# taz.de -- Der Hausbesuch: Zu Lebzeiten unbekannt | |
> Für Katharina Kranichfelds lüsterne Priester und Vogelfrauen scheint die | |
> Kunstwelt noch nicht bereit. Ihr Galerist prophezeit ihr posthumen Ruhm. | |
Bild: Katharina Kranichfeld ist ein Künstlername. Ihr Gesicht verbirgt sie hin… | |
Eskapismus ist ein Wort, das Katharina Kranichfeld oft verwendet. Ihre | |
Traumwelt ist bevölkert von Vogelfrauen und Hundemännern, Priestern und | |
Nonnen, die sich ihrer Lust hingeben. | |
Draußen: Eine Frau geht mit ihrem Hund spazieren. Sonst ist nichts los. Es | |
riecht nach Kiefern, die sich in den Himmel recken. Soll das die Berliner | |
Luft sein? In den 1920ern plante der Architekt Bruno Taut die Waldsiedlung | |
in Berlin-Zehlendorf, unweit der Krummen Lanke, einem kleinen See. In einer | |
Seitenstraße schmiegen sich Reihenhäuser an kleine Gärten. | |
Drinnen: Eines der Reihenhäuser hat Katharina Kranichfeld 1979 von ihrer | |
Patentante geerbt, seitdem lebt sie dort auf drei Stockwerken. Außen ist es | |
unscheinbar, innen überbordend. Vorab hatte die Künstlerin vor ihrem Chaos | |
gewarnt, sie grabe gerade im Steinbruch ihrer Lebenserinnerung, stand in | |
ihrer Mail. Und so ist das Haus ein Sammelsurium an Dingen, | |
Erinnerungsstücken, Büchern, Behältnissen, Kunstwerken, Kostümen. Wände wie | |
Collagen, übersät von Zeitungsartikeln und Karikaturen, Zeichnungen, | |
Notizen, Fotos, Kochrezepten. Im Erdgeschoss hält Kranichfeld sich | |
hauptsächlich auf, da lebt, schläft, schreibt, zeichnet, kocht und isst | |
sie. | |
Unten: Katharina Kranichfeld führt ihren Besuch als erstes in den Keller. | |
Dort bewahrt sie „Totenaltäre“ für die Männer ihres Lebens auf. Kleine | |
Skulpturen aus Keramiplast, Fabelwesen in eindeutigen Posen. Eine Figur, | |
halb Mensch, halb Panther, ist ihrer großen Liebe gewidmet, dem | |
Landstreicher Harry, den sie 1983 kennenlernte, kurz nach dem Ende ihrer | |
zehnjährigen Beziehung zu Werner Steinbrecher von der Künstlergruppe | |
Ratgeb, die damals politische Wandbilder malte. Harry nannte sich nach | |
Hesse „Steppenwolf“ und kam später bei einem Autounfall ums Leben. | |
Oben: Auf den Treppenstufen Bücherstapel. Unterm Dach das Atelier. Im | |
ersten Stock gesammelte Werke. Auf einem Zeichentisch liegen Radierungen, | |
dazu Zeichnungen, die Kranichfeld von der Niki-de-Saint-Phalle-Ausstellung | |
im Haus am Waldsee 1981 angefertigt hat: „[1][Niki de Saint Phalle] war ein | |
Vorbild für mich.“ Ums Eck im Regal Kleinplastiken dicht an dicht. Die | |
meisten Motive entspringen Kranichfelds Fantasien und Träumen. Handwerklich | |
ausgefeilt sind vor allem ihre grafischen Arbeiten, die Radierungen. Besser | |
als ihr Lehrer sei sie gewesen, sagt sie. | |
Kindheit: Künstlerin wurde sie über Umwege. „Ich war ein bockiges Kind“, | |
erzählt Kranichfeld. Immer schon Einzelgängerin, immer schon verträumt. | |
Geboren ist sie 1948 in Stuttgart, aufgewachsen in Hasenberg, am Hang, mit | |
Aussicht auf den Talkessel. „Ganz, ganz vornehm.“ In der Nachbarschaft der | |
Brauereifamilie Dinkelacker: „Die hatten damals schon einen Atombunker.“ | |
Kranichfelds Familie wohnte in der alten Villa eines Musikalienhändlers. | |
Über ihnen ein Künstler, der die kleine Katharina porträtierte, unten im | |
Souterrain die nicht verwandte Tante Stanis. | |
Der Priester: Jene Tante Stanis unterhielt ein Verhältnis mit einem | |
katholischen Priester. Immer mittwochs kam er zu ihr, am Waschtag. Das Bild | |
des Mannes in der schwarzen Kutte, der die Treppe herunterkam und sich | |
seinen Weg durch die Wäscheleinen bahnte, hat sich bei Kranichfeld | |
eingebrannt. Fürchterliche Angst habe sie gehabt. Ob ein verdrängter | |
Missbrauch stattgefunden hat, lässt sich heute nicht mehr herausfinden: | |
„Ich vermute, dass da irgendwas war, weiß es aber nicht“, sagt sie. Fest | |
steht, dass sie eine Obsession mit Priestern entwickelte. In ihren Arbeiten | |
begegnet man ihnen als lüsterne Talarträger, bei Schäferstündchen im | |
Beichtstuhl, in orgienhaften Szenen, in denen Lust und Gewalt ineinander | |
übergehen. | |
Erstes Studium: Kranichfeld studierte erst Lehramt in Ludwigsburg, doch das | |
war nichts für sie. Ihr Mentor sagte ihr einmal, sie sei zu sensibel für | |
den Beruf. Das Referendariat hat sie noch gemacht, statt verbeamtet zu | |
werden, ging sie lieber nach Berlin. | |
Zweiter Anlauf: Kranichfeld bewarb sich erfolgreich an der Hochschule der | |
Künste. Zunächst kam sie in die Klasse des Malers und Grafikers Rudolf | |
Kügler, dann wechselte sie zum Surrealisten Heinz Trökes, der sie mit Max | |
Ernst bekannt machte. Nebenher studierte sie Psychologie. Psychotherapeutin | |
wurde ihr Brotberuf. | |
Vogelfrauen und Hundemänner: In den 1980ern zeichnete sie ausgiebig | |
mystische Vogelfrauen mit Schnäbeln und Flügeln, breitbeinig, mit spitzen | |
Brüsten, wegfliegend oder sich umklammernd, erotisch und apokalyptisch | |
zugleich, dazu Hundemänner. Breughelhaftes, albtraumartiges Personal, das | |
sich lustvoll ineinander verbeißt. Da kommt alles zusammen: ihre | |
Faszination für C. G. Jung und den Surrealismus, der Eskapismus, der Sex. | |
Kranichfeld: Der Name ist ein Pseudonym, aber nicht ausgedacht. Als ihr | |
Vater der Familie um 1980 aus seiner Ahnenforschung vorlas, fiel auch der | |
Name Katharina Kranichfeld. „Das bin ich“, habe sie da ganz intuitiv | |
gedacht. Die echte Katharina Kranichfeld war Köchin in Eisenach. Jetzt | |
schützt ihr Name die Nachfahrin vor denjenigen, die mit ihrer Kunst und | |
ihren sadomasochistischen Neigungen nichts anfangen können. | |
Die erste Ausstellung: 1985 stellt Kranichfeld ihre Arbeiten in der | |
Frauengalerie „Andere Zeichen“ aus. Der Titel: „Von Innen nach Außen“. | |
Psychogrammartige Zeichnungen in grellbunten Farben. Was das damals genau | |
war, erinnert sie nicht mehr. Von „gewalttätigen Penissymbolen“ ist in | |
einer Besprechung die Rede. „Relativ harmlos“, sei das alles gewesen, | |
behauptet sie selbst. Doch die Ausstellung wurde zum Skandal. Sogar die | |
Galeriegründerin habe damals die Arbeiten wieder abhängen lassen wollen. | |
„Darf die Frau das?“, fragte die taz in der Überschrift eines Artikels üb… | |
einen Diskussionsabend zur Ausstellung. Kranichfeld blieb dieser fern: „Das | |
kannst du als Künstlerin nicht aushalten, wenn du dasitzt und sie über | |
deine Sachen meckern.“ | |
Fetisch: Erst spät begann sie, ihre erotischen Fantasien auch in der | |
Realität auszuleben. Ab 2013, da war sie 65, zog sie „als Zofe“ einer | |
Freundin, die als Domina arbeitete, durch einschlägige Clubs. So lernte sie | |
auch „ihren Türsteher“ kennen. „Das war der beste Mann“, sagt sie, der | |
erste, dem es nicht nur um seine eigene Lust ging, sondern auch um ihre. | |
„Das war so, wie das in pornografischen Geschichten immer ist: Die Frau hat | |
ihre erotischen Fantasien und dann kommt der Prinz, mit dem sie diese | |
ausleben kann.“ | |
Kunst und Markt: Wolfgang Grätz von der Frankfurter Büchergilde ist der | |
wichtigste Galerist für Katharina Kranichfeld. Oder auch: der einzige, | |
bislang zumindest. Er wurde 1999 in Berlin auf sie aufmerksam, als er eine | |
Arbeit Kranichfelds sah: „Leda und der Schwan“, mit einer Leda, die | |
gefesselt von der Decke hängt. Verblüfft sei er gewesen, dass es sich um | |
die Arbeit einer Künstlerin handelte. Weibliche Kunst zu diesem Thema habe | |
er nicht gekannt, schrieb er zehn Jahre später im Frankfurter Grafikbrief, | |
als er wagte, sie auszustellen. | |
Ablehnung: Immer wieder wurde Kranichfeld abgewiesen. „Wenn ich meine | |
Sachen Galeristen vorgestellt habe, dann hieß es nur, das seien Lemuren.“ | |
Als sie sich Ende der 1990er beim Beate-Uhse-Erotik-Kunstpreis mit „Leda | |
und der Schwan“ bewarb, wurde sie gleich aussortiert: „Beate Uhse fand das | |
zu gewalttätig. Beate Uhse, die Dildos mit Pistolengriff verkauft.“ Ein | |
Mann hätte so was ohne Weiteres darstellen können, glaubt sie. Ihr Galerist | |
hat ihr Ruhm nach dem Tod prophezeit. Katharina Kranichfeld hätte den | |
lieber zu Lebzeiten. | |
Und eine Frage noch: Was halten Sie von Friedrich Merz? „Der interessiert | |
mich nicht“, sagt Kranichfeld. | |
6 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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