| # taz.de -- Bildhauer Guido Messer: Systemkritik in Bronze | |
| > Guido Messer ist seit 45 Jahren freischaffender Bildhauer. In der Kunst | |
| > verarbeitet er sein Unbehagen an politischen und gesellschaftlichen | |
| > Entwicklungen. | |
| Bild: Klatschen in Pforzheim vor dem Theater: Bronze „Die Claque“ von Guido… | |
| In seinem Kühlschrank lagern vier Kröten und der Kopf von Alexei Nawalny – | |
| aus Wachs. Schräg gegenüber sitzt Guido Messer auf einem Hocker über seinen | |
| Werktisch gebeugt. Unter einer Neonlampe formt er mit einem Skalpell eine | |
| weitere Wachskröte. „Das wird ein Unken-Depot“, erklärt der 84-Jährige: … | |
| Unken auf einem dreistufigen Podest, so der Plan. Es ist eine Anspielung | |
| auf den Klimawandel und das Artensterben. „Eine Unke ist eine Kröte und der | |
| Unkenruf gilt seit alters her auch als pessimistische Vorhersage“, sagt | |
| Messer. „Die Amphibien trifft es mit zuerst.“ | |
| Messer ist ein kleiner Mann mit grauen Haaren und Brille. Er trägt ein | |
| luftiges Kurzarmhemd und Birkenstocksandalen, es ist heiß hier in seinem | |
| Atelier in der Toskana. Auf seinem Werktisch stapeln sich Wachsreste, | |
| hinter ihm steht ein alter Apothekerschrank voller Werkzeuge: Feilen, | |
| Zangen, Pinsel, Meißel und Schnüre. Nicht nur seine Unken versteht der | |
| Bildhauer als Gesellschaftskritik. Sie steckt in all seinen Werken. Sein | |
| Antrieb: „Ein Unbehagen, das Gefühl, den Ist-Zustand ändern zu wollen.“ | |
| Viele von Messers Arbeiten zeigen herrschende Typen: Politiker*innen, | |
| Wissenschaftler*innen oder Wohlstandsbürger*innen. Aktuell arbeitet er | |
| an einer „Testo-Skulptur“ mit dem Titel „Muskelpiel“, die an Typen wie … | |
| Musk und Donald Trump erinnern soll. Immer wieder taucht bei ihm der „hohle | |
| Mensch“ auf: ein nicht zu unterscheidende Typ Manager oder Politiker, der | |
| nicht zuhört, sondern durchregiert. Eine Arbeit in seinem Skulpturengarten | |
| etwa zeigt Köpfe von Wissenschaftlern mit gelben Fliegen und Sonnenbrillen. | |
| Die Bronzefiguren sind in der Mitte vertikal aufgeschnitten und leicht | |
| versetzt angeordnet. Von vorn wirken sie ganz, von der Seite offenbart sich | |
| ihre Hohlheit. Messer behandelt auch allgemeinere gesellschaftliche Fragen: | |
| von industrialisiertem Sex über Medienverblödung bis zu aktuellen Kriegen. | |
| Messer ist seit Anfang der 1980er Jahre freier Bildhauer. Damals kauften er | |
| und seine Frau, Ruth Martha Messer, ihr Haus beim kleinen italienischen | |
| Bergdorf Sassetta. „Der Beweggrund für Italien war vor allem das Interesse | |
| an der Kunst, besonders an den Arbeiten der Bildhauer der Renaissance“, | |
| erzählt Ruth Messer. | |
| Das steinerne Bauernhaus ist alt und sanierungsbedürftig, aber charmant. | |
| Der Boden ist aus Backstein und knarzigen Holzdielen, von der Wand blättert | |
| der Putz, vor dem Kamin steht ein kleiner Holztisch. Darauf ein frisch | |
| gebackener Pflaumenkuchen von Ruth Messer. | |
| Hier verbrachten die Messers anfangs die eine Hälfte des Jahres und die | |
| andere in Korb bei Stuttgart. „Für die Kinder war es wertvoll, sowohl die | |
| deutsche als auch die italienische Schulbildung zu genießen und die | |
| kulturellen Unterschiede zu erleben“, erzählt Ruth Messer. | |
| ## Zwei unterschiedliche Welten | |
| Nach der Grundschule verlegte die Familie ihren Lebensmittelpunkt zunächst | |
| wieder nach Deutschland, da es auf dem Land für die Kinder keine | |
| Möglichkeit zur Ausbildung an verschiedenen Musikinstrumenten gab. Seitdem | |
| die Kinder ausgezogen sind, zieht es die Messers aber wieder jedes Jahr ab | |
| Februar nach Italien, ab Oktober zurück ins kalte Deutschland. Antizyklisch | |
| könnte man meinen, doch die Winter sind auch in dem italienischen Bergdorf | |
| kalt – Isolierung gibt es im alten Steinhaus keine. | |
| „Es sind zwei völlig unterschiedliche Welten“, sagt Ruth Messer: „Einmal | |
| das Leben im Großraum Stuttgart mit Atelier im Gewerbegebiet in Korb und | |
| zum anderen in Sassetta mit einem völligen Eintauchen in die Natur.“ | |
| Das Pendeln zwischen den zwei Welten begreifen sie als Privileg: „Der | |
| Alltagstrott wird unterbrochen, es gibt Vorfreude auf die jeweils andere | |
| Situation, auch wenn die Umstellung jedes Mal mit viel Arbeit verbunden | |
| ist.“ Guido Messer hat in beiden Orten seine Werkstatt – alles, was er | |
| braucht. | |
| Im Garten tummeln sich Oliven- und Haselnuss-, Feigen- und Pflaumenbäume, | |
| Bambus, Zypressen, Palmen – und Kunst. Erst auf den zweiten Blick sind die | |
| Skulpturen von Messer und befreundeten Stein- und Bildhauer*innen zu | |
| erkennen. Viele der Werke sind inzwischen mit der Natur verwoben: Bäume, | |
| Efeu, und die Sonne hinterlassen ihre Spuren darauf. | |
| Messer lässt das zu. Er ist ein Naturfreund, beobachtet die Bussarde und | |
| Bienenfresser im Garten und erkennt jedes Tiergeräusch – dank Hörgerät. Die | |
| Ohren haben unter den vielen Flexarbeiten gelitten, damals gab es nur | |
| schlechten Gehörschutz. Ändern würde er heute jedoch nichts: „Ach, das ist | |
| wahnsinnig umständlich den Gehörschutz aufzuziehen. Man fängt einfach an zu | |
| arbeiten. Wer denkt da schon an die Gesundheit?“, sagt Messer lachend. | |
| ## Mühsames Arbeiten | |
| Er steht auf einer Leiter im Garten und pflückt Haselnüsse, die er später | |
| in aufwendiger Handarbeit pult und zum Trocknen auf die Planen vor dem | |
| Bauernhaus legt. „Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen“, sagt er. „Abe… | |
| bin freischaffender Künstler, ich kenn’s ja.“ | |
| Die Arbeit ist zeit- und ressourcenintensiv. Hohe Materialkosten, | |
| aufwendige Produktion und ein begrenzter Kunstmarkt machen es schwer, von | |
| der Bildhauerei allein zu leben. Gleichzeitig wachsen digitale Kunstformen | |
| und Designberufe, sodass traditionelle Handwerkskünste zunehmend seltener | |
| werden. Auch deshalb gilt die Bildhauerei als aussterbender Beruf. | |
| Guido Messer kommt zwar aus einer anderen Zeit, das große Geld ließ sich | |
| mit der Bildhauerei jedoch noch nie verdienen. Die Rente ist klein, das | |
| Bauernhaus zahlt das Ehepaar noch immer in Raten ab. Druck macht Messer | |
| sich trotzdem nicht. Stress? „Gibt’s nicht.“ Wochenende aber auch nicht. | |
| „Ich bin schon a bissl ehrgeizig manchmal“, sagt er, während er zurück in | |
| seiner Werkstatt an einer kleinen Figur feilt – ein sogenanntes | |
| „Zickezacke“-Männchen. | |
| „Die sehen lustig aus“, sagt Messer und zeigt auf die drei kleinen Figuren | |
| mit verstecktem Hakenkreuz im Kopf. „Aber wenn sich eine Partei erneut auf | |
| diese Spur begibt, ist das überhaupt nicht lustig.“ Die Figuren spielen auf | |
| das NS-Marschlied „Zickezacke, Zickezacke, Heu! Heu! Heu!“ an, das auch im | |
| Sport und als Trinkspruch Verbreitung fand. Die Männchen sollen eine | |
| Mahnung mit Blick auf die AfD sein. | |
| Daneben liegt eine Negativform von Alexei Nawalnys Kopf. Sie ist Teil von | |
| Messers Projekt „Memento Nawalny“, einer Gedenkstele für den russischen | |
| Oppositionellen. Sie soll im kommenden Jahr auf dem Korber Kopf aufgestellt | |
| werden: einem Berg in der Gemeinde Korb bei Stuttgart. In ihrer | |
| Heimatgemeinde veranstalten Ruth und Guido Messer seit 20 Jahren den | |
| Skulpturenrundweg „Köpfe am Korber Kopf“. Dazu werden jedes Jahr zehn | |
| Standorte vergeben, sieben an Profikünstler*innen, drei an Schulen oder | |
| Vereine. Die Skulpturen beschäftigen sich auf unterschiedliche Weise mit | |
| Köpfen und stehen dort für ein Jahr. Messer selbst steuert jedes Jahr ein | |
| Werk bei. Die 19. Runde steht in diesem Jahr unter dem Motto Recycling. | |
| Die Ideen gehen Messer nie aus. Er hört den ganzen Tag Radio, liest | |
| Zeitung, informiert sich über neue Social-Media-Trends und Feminismus. All | |
| das liefert ihm Inspiration für neue Arbeiten – und Freude. „Wenn ich meine | |
| Arbeit habe und damit zufrieden bin, kann mir der Rest gestohlen bleiben“, | |
| sagt er genügsam. Die Voraussetzung: „Es muss Spaß machen. Sonst kannst | |
| du’s lassen.“ Nicht mehr fit sein, ist nicht. „Dazu habe ich noch zu viel | |
| vor“, sagt Messer. Er wirft die Hände in die Luft und lacht: „Ich lebe, ich | |
| lebe!“ | |
| 26 Oct 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Lilly Schröder | |
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