufstieg und Fall der Stadt vor Augen, durch die | |
| Schmidt sich bewegt, als Mensch, als Flaneur, als Künstler, und die immer | |
| wieder Schauplatz seiner Arbeiten ist: Berlin. Er hat sich die Hauptstadt | |
| über die Jahrzehnte angeeignet. | |
| Geboren ist Erik Schmidt in der westdeutschen Provinz, in Herford, 1968. | |
| Erst studierte er in Hamburg an der HfbK (1992-1997), dann an der | |
| Universität der Künste Berlin (1998–2000). Malerei und Illustration waren | |
| das zunächst, und so verfolgt Schmidt in seiner künstlerischen Praxis zwei | |
| Pfade – warum auch nicht? Er ist ebenso Maler wie Videokünstler. Nähert | |
| sich von zwei Seiten seinen Themen und Motiven an. | |
| Die Ausstellung im Kindl ist nicht chronologisch aufgebaut. Kurz vor dem | |
| Ende des Rundgangs geht es zurück zu den Anfängen, in die 1990er Jahre. Zu | |
| [2][Pilli auf die Mönckebergstraße] zum Beispiel, von der Schmidt in seinem | |
| ikonischen Video „I love my hair“ (1997) erzählt, davon, wie dieser | |
| zwischen den Models auf den Werbeplakaten die Selbstzweifel über die Ohren | |
| wachsen. | |
| ## Am Haupthaar ergötzt | |
| Er tut das, während er sich auf der Bildebene überdreht am Schwung des | |
| eigenen Haupthaars ergötzt. Oder zu der herrlich ironischen Videoarbeit | |
| „Einzelgruppe Berlin“ (1995), einem Gemeinschaftswerk von Schmidt mit | |
| Corinna Weidner, in dem sich aalglatte Fuzzis aus der Medien-Kunst-Blase in | |
| Plattitüden suhlen. Schöne junge Menschen mit auf Hochglanz poliertem | |
| Zahnpastalächeln verlieren sich in Posen, erzählen von Hypes und Trends und | |
| Projekten. Vielleicht macht es heute sogar noch mehr Spaß, sich das | |
| anzusehen als damals, in jener Zeit, als Berlin noch cool war. | |
| Da schon, wie auch später, scheint Schmidt sich in seinen Videoarbeiten | |
| seinen Platz in der Welt zu suchen – oder auch einfach einen Parkplatz wie | |
| in „Parking“ (2000). Er tritt auf als Individuum und Stellvertreter, | |
| Versuchskaninchen für das Austesten von Grenzen und Freiheiten der | |
| Subjektivität. | |
| Noch lieber seziert er dafür speziellere Gruppen, männlich geprägte | |
| Jagdgesellschaften etwa, wie er sie aus seiner ostwestfälischen Heimat | |
| kennt. Untersucht dort wie anderswo, was es heißt, ein Mann zu sein. Ein | |
| Mann von Welt – oder doch einfach nur Durchschnitt, wie er es in „Fine“ | |
| durchdekliniert, nach dem er sich das gute italienische Olivenöl über den | |
| Kopf gegossen und mit Meersalz den Anzug abgerieben hat. | |
| ## Anonyme Anzüge | |
| Ein Mann mit Funktion oder mit einem Auftrag, auch das, was man seit ein | |
| paar Jahren toxische Männlichkeit nennt. Männeranzüge oder Männer in | |
| Anzügen, noch so ein Erik-Schmidt-Topos. Gemalt und gezeichnet hat er die. | |
| Sich selbst darin inszeniert. Als gesichtsloser Geschäftsmann etwa, der in | |
| „Suitwatcher’s Anonymous“ einen gepolsterten Bürostuhl auspeitscht, bis … | |
| Daunen fliegen. | |
| Äußerlichkeiten, Oberflächen und das, was sich darunter befindet, darum | |
| geht es oft auch in seiner Malerei. Übermalungen sind dort eine seiner | |
| Spezialitäten. Seine Ölgemälde gleichen Skulpturen, [3][so pastos ist die | |
| Farbe aufgetragen]. Als Untergrund dienen ihm oft großgezogene Fotografien | |
| oder Bilder aus Magazinen. | |
| Mit dem Pinsel scheint er sich die Welt, seine Welt, Auszüge davon, urbane | |
| Landschaften, an die er wie eine Kamera ranzoomt, zu dechiffrieren. Ein | |
| guter Beobachter von Menschen ist er aber auch, von Menschen in diesem | |
| Stadtraum, in New York, wo er unter anderem die Occupy-Bewegung | |
| dokumentierte, in Tokio oder eben Berlin. | |
| Die jüngste Auseinandersetzung Schmidts mit seiner Wahlheimat erfolgt dann | |
| aber doch wieder durch die Kamera. Die Videoarbeit „Rough Trade“ entstand | |
| für die Ausstellung. Wenn man will, kann man darin Figuren, Motive, | |
| Fragestellungen aus früheren Arbeiten wieder entdecken. Sie umkreisen sich, | |
| Schmidt umkreist sie, flaniert wieder durch die Stadt. Nur etwas älter ist | |
| er geworden. | |
| 15 Oct 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Beate Scheder | |
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