| # taz.de -- Kubanischer Künstler Michel Mirabal: Waffen der Kunst | |
| > Michel Mirabal ist einer der international erfolgreichsten Künstler | |
| > Kubas, doch in seiner Heimat weitgehend unbekannt. Das soll sich ändern. | |
| Bild: Die Machete ist das Symbol der kubanischen Unabhängigkeitskriege. Michel… | |
| Mit ein paar Dutzend Macheten hat Michel Mirabal zwei der Außenwände seines | |
| Ateliers dekoriert. „Das war meine erste Arbeit dieser Serie, die mich bis | |
| heute beschäftigt“, sagt der große, muskulöse Mann, dessen Unterarme ein | |
| paar Tattoos zieren, zur Begrüßung auf der Finca Calunga auf Kuba. | |
| Die Finca, mit dem Atelier und den Privatunterkünften der Familie Mirabal, | |
| liegt außerhalb von Havanna, auf einem Hügel über Guanabo. Der Strandort | |
| östlich von Havanna ist Michel Mirabel schon als kleiner Junge ans Herz | |
| gewachsen, als er regelmäßig einen Teil seiner Sommerferien mit der Familie | |
| dort verbrachte. „Das ist ein Grund, weshalb ich ab 2012 hier peu à peu | |
| mein Domizil aufgebaut habe“, erzählt der Künstler mit der Figur eines | |
| Schwergewichtsringers. | |
| Mindestens 140 Kilogramm bringt der ehemalige Freistil-Champion derzeit auf | |
| die Waage. Doch den Sport hat Mirabal schon lange zugunsten der Malerei | |
| aufgegeben: „Ich bin abgebogen. Mit 15, 16 Jahren habe ich die Sportschule | |
| mit der Kunstschule San Alejandro getauscht und später Design am ISDI | |
| studiert“, sagt Mirabal und steuert den Weg zum Sofa an. Das steht rechts | |
| vom Eingang zum weitläufigen Atelier, wo auch ein Kontrabass, Congas und | |
| ein Schlagzeug ihren Platz haben. | |
| ## Er thematisiert die Auswanderung | |
| Musik, ob Rap, Jazz oder Son, gehört bei Michel Mirabal dazu, wenn er in | |
| seinem Atelier kreativ wird, das sich auf zwei Etagen über mehr als 400 | |
| Quadratmetern erstreckt. Dort hat er ausreichend Platz für seine | |
| großformatigen Arbeiten, die immer wieder mit den charakteristischen | |
| Farbtönen der kubanischen Flagge spielen, sie mit anderen Materialien wie | |
| Stacheldraht, aber auch mit Ausweisen oder Pässen kombinieren wie in den | |
| aktuellen Arbeiten. | |
| „Éxodo“ heißt die Serie, in der sich Mirabal mit der Migration von | |
| Millionen Menschen über Wasser und Land aus ihren Ländern beschäftigt – | |
| darunter mehr und mehr Kubaner:innen. | |
| „Auswanderung ist Teil der kubanischen Geschichte, aber die derzeitige | |
| Dimension gefährdet unsere Zukunftsperspektive“, meint Mirabal. Seit | |
| November 2021 haben offiziellen Zahlen zufolge mehr als eine Million | |
| Kubaner:innen [1][die Insel verlassen,] vor allem Besserqualifizierte | |
| unter 40 Jahren. Das thematisiert Mirabal, im Mai 2023 zum Beispiel bei der | |
| Architektur-Biennale in Venedig, wo einige Arbeiten aus „Éxodo“ zu sehen | |
| waren. | |
| Auswanderung macht auch vor seiner eigenen Familie nicht Halt. Eine Tochter | |
| lebt in Miami, eine weitere in Barcelona und nur die dritte, noch | |
| minderjährig, bei ihm in Guanabo. Bitter für den Familienmenschen Mirabal, | |
| auf dessen Anwesen mehr als ein Dutzend Familienangehörige mitarbeiten und | |
| der in einer Künstlerfamilie aufwuchs, die für reichlich Inspiration sorgt. | |
| ## Obama rief an | |
| Großmutter Martha Jean-Claude, eine in Kuba exilierte Haitianerin, war eine | |
| bekannte Folk-Sängerin, einer ihrer drei Töchter ist Opernsängerin, eine | |
| weitere genauso wie Vater Richard Mirabal Musiker. Dieses kreative Ambiente | |
| hat Michel Mirabel genauso geprägt wie seine Jugend in Cayo Hueso, einem | |
| populären, aber verarmten Stadtviertel nur ein paar hundert Meter unterhalb | |
| der Universität von Havanna. Als „Negrito aus Cayo Hueso“ bezeichnet sich | |
| Maribal gerne selbst, kritisiert so auch den zunehmenden Rassismus auf Kuba | |
| und die ökonomisch wesentlich schwierigeren Verhältnisse, in denen die | |
| farbige Bevölkerung auf der Insel lebt. | |
| „Da kommen deutlich weniger Dollar aus dem Exil an als in anderen | |
| Bevölkerungsschichten. Wie sollen so kleine und mittlere Betriebe, neue | |
| Perspektiven entstehen?“, fragt er offen. | |
| Für den erfolgreichen Künstler, dessen Arbeiten in den USA und Europa zum | |
| Verkauf in großen Galerien hängen, ist es selbstverständlich, seine | |
| ökonomischen Möglichkeiten zu nutzen, um der Pizzeria in der Calle San | |
| Lázaro genauso wie Freunden zwei Ecken weiter in Cayo Hueso beim Start in | |
| die Selbstständigkeit zu helfen. Sein soziales Engagement geht jedoch | |
| weiter: Sechs Container mit medizinischem Hilfsmaterial hat der gut | |
| vernetzte Mirabal gesammelt und an Krankenhäuser wie dem in Camagüey | |
| gespendet. | |
| Das kann sich der mittlerweile 50-Jährige leisten. Spätestens seitdem | |
| Barack Obama 2014 bei ihm anrief und ihn um eine Arbeit zur Wiederaufnahme | |
| der diplomatischen Beziehungen beider Länder bat und er einwilligte, ist | |
| Mirabal angesagt. Ein großformatiges Bild von ihm hing im März 2016 auf | |
| einer der Pressekonferenzen, als US-Präsident Obama und sein kubanischer | |
| [2][Amtskollegen Raúl Castro] sich trafen. | |
| ## Zweimal in Besserungsanstalten | |
| Derzeit hängt eine Arbeit von ihm im Terminal 3 des Flughafens José Martí | |
| in Havanna, weitere Arbeiten von ihm befinden sich in Privatsammlungen von | |
| Donald Trump, Carlos Santana und anderen Prominenten. Seit 2016 zählt | |
| Michel Mirabal zu den einflussreichsten kubanischen Künstlern auf der | |
| internationalen Bühne, hat aufgeschlossen zum kubanischen Kollegen Kcho, | |
| dessen Arbeiten im Museum for Modern Art (MoMa) in New York zu sehen sind. | |
| Doch anders als Kcho alias Alexis Leyva Machado ist Mirabal in Kuba ein | |
| weitgehend Unbekannter. | |
| „Von meinen zwölf, dreizehn großen Motiv-Serien sind in Kuba maximal ein | |
| bis zwei bekannt. Hier hat es nie eine Einzelausstellung von mir gegeben, | |
| kaum jemand weiß, dass ich mich mit Migration und den vielfältigen Facetten | |
| der kubanischen Identität beschäftige“, erklärt Mirabal mit ruhiger Stimme. | |
| Das soll sich ändern. Derzeit arbeitet Mirabal an einer Serie neuer | |
| Exponate, großformatige Bilder genauso wie Statuen und Installationen, die | |
| im November in Havannas Stadtteil Vedado ausgestellt werden sollen. | |
| Dann könnte auch die von mehreren Dutzend Macheten gezeichnete Kutsche, die | |
| derzeit im Untergeschoss des Ateliers steht, zu den Exponaten gehören. „Die | |
| Machete ist ein zentrales Symbol der kubanischen Unabhängigkeitskriege: sie | |
| ist die Waffe der Mambises gegen die Spanier“, erklärt Mirabal. Mambises | |
| hießen die kubanischen Unabhängigkeitskämpfer, das Gros davon Schwarz, die | |
| 1898 den Sieg über die spanische Kolonialmacht errangen. Doch als ein | |
| US-Kriegsschiff im Hafen von Havanna explodierte, intervenierten die USA | |
| und die größte der Antilleninseln geriet bis 1959 unter US-Kontrolle. | |
| Der Rest ist Geschichte, und mit der beschäftigt sich Mirabal genauso wie | |
| mit der prekären Gegenwart. Trotzdem wird er oft als Anhänger der Regierung | |
| in Havanna bezeichnet, wozu sicherlich seine Freundschaft zu einigen | |
| politischen Schwergewichten wie Lázaro Expósito, dem ehemaligen | |
| Parteisekretär von Santiago de Cuba, beiträgt. Doch das ist voreilig, denn | |
| Michel Mirabal, der als Halbwüchsiger zweimal in kubanischen | |
| Besserungsanstalten landete, pocht auf die Freiheit der Kunst. „Ich genieße | |
| diese Freiheit in Kuba, aber ich forderte sie auch für andere ein“, sagt | |
| er. | |
| ## Eintreten für Gefangene | |
| Zu diesen anderen gehören mit dem Maler und Performer Luis Manuel Otero | |
| Alcántara und dem Musiker Maykel Osorbo auch zwei Künstler, die derzeit | |
| [3][in kubanischen Gefängnissen] sitzen und für deren Freilassung Mirabal | |
| öffentlich eintritt. Eine Facette, die bei Michel Mirabal, der mehrere | |
| Monate im Jahr in Europa lebt, gern übersehen wird. | |
| Für ihn ist die kritische Auseinandersetzung mit den Realitäten auf der | |
| Insel eine wesentliche Inspirationsquelle. Davon zeugen etliche seiner | |
| Arbeiten – darunter der Briefkasten mit der Aufschrift „Beschwerden und | |
| Vorschläge“, der in seinem Atelier hängt. Den Briefschlitz hat Mirabal mit | |
| spitzen Zähnen versehen, die kaum einen Brief passieren lassen – eine | |
| Allegorie auf die Starrsinnigkeit der kubanischen Regierung? | |
| Die Antwort auf die Frage bleibt Mirabal mit einem breiten Grinsen | |
| schuldig. Er wendet sich der nächsten Arbeit zu, die im Untergeschoss | |
| seines Ateliers noch auf den letzten Schliff wartet: ein Regenschirm, der | |
| an das kubanische Wappen erinnert und dessen Umriss von Stacheldraht | |
| eingefasst ist. Eine Arbeit, die im November auch Teil seiner ersten | |
| Einzelausstellung in Kuba sein könnte. Die soll schließlich alle | |
| künstlerischen Facetten von Michel Mirabal beinhalten. | |
| 13 Jul 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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