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# taz.de -- Sexismus in der elektronischen Musikszene: Zwischen Harmonie und Se…
> Die Clubszene gibt sich gerne offen und sicher für Flinta*. Aber auch
> dort herrscht Sexismus. Unsere Gastautorin ist DJ und fordert
> Veränderung.
Bild: Marie Montexier an den Reglern
Die elektronische Musikszene gibt vor, sich verändert zu haben. Zwar
dominieren immer noch männliche DJs die Line-ups, doch die Quote an Flinta*
DJs hinter den Decks steigt, also die von Frauen, lesbischen,
intersexuellen, nicht binären, trans* und agender Personen. Überall heißt
es: „Frauen mischen jetzt auch mit.“ Aber dieses Motto droht zur leeren
Phrase zu geraten. Denn die Szene ist weit davon entfernt, Räume für alle
gleichermaßen safe zu gestalten.
„Safe(r) spaces“ zu etablieren gilt als Maxime in unserer Szene,
Veranstalter*innen bemühen sich darum, einen ihrer Meinung nach
„saferen“ Raum zur individuellen Entfaltung und des sicheren Feierns zu
gestalten. Doch wie verhält es sich nicht nur als Gast oder Gästin* in
einem [1][Club], sondern auch als auftretende Künstlerin hinter der Bühne?
Inwieweit wird sich kritisch mit Strukturen innerhalb der Clubszene
auseinandergesetzt? Sind die spaces jetzt wirklich safer?
Über die negativen Erfahrungen als weibliche DJ und die damit verbundenen
unbequemen Wahrheiten wird bis heute gar nicht oder kaum berichtet – auch
nicht von denjenigen, die sich selbst ein hohes Maß an Sensibilität für den
Umgang mit sexistischen Strukturen zuschreiben würden.
## Dankbarkeit, Wut und Trauer
Seit ungefähr zwei Jahren bin ich selbstständige Künstlerin und werde
seitdem regelmäßig international als DJ gebucht. Meine Leidenschaft,
Platten aufzulegen begann in Köln. Fünf Jahre später zog es mich für mein
Soziologiestudium nach Leipzig. Seitdem bewege mich in der elektronischen
Musikszene, arbeite mittlerweile hauptberuflich als DJ und absolviere um
die zehn bis zwölf Auftritte im Monat in Deutschland, Europa und darüber
hinaus.
Nach einem langen Wochenende mit mehreren Auftritten bin ich in der Regel
dankbar für die Erfahrungen. Allerdings mischt sich in dieses Gefühl meist
auch Wut und Trauer. In meinem Alltag als Künstlerin sehe ich mich immer
wieder diskriminierenden, sexistischen und übergriffigen Handlungen
ausgesetzt.
Ich muss sie über mich ergehen lassen, nicht nur im Club sondern auch auf
dem Weg dorthin. Wenn ich alleine am Bahnhof stehe und mir sexistische
Kommentare hinterhergerufen werden. Oder wenn der Taxifahrer mir sagt, „wie
gut ich aussehe“ und „dass ich ja auch modeln könnte, weil meine Figur so
schön schlank ist“.
Auf Instagram erhalte ich Nachrichten von älteren Männern, die sich als
Sugar Daddy anbieten oder mir Geld versprechen, wenn ich ihnen explizite
Bilder von mir schicke. Hinzu kommen die Erfahrungen, die ich mit Promotern
und anderen männlichen DJs innerhalb des Clubkontextes mache.
Die Situationen, in denen sie mir zu nahe kommen, mich gar anfassen und
sich anderweitig übergriffig verhalten, häufen sich. Einmal schrieb mir ein
sehr bekannter männlicher DJ und fragte mich nach Nacktfotos.
Zu oft schon wurde mir während des Gigs von einem Promoter oder einem
männlichen DJ ungefragt ein Kuss irgendwo hingedrückt. Von anderen bekam
ich anschließend Nachrichten zugeschickt, „dass wir doch mal zu zweit etwas
trinken gehen könnten“ oder wir uns „privat treffen könnten, wenn ich Lust
hätte“.
## Ein Höhepunkt
Doch einige solch negativer Erfahrungen erlebe ich, bevor ich einen Club
überhaupt betrete. Ich reise meist ohne Begleitung, häufiger in Städte, die
ich nicht kenne. Einen vorläufigen Höhepunkt erlebte ich vor wenigen Wochen
bei einem Gig in Danzig – in der eine übergriffige Situation auf die
nächste folgte.
Schon im Taxi, das die Veranstalterin im Vorhinein gerufen hatten, wurde
ich von einem unbekannten Mitfahrer bedrängt. Ich sollte ihm beweisen, dass
ich wirklich ein DJ war, denn er wollte unbedingt ein Set von mir hören.
Mehrfach verneinte ich und sagte, ich fühle mich unwohl damit, jetzt ein
Set von mir anzumachen. Er drängte mich weiter dazu, bis ich ihn
schließlich aufforderte, es sein zu lassen. Daraufhin wechselte er ins
Polnische und ließ sich beim Fahrer über mich aus, im Glauben, ich würde
ihn dabei nicht verstehen. Er beleidigte mich als „Hure“, weil ich seinen
Willen nicht erfüllt hatte. Ich rief die Promoterin an. Ich war dankbar,
dass ich an diesem Abend eine Frau als Promoterin hatte. Das kommt nicht
häufig vor.
Angekommen im Club bahnte ich mir den Weg durch die Menge. Ein Mann
versuchte, mir an die Brust zu fassen, ich schlug seine Hand weg. Hinter
der Bühne bereitete ich mich vor und begann schließlich mein Set. Mich
überkam Unwohlsein, als ich vorne eine Gruppe oberkörperfreier Männer sah,
die andere Personen aus der ersten Reihe wegdrängten. Ich suchte
Blickkontakt mit den Personen aus dem Publikum. Eine Geste, in der ich
versuchte, ihnen meine Aufmerksamkeit zu widmen, damit sie sich gesehen
fühlen. Sie wiederum gaben mir dafür ein kleines Gefühl von Sicherheit
zurück, in dem sie den Blickkontakt erwiderten. Wenige Minuten später hielt
ein Mann aus der Menge sein Handy hoch: „Can I have your number?“ hatte er
eingetippt. Ich reagierte mit meinem Mittelfinger.
Mit gemischten Gefühlen verließ ich Club, in dem Wissen, dass die
Gäst*innen auf der Tanzfläche expliziteren und teils gewalttätigeren
Formen von Sexismus ausgesetzt sein könnten. Auf der Bühne zu stehen,
bedeutet schließlich eine sichere Position in diesem Setting einzunehmen –
zumindest für den Moment. Flinta* Personen auf der Tanzfläche genießen
dieses Privileg nicht.
## Reden als Risiko
Nicht zum ersten Mal war ich solch einer Situation ausgesetzt. In vielen
Clubs weltweit habe ich ähnliche Erfahrungen gemacht, doch all das bekommt
die Öffentlichkeit nicht mit. Denn natürlich ist es schwierig, von einer
freien Rave Culture zu sprechen und im gleichen Atemzug ein Bewusstsein für
vorhandene Missstände und Ungleichheiten zu begründen.
Wird das Problem einmal besprochen, soll ein Awareness-Team die Lösung
sein. Sie sollen als Ansprechpartner*innen in der Clubnacht fungieren.
Aber sind sie überhaupt ausreichend geschult? Und ein Awareness-Team allein
reicht nicht aus, um einen ganzen Club zu einem sicheren Umfeld zu machen.
Darüber ehrlich zu sprechen, ist für Künstler*innen ein Risiko. Der
Awareness- und Safer-Space-Heiligenschein auf [2][Social Media] und im
Nachtleben blendet uns. So sehr, dass wir es nicht wagen, ihn abzunehmen
und unsere Meinung über solche Situationen kundzutun. Denn will ich mich
unbeliebt machen, weil ich als weibliche DJ über die negativen Erfahrungen
bei meinen Gigs meckere? Und will ausgerechnet ich diejenige sein, die die
kollektive Harmonie stört, weil ich auf die Missstände hinweise, anstatt
den Blick auf das Positive zu richten und damit alles andere auszublenden?
Und so strahlt der Heiligenschein weiterhin über die Clubkultur, die – wie
die restliche Welt auch – immer noch fest verankerten patriarchalen
Strukturen und Denkmustern unterliegt.
Wenn ich mit Kolleg*innen spreche, teilen sie diese Erfahrungen. Hinzu
kommen ihre Erlebnisse, die nicht nur sexistischer Natur sind, sondern auch
intersektional sein können und sich beispielsweise mit Rassismuserfahrungen
vermengen. Auch sie sind es leid, darüber zu sprechen. Sie sind es leid,
dass feministische und intersektionale Räume noch immer erkämpft werden
müssen. Viele von uns haben die Erfahrung gemacht, dass wir nicht ernst
genommen und unsere Erlebnisse kleingeredet wurden. Der vielbeschworene
Safe Space scheint dann auf einmal nicht mehr vorhanden zu sein. Ich auf
jeden Fall sehe diesen Raum nicht. Dabei wäre er notwendig, damit wir
miteinander sprechen können.
Diesen Raum kann es nur geben, wenn auch männliche Kollegen, Promoter und
DJs sich klar positionieren und ihr eigenes Handeln und ihre eigene soziale
Stellung überdenken. Denn eine Positionierung sollte nicht immer nur von
Betroffenen eingenommen werden.
Diskussionsrunden oder professionell geleitete Workshops von
Antidiskriminierungsbeauftragten innerhalb eines Clubs können diesen
Prozess unterstützen. Eine Inklusions-Klausel im Rider jede*r
Künstler*in könnte zu Denkanstößen und anschließend verändernden
Maßnahmen führen. Promoter*innen und Clubbesitzer*innen müssen die
eigenen internen Clubstrukturen stetig reflektieren und sich kritisch damit
auseinandersetzen, um diese Räume entsprechend safe zu gestalten. Denn
offene Räume brauchen auch Raum für Kritik.
20 Oct 2022
## LINKS
[1] /Clubs/!t5010302
[2] /Social-Media/!t5016486
## AUTOREN
Marie Montexier
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