| # taz.de -- Sexismus in der Techno-Szene: Hang the cis-DJs | |
| > Flinta* DJs kämpfen in der elektronischen Musikszene mit Diskriminierung. | |
| > Sie reagieren darauf mit gegenseitigem Empowerment und Workshops. | |
| Bild: Screenshot aus der Video-Performance „Old Boy Network“ | |
| Berlin taz | Sie wurde während ihres Auftritts sexuell belästigt. Ihr wurde | |
| gesagt, sie wäre nicht so erfolgreich, wäre sie keine Frau. Dass sie es nur | |
| so leicht habe, weil sie gut aussehe. Ein anderes Mal: dass sie nicht sexy | |
| genug für hinter der Bühne sei, zu alt und nur ohnehin nur eine Quoten-DJ. | |
| Ein Promoter bot ihr einen Auftritt an, [1][zog das Angebot dann aber | |
| wieder zurück, weil sie keinen Sex mit ihm haben wollte.] | |
| Das hinterlässt Spuren. Sie zweifelt an ihrem Können. Sie fühlt sich unter | |
| Druck gesetzt, sich zu beweisen, kämpft mit Unsicherheiten – obwohl sie | |
| inzwischen erfolgreicher ist, als viele ihrer männlichen Kollegen. | |
| „Sie“ ist nicht eine einzelne Flinta*-DJ. Ihre Erfahrungen stehen | |
| stellvertretend für die vieler Flinta* in der elektronischen Musikszene. | |
| Ihre Geschichte beruht auf Erlebnissen, die Magali Wolf* (Nachname | |
| geändert) und ihren DJ-Kolleg*innen beim Auflegen widerfahren sind. | |
| „[2][Es gibt eine strukturelle Benachteiligung und Unterrepräsentation]“, | |
| sagt Wolf. Die Berlinerin legt seit 2022 unter dem Namen 0megavybe auf. | |
| „Die Branche wird auf Social Media oft als hedonistisch und progressiv | |
| dargestellt, aber je tiefer man drin ist, desto mehr sieht man, wie auch | |
| hier patriarchale Strukturen reproduziert werden.“ | |
| ## Video-Performance „Old Boy Network“ | |
| Auf die branchenspezifischen Herausforderungen macht Wolf in ihrer | |
| Video-Performance „Old Boy Network“ aufmerksam, das auf einer Umfrage und | |
| Interviews mit 60 Flintas* aus der Musikszene basiert. Als „Old Boy | |
| Networks“ sind die männerdominierten Strukturen bekannt, die sich im Laufe | |
| der Jahrzehnte aufgrund des fehlenden Zugangs für Flinta*-Personen | |
| etabliert haben. In dem Video streift eine Frau in Unterwäsche, mit | |
| entstellter Maske und Perücke, ungelenk und zitternd durch einen Raum, der | |
| an ein Verhörraum erinnert. Sie wird aus verschiedenen Perspektiven | |
| beobachtet, beurteilt, sexualisiert und objektifiziert. Dann berichtet sie | |
| von den oben geschilderten Erfahrungen. | |
| „Die Bilder greifen Mechanismen auf, die in der Branche allgegenwärtig | |
| sind“, erklärt Wolf: Unterrepräsentation, strukturelle Diskriminierung, | |
| Objektifizierung und Sexualisierung. „Dem zugrunde liegt die sich bis heute | |
| hartnäckig haltende, überholte Überzeugung: Weiblichkeit und technische | |
| Kompetenz seien unvereinbar.“ | |
| [3][In konventionellen Festivals und Clubs ist das Line-Up cis-männlich | |
| dominiert.] Beim Hurricane Festival, einem der größten Musikfestivals in | |
| Deutschland, waren im Jahr 2023 72 Prozent aller Acts cis-Männer. 2022 und | |
| 2023 lag der Flinta*-Anteil bei Festivals bundesweit bei rund 30 Prozent – | |
| und das war schon ein enormer Anstieg gegenüber 2012, als nur jeder zehnte | |
| Act eine Flinta* war. Das ergab eine Studie des Musiker*innen-Netzwerks | |
| female:pressure. | |
| „Es ist klassisches Gatekeeping“, sagt Wolf – also ein Ausschluss | |
| bestimmter Personengruppen aus Räumen durch intransparente Strukturen. „Die | |
| Netzwerke von Clubpromotern, DJs und Booking-Agenturen wurden seit | |
| Jahrzehnten von cis-Männern aufgebaut. Kumpels buchen Kumpels. Für Flinta* | |
| gibt es weniger Vernetzungsmöglichkeiten und Förderung“, sagt Magali Wolf. | |
| ## Mehr Sichtbarkeit von Flinta*-DJs | |
| Immerhin: In den letzten Jahren ist die Sichtbarkeit von Flinta*-DJs | |
| gewachsen. Es werden mehr Flinta* gebucht, einige Clubs und Festivals | |
| setzen inzwischen auf Quoten. Doch damit geht ein anderes Problem einher: | |
| „Flinta* kriegen häufig nur als tokenisierte Flinta*-Acts einen Platz im | |
| Lineup“, sagt Wolf. Das heißt, sie werden nur als Repräsentant*innen | |
| ihrer Gruppe gebucht, um Anerkennung für eine vermeintliche Diversität zu | |
| erhalten. | |
| Dadurch müssten Flinta* häufig höhere Erwartungen erfüllen, um zu beweisen, | |
| dass sie nicht wegen ihres Aussehens, oder um eine Quote zu erfüllen, | |
| gebucht wurden – sondern weil „wirklich auflegen können“, sagt Wolf. „… | |
| sexuelle Belästigungen von Promoter- oder Publikumsseite können dazukommen, | |
| was das Arbeitsumfeld oftmals nicht zu einem safe space macht.“ In der | |
| anonymen Umfrage für ihr Videoprojekt hätten sich Aussagen gehäuft, wie: | |
| „Manchmal haben sich die Booker meine Musik nicht einmal angehört. Sie | |
| passt aber mit dem Rest der Musik auf dem Line-up überhaupt nicht | |
| zusammen.“ | |
| Es ist ein Gefühl, mit dem Wolf nicht allein ist. „Jede Flinta*-Person hat | |
| diesen Gedanken schon mal gehabt“, sagt Marie Midori. „Manchmal wird man | |
| auch tatsächlich als Quoten-DJ gebucht. Dann muss man es eben einfach für | |
| sich nutzen.“ Midori ist Berliner DJ und seit 12 Jahren in der Szene aktiv. | |
| In der Zeit habe sich schon einiges in puncto Geschlechtergerechtigkeit | |
| getan, jedoch noch lange nicht genug, sagt Midori. | |
| Viele Flinta*-DJs fühlen sich dadurch herabgesetzt, dass ihr Aussehen oder | |
| Geschlecht über ihre musikalischen Fähigkeiten gestellt wird. Technisches | |
| Know-how wird ihnen häufig abgesprochen. Wolf sagt, dass ihr immer wieder | |
| berichtet werde, wie Männer einfach ins Pult greifen und das Setup und | |
| Equipment ungefragt erklären. Bei einem ihrer Auftritte habe ein Techniker | |
| ungefragt über ihren Mixer gefachsimpelt. „Ich war total perplex, warum er | |
| mir mein Arbeitsmedium erklärt. Dann habe ich ihn gefragt, ob er nicht | |
| vielleicht lieber auflegen will“, erzählt sie und lacht. | |
| ## Hohe Gender Pay Gap | |
| Ein weiteres Problem ist die ungleiche Bezahlung. Zum Gender Pay Gap im | |
| DJ-Beruf gibt es kaum belastbare Studien. Eine Untersuchung aus den USA von | |
| 2019 belegt jedoch eine Lohnlücke von über 70 Prozent: Gigs, für die | |
| cis-Männer einen Dollar erhalten, verdienen Flinta* im Schnitt nur 28 Cent. | |
| Auch Wolf berichtet: „Promoter machen für Flinta* oft absurd niedrige | |
| Gagenangebote.“ Aus der prekären Lage resultiere ein stärkerer Druck, sich | |
| zu beweisen. Der Konkurrenz-Gedanke unter Flinta* werde gepusht, wodurch es | |
| schwieriger werde, sich Netzwerke zu schaffen und sich gegenseitig zu | |
| unterstützen. | |
| Statt sich vom Konkurrenzdruck entzweien zu lassen, setzen Flinta*-DJs wie | |
| Magali Wolf und Marie Midori auf Gemeinschaft. Wolf ist Teil des Berliner | |
| Flinta*-only Layers Collective, das sich nicht nur gegenseitig unterstützt, | |
| sondern auch Workshops für Flinta*-DJs organisiert – ein Safer Space für | |
| mehr Teilhabe. Andere Kollektive in Berlin, wie Femme Bass Mafia oder | |
| Hoe_mies, verfolgen ähnliche Ansätze. | |
| „Aber es sind immer noch viel zu wenige, um alle Personen abzudecken, die | |
| Lust darauf hätten“, sagt Wolf. Midori bestätigt das: „Wir hatten zwischen | |
| 150 und 180 Bewerbungen, konnten aber nur 6 Personen annehmen.“ Auch Midori | |
| ist Teil eines Flinta*-Projekts, Femme Bass Mafia (FBM). Das Projekt bietet | |
| Flinta* einen sicheren Raum zum Erlernen und Ausüben von DJing und | |
| Musikproduktions-Workshops. Das Ziel: Konkurrenz durch Kooperation | |
| ersetzen. | |
| FBM wurde vor 5 Jahren von Lilia van Beukering (DJ-Name: Dangermami) ins | |
| Leben gerufen, weil ihr, als sie mit dem Auflegen anfing, ein geschützter | |
| Raum für Flinta* zum Lernen fehlte. Also trommelte sie bekannte Flinta* DJs | |
| zusammen und schuf eine Alternative. | |
| ## Solidarität unter Flinta*-DJs | |
| Ursprünglich war das Programm als sechsmonatiger Workshop angelegt, | |
| bestehend aus Theorie und Praxis: von Genre-Kenntnissen, Booking-Strukturen | |
| und Software-Einführung bis zu Übergangstechniken und künstlerischer | |
| Entwicklung. Sieben Mentor*innen unterrichteten im Zwei-Wochen-Rhythmus. | |
| Zum Abschluss spielten die Teilnehmer*innen Sets in der Palomabar und | |
| in der Klappe am Mehringdamm. Inzwischen bieten sie dreimonatige | |
| Workshop-Module mit spezifischen Schwerpunkten an. Daran können deutlich | |
| mehr Personen teilnehmen, als an den sechsmonatigen Workshops. | |
| „Ich merke in den Workshops, dass Flinta* dazu neigen, sich kleiner zu | |
| machen, als sie sind, dass sie sich entschuldigen, wenn sie etwas falsch | |
| machen“, sagt Midori. Diese Unsicherheiten und Selbstzweifel erschwerten | |
| Lernprozesse, besonders in einem von Männern dominierten Bereich wie der | |
| Musikindustrie. | |
| FBM will dem entgegenwirken, doch die Workshops sind zeit- und | |
| ressourcenaufwendig. Das Projekt erhielt eine Förderung vom Musicboard, die | |
| es ermöglichte, Praxis-Sessions für die Teilnehmer*innen zu finanzieren | |
| und den Mentor*innen ein symbolisches Gehalt auszuzahlen. „Mit der | |
| gesamten Organisation lief es für uns Mentor*innen jedoch auf wahnsinnig | |
| viel unbezahlte Arbeit hinaus“, sagt Midori. Auch beim Layers Collective | |
| ist das Geld knapp. Die Workshop-Kosten mussten die Gründerinnen anfangs | |
| aus eigener Tasche zahlen. Eine Auszeichnung beim „Tag der Clubkultur“ | |
| brachte ihnen 10.000 Euro – ein Anfang, aber nicht genug. | |
| ## Forderungen nach mehr Unterstützung von cis-DJs | |
| Von Unterstützungen wie dieser wünschen sich Wolf und Midori mehr. „Es | |
| müssen mehr weiße cis-Männer ihre Privilegien und Reichweite nutzen, um | |
| Flinta* zu fördern, etwa indem sie Räume für Austausch schaffen, Clubräume | |
| zur Verfügung stellen und gezielt diese Kollektive einladen“, fordert Wolf. | |
| Außerdem wünscht sie sich, dass cis-männliche DJs mehr hinterfragen, wie | |
| Support geleistet oder sichere Räume gewährt werden können. Das gelte vor | |
| allem für große Player: „Je größer die Festivals oder Clubs und je | |
| bekannter die Acts, desto mehr Hierarchien, sexistisches Verhalten und | |
| ungerechte Gehälter gibt es.“ | |
| Marie Midori schlägt vor: cis-Männer könnten in ihrem Booking-Rider, also | |
| den vertraglichen Zusatzbedingungen für ihre Buchung, festlegen, dass sie | |
| nur auf einem Line-up stehen wollen, wenn es divers besetzt ist – etwa mit | |
| mindestens 50 Prozent Flinta*-Artists. „Vor allem, wenn das größere DJs | |
| täten, die es sich leisten können, würde sich sehr viel ändern.“ Aber den | |
| meisten scheine das Thema ziemlich egal zu sein, glaubt Midori. | |
| 24 Jul 2025 | |
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| Lilly Schröder | |
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