# taz.de -- Meinungsfreiheit in Kuba: Die Unbequeme aus Matanzas | |
> Alina Bárbara López ist Kubas prominente linke Regierungskritikerin. Nun | |
> droht der promovierten Historikerin eine Gefängnisstrafe. | |
Bild: Einst galt sie als verdiente Revolutionärin – heute droht Kubas Justiz… | |
Matanzas taz | Plattenbauten so weit das Auge reicht. Das Reparto Armando | |
Mestre in Matanzas, rund 120 Kilometer östlich von Kubas Hauptstadt | |
Havanna, ist eines dieser Stadtviertel, die Ende der 1960er Jahren mithilfe | |
der sozialistischen Brudernationen für verdiente Revolutionäre hochgezogen | |
wurden. Hier wohnt Alina Bárbara López. | |
Die großgewachsene Historikerin mit dem kurzen rötlich-braunen Haarschopf | |
hat schon gewartet. „Hier ist die Orientierung nicht ganz so einfach“, sagt | |
sie lachend zur Begrüßung an der Straßenecke vor dem Kindergarten. Dann | |
weist sie den Weg die Straße hinunter bis zum Eingang ihres Apartments im | |
Erdgeschoss eines himmelblau gestrichenen vierstöckigen Plattenbaus. | |
Lange waren die modernen Wohnungen vor allem verdienten Anhängern der | |
kubanischen Revolution vorbehalten, und es ist nicht allzu lange her, dass | |
auch die marxistisch-leninistisch geschulte Historikerin als zuverlässig | |
galt. Vorbei. Seit dem Oktober 2022 befindet sie sich im Visier der | |
„Contrainteligencia“, der Spionageabwehr. | |
„Zwei Männer, die sich als Mitarbeiter der Contrainteligencia bezeichneten, | |
sich aber nicht auswiesen, standen damals in der Tür und überreichten mir | |
eine Vorladung zum Interview“, erinnert sich die wehrhafte Frau mit einem | |
Kopfschütteln. Nur zu gut hatte sie die Fälle von Bekannten vor Augen, die | |
einer solchen Vorladung gefolgt waren und massiv eingeschüchtert wurden. | |
## La Joven Cuba: Essays und profunde Analysen | |
Daraufhin studierte sie die Gesetze und Vorgaben und kam zu dem Schluss, | |
dass ohne konkrete Ermittlungen, ohne handfesten Verdacht eine derartige | |
Vorladung gegenstandslos sei. „Genau das habe ich den Beamten auch gesagt | |
und das Ganze dann über „[1][La Joven Cuba]“ auch publik gemacht“, | |
schildert die 59-Jährige ihr Vorgehen. | |
„La Joven Cuba“ ist ein Blog, wo seit 2010 Analysen über die soziale und | |
politische Situation auf der Insel erscheinen. Mehrere davon von Alina | |
López, versierte Geschichtsprofessorin der Universität. „2013 habe ich die | |
Lehre an der Universität aufgegeben, mit dem Schreiben angefangen und | |
schließlich mit,La Joven Cuba' ein Medium gefunden, dass zu mir passte“, | |
erinnert sich die Mutter zweier Töchter und schenkt kubanischen Espresso in | |
kleine Tassen ein. | |
Der Blog, ursprünglich an die Universität Matanzas angelehnt und von | |
Wissenschaftler:innen und Journalist:innen gemacht, liefert | |
fundierte Einblicke in die kubanische Wirklichkeit. Das war 2015, 2016 | |
nichts Ungewöhnliches in Kuba. Gut gemachte journalistische Portale wie | |
„[2][El Estornudo]“, „[3][Periodismo de Barrio]“ oder „[4][El Toque]�… | |
sorgten mit Reportagen, Interviews und kritischen Berichten, die im Ausland | |
so manchen Medienpreis erhielten, dafür, dass ein anderes Kuba zu Wort kam | |
– das der einfachen Leute. | |
„La Joven Cuba“ lieferte hingegen Essays und Analysen mit historischem | |
Background, und mehrere Autor:innen benannten auch die Verantwortlichen | |
für die ökonomischen wie sozialen Missstände – darunter Alina Bárbara | |
López. | |
## Kritik von links tut mehr weh als von rechts | |
Für sie beginnt die [5][soziale Misere in Kuba] mit Raúl Castro, dem | |
93-jährigen ehemaligen Staatschef (2008–2018). „Ich vergleiche Raúl Castro | |
mit Margaret Thatcher in Großbritannien, denn ähnlich wie sie strich er die | |
sozialen Sicherungssysteme zusammen: Der Etat wurde unter seiner Regie um | |
61 Prozent eingedampft“, erklärt Alina López mit missbilligender Miene. | |
Die Folgen dieser Spar- und einer verfehlten Investitionspolitik im | |
Tourismussektor, wo Hunderte Millionen US-Dollar in Fünf-Sterne-Hotels | |
versenkt wurden, lässt sich heute in den Straßen der Insel kaum übersehen. | |
Altersarmut, Senioren, die im Müll nach Verwertbarem suchen oder auf den | |
Bauernmärkten anstehen, um kurz vor Feierabend die Reste billiger erwerben | |
zu können, hätte es unter Fidel Castro nicht gegeben, meint die | |
Historikerin. | |
Sie hat Daten zusammengetragen, ausgewertet und klar und deutlich | |
niedergeschrieben, wie sich die Politik von dem älteren Castro zum jüngeren | |
änderte. In Kuba hat das für Aufsehen gesorgt, gerade weil die beiden | |
Ikonen der Revolution genannt wurden, aber auch weil die Kritik nicht von | |
rechts, sondern von links kam. | |
Das ist deutlich schmerzhafter für eine Regierung, die sich als links und | |
revolutionär definiert und deren Sozialpolitik über Jahrzehnte einen | |
integrativen Effekt hatte, gibt Alina López ohne zu zögern zu. „Hier in | |
dieser Wohnung haben mich Journalisten linker Medien, Vertreter bekannter | |
Gewerkschaften, aber auch Abgeordnete besucht, die wissen wollten, was in | |
Kuba geschieht – vor und mehr noch nach dem 11. Juli 2021.“ | |
## Einblicke in ein heruntergekommenes Gesundheitswesen | |
Der Tag [6][der ersten großen landesweiten Proteste], an denen Tausende | |
inselweit teilnahmen, ist für Alina López ein Wendepunkt: „Ich habe lange | |
für Reformen plädiert. Aber seit der Niederschlagung der Proteste, der | |
Inhaftierung Hunderter Menschen, nur weil sie ihr Demonstrationsrecht in | |
Anspruch nahmen und [7][mit dem Mobiltelefon filmten], halte ich das | |
politische System nicht mehr für reformierbar – wir brauchen strukturelle, | |
grundlegende Veränderungen“, sagt López. | |
Sie ist in einer einfachen Arbeiterfamilie groß geworden. „Mein Vater war | |
Dreher, wir hatten Metallmöbel, weil wir uns andere nicht leisten konnten“, | |
erinnert sich die Historikerin. Rund die Hälfte ihrer Familie lebt in den | |
USA, auch eine ihrer beiden Töchter studiert dort, während die andere als | |
Ärztin um die Ecke in einer Familienarzt-Praxis arbeitet. | |
Das sorgt für dezidierte Einblicke in ein Gesundheitssystem, wo die | |
Patienten mittlerweile Spritzen, Handschuhe und Medikamente selbst | |
mitbringen müssen. Bittere Realitäten in einem Land, dass so lange | |
Vorbildcharakter bei Bildung und Gesundheit hatte. Vorbei. | |
Die Gründe dafür analysiert Alina Bárbara López nicht mehr für „La Joven | |
Cuba“. „Sie haben sich aufgrund des politischen Druckes der | |
Contrainteligencia von mir getrennt.“ Jetzt ist sie eine von vier | |
Koordinator:innen des Portals [8][CubaxCuba]. Das gibt es seit dem | |
20. Juli 2023 und es versteht sich als „Labor des zivilgesellschaftlichen | |
Denkens“. | |
## Angeblicher Angriff auf einen Beamten | |
Doch nicht nur dort tritt Alina López für den Wandel in Kuba ein: „An jedem | |
18. des Monats gehe ich auf die Straße. Am 18. April, einem Sonntag, stand | |
ich erst eine Stunde vor der Zentrale der Staatssicherheit, unserer | |
politischen Polizei, und anschließend auf dem Platz der Freiheit, dem | |
zentralen Platz im Stadtzentrum“, erklärt López. Dort plädiert sie für die | |
Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung, die Einführung von | |
Hilfsprogrammen für die Allerärmsten sowie für freie Meinungsäußerung und | |
die Freilassung aller politischen Gefangenen. | |
Das hat ihr in Kuba viel Unterstützung eingebracht, zumal der Druck auf sie | |
zunimmt. Nach dem ersten Verfahren, das mit einer Geldstrafe über 7.000 | |
Peso cubano, rund 20 US-Dollar nach inoffiziellem Wechselkurs, wegen | |
„Ungehorsam“ endete, läuft das nächste. „Ich bin angeklagt wegen des | |
Angriffs auf einen Beamten. Atentado, heißt es in der Anklageschrift, | |
obwohl er mich geschlagen hat und nicht ich ihn“, erklärt sie. Ein, nein | |
zweimal hat sie das Angebot von Polizei und Staatsanwaltschaft abgelehnt, | |
das Verfahren mit einem Bußgeld zu beenden. | |
Rund zweihundert Intellektuelle, darunter [9][Schriftsteller Leonardo | |
Padura] und Regisseur-Ikone [10][Fernando Pérez], haben im Juli letzten | |
Jahres einen Appell gegen jegliche staatliche Repression gegen die | |
unbequeme Historikerin, die mehr als 18.000 Follower auf Facebook hat, | |
unterschrieben. Auch die Latin American Studies Association, wichtiges | |
wissenschaftliches Sprachrohr in der Region, hat die Repression gegen Alina | |
Bárbara López verurteilt. | |
Gleichwohl lassen Justiz und Staatssicherheit nicht locker: „Eigentlich | |
hätte die Staatsanwaltschaft das Verfahren bis zum 30. April eröffnen | |
müssen, was nicht passiert ist.“ Ende Mai ist tatsächlich Anklage wegen des | |
angeblichen Angriffs auf den Beamten erhoben worden. | |
Sie ist gespannt, wie die Justiz ihr etwas beweisen will, was nie passiert | |
ist und vertraut ihrer Anwältin. „Ich stehe für viele andere, die wie ich | |
von der Justiz kriminalisiert werden. In Kuba gibt es keine | |
Gewaltenteilung, hier agieren die Gerichte im Auftrag der | |
Staatssicherheit“, kritisiert sie und verweist auf andere Fälle wie den von | |
Luis Robles. Der junge Mann war fünf Jahre in Haft, weil er per Plakat für | |
ein Ende der Repression und zur Freilassung der politischen Gefangenen | |
eintrat. | |
Eine Gefängnisstrafe droht nun auch ihr. Drei bis acht Jahre sieht das | |
Strafgesetzbuch für die Attacke auf einen Beamten vor, und sicher ist, dass | |
das Verfahren gegen die auch international recht bekannte Historikerin auf | |
der Insel und darüber hinaus Schlagzeilen machen wird. Falls die kubanische | |
Staatssicherheit nicht doch noch einen Rückzieher macht. | |
28 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://jovencuba.com/ | |
[2] https://revistaelestornudo.com/ | |
[3] https://periodismodebarrio.org/ | |
[4] https://eltoque.com/ | |
[5] /Soziale-Krise-in-Kuba/!6007437 | |
[6] /Proteste-auf-Kuba/!5781105 | |
[7] /Haftanstalten-in-Kuba/!6070328 | |
[8] https://www.cubaxcuba.com/ | |
[9] /Roman-Anstaendige-Leute/!6058321 | |
[10] /Kinofilm-Letzte-Tage-in-Havanna/!5477510 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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