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# taz.de -- Sexualtherapeut:innen über Tantra-Szene: „Enormes Potenzial für…
> Tantra boomt. Doch oft fehle das Bewusstsein für Trauma und
> Übergriffigkeit, sagen Sexualtherapeutin Susann Surber und
> Intimitätscoach Ondra Veltruský.
Bild: Susann Surber (l.) und Ondra Veltruský warnen vor sexualisierter Gewalt …
Ein Wohnzimmer in Prenzlauer Berg in Berlin. Susann Surber ist aus Freiburg
angereist und Ondra Veltruský aus Köln. Vor sechs Jahren haben die beiden
sich im Sexological-Bodywork-Training kennengelernt und sind verschiedene
Wege gegangen, aber in Kontakt geblieben. Beide sind offen, aber auch
nervös. Veltruský hat sich viele Notizen gemacht. Sie sind vorsichtig,
keine Namen zu nennen. Das Gespräch mit der taz am wochenende haben wir
seit langem anvisiert und mehrfach vorher besprochen.
taz am wochenende: Susann Surber, Sie arbeiten als Sexualtherapeutin. Ondra
Veltruský, Sie sind Intimitätscoach. Hat man mit Ihren Berufen zwangsläufig
ein aufregendes Liebesleben?
Susann Surber: Klar, das ist sicherlich die Idealvorstellung, die viele
haben. Als Sexualtherapeutin kenne ich aber viele Höhen und Tiefen auch
persönlich.
Ondra Veltruský: Solche Vorstellungen gibt es schon, dass man besonders
toll im Bett ist. Ich trenne mein Sexualleben jedoch komplett von der
Arbeit. In Bezug auf Ethik, worüber wir ja reden wollen, ist es auf jeden
Fall ganz entscheidend, dass ich dabei nicht meine eigenen Bedürfnisse
befriedige.
Herr Veltruský, Sie machen Coaching und Körperarbeit. Wer kommt zu Ihnen?
Veltruský: Die meisten sind heterosexuelle Frauen, es kommen aber auch
Menschen mit anderen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen.
Manchmal auch Paare. Ich war auch zwei Jahre lang Tantramasseur. Die
klassische Tantramassage ist ein Ritual, um Lust zu erleben und ins Spüren
zu kommen. Aber nicht alle Menschen sind in der Lage, das zu genießen, weil
der Weg zur genitalen oder analen Berührung manchmal viel zu schnell ist.
Daher arbeite ich mittlerweile lieber mit Coaching und somatischen
Methoden, die traumasensibler sind.
Wie stelle ich mir das vor?
Veltruský: Sich erst mal langsam gemeinsam dem Körper nähern und die
Aufmerksamkeit auf ihn richten, indem wir beide darüber reden – nicht zu
viel, nicht zu schnell. Wie kann ich wissen, was mir gut tut, wenn ich es
nicht kenne? Da tasten wir uns gemeinsam vor. Wenn du noch nicht mal eine
Berührung am Arm genießen kannst, ist es sicher nicht sinnvoll, dass wir in
einer Session an deine Vulva gehen.
Surber: Erst mal muss man sich selbst spüren: Welche Bedürfnisse und
Grenzen habe ich gerade? Wenn aber von vornherein ein von außen
aufgedrücktes Programm durchgezogen wird, wird es hakelig. Da geht man
schnell zehn Schritte zu weit.
Sie bieten zwar kein Neo-Tantra an, sind aber damit vertraut. Was ist der
Reiz daran?
Surber: Viele Menschen sehnen sich nach weniger Leistungsdruck beim Sex,
oder auch einer ganz anderen Herangehensweise – jenseits dessen, was wir in
den meisten Filmen und Pornos sehen. Genau dieses Versprechen machen
Neo-Tantra und „Slow Sex“.
Veltruský: Auch ohne einen Partner erleben viele dabei Lust und vielleicht
einen Orgasmus. Das ist wertvoll und eine legitime Dienstleistung. Viele
Männer kennen es zum Beispiel nicht, dass der Penis lange und zärtlich
berührt wird ohne die Intention, zu ejakulieren.
Der Tantra-Markt boomt weltweit. Es gibt Festivals, Kurse und
„Tempel-Zeremonien“, vor allem im Berliner Raum. Sie beide warnen davor,
dass es im Rahmen dieser Angebote auch zu Übergriffen kommen kann. Wo wird
es grenzwertig?
Veltruský: Wenn Tantra als Allheilmittel für alle sexuellen Probleme
gesehen wird. In der Tantramassage zum Beispiel sind alle Beteiligten
nackt, aber ist das wirklich immer stimmig? Vielleicht schaltet man seinen
inneren Kompass aus und entscheidet im Kopf, das jetzt zu machen, aber der
Körper sagt, „ich will das nicht“. Ich bezweifle, dass die meisten
Tantramasseur:innen überhaupt geschult sind, das zu erkennen – obwohl
es natürlich auch Anbieter:innen gibt, die das gut machen. Meist fehlt
aber ein Hinweis zu Risiken und Nebenwirkungen. Es ist nicht für jeden
geeignet, gerade mit Trauma im Körper und ohne psychologische Begleitung.
Tantriker sprechen von „Energie“, die heilende Kräfte hat.
Surber: Klar können solche positiven Suggestionen heilsam sein. Die Dogmen,
die dabei vermittelt werden, bergen aber auch ein enormes Potenzial für
Manipulation und Missbrauch. Da ist zum Beispiel die Polaritätenlehre: dass
es nur Männer und Frauen gibt und denen dann auch noch bestimmte enge
Rollen zugeschrieben werden. Das ist sehr patriarchalisch, mit
Esoterik-Sprech: Männer müssen dominant sein, Frauen sich hingeben und
öffnen.
Veltruský: Selbst diejenigen, die die Geschlechts- und Machtdynamiken nicht
schönreden und nicht so binär denken – meistens Jüngere –, stoßen auf d…
Widerstand der Älteren und Gurus, die meist in den 70er und 80er Jahren
sozialisiert wurden. Leider distanzieren sich auch die progressiveren Leute
nicht von den Schulen, die Missbrauch in ihren Reihen dulden. Es ist ein
Dilemma.
Im Ausbildungsinstitut [1][Agama Yoga in Thailand wurden diese Rollen bis
zum Extrem praktiziert – es endete in Vergewaltigung]. Die Tantraschule
hatte 2018 einen großen #MeToo-Skandal mit Missbrauchsvorwürfen von 31
Frauen. Doch niemand wurde belangt, und bis heute tut man dort, als sei
nichts passiert.
Surber: Das ist ein typischer und leider juristisch schwer
nachzuverfolgender Weg, wie damit umgegangen wurde. Nachdem die Vorwürfe
publik wurden, ging der Guru einfach einige Monate außer Landes. Damals war
Vergewaltigung in Thailand aber bereits nach drei Monaten verjährt, und es
wurde weitergemacht wie vorher. Darüber hinaus hat man übrigens bei Agama
keine Kondome benutzt mit der Begründung: Wenn deine Vibration hoch genug
ist, dann kannst du keine Geschlechtskrankheiten übertragen. Das ist
natürlich hanebüchener Unsinn.
Bei Agama passierten die angeblichen Vergewaltigungen auch nach
Yoni-Massagen (eine Genitalmassage für Menschen mit Vulva).
Veltruský: Wenn jemand eine frühere Traumaerfahrung hatte, kann solch eine
intime Situation schnell überfordern. Ich kenne keinen
Tantramassage-Verband in Deutschland, der ausdrücklich Sex mit den
Klient:innen nach einer Massage ausschließt, zum Beispiel eine Stunde
später. In der Branche ist es noch nicht etabliert, dass das etwas
Problematisches ist. In jedem anderen Beruf wie Psychotherapie oder
Medizin, wo man auf einer so persönlichen Ebene mit Menschen arbeitet,
würde einem sofort die Approbation entzogen. Bei einer professionellen
Dienstleistung geht man als Kundin nicht davon aus, dass Sex danach dazu
gehört.
Surber: Was da abläuft, kann ein völliges Gefühlschaos sein, aber auch ein
Einfrieren – man kann nicht mehr ja oder nein sagen, verliert die
Kontrolle. Typisch ist auch „people pleasing“: Man macht mit, was
erwartet wird. Dazu braucht es nicht mal Missbrauchserfahrung. Wir Frauen
sind sozialisiert, Dinge für andere zu tun, gefallen zu müssen. Und leider
gibt es in der Szene viele Lehrer, die genau solches Verhalten ausnutzen
oder ihre Schüler gezielt manipulieren, damit sie über ihre Grenzen gehen.
Gibt es auch Übergriffe auf Männer?
Veltruský: Das ist ein völliges Tabu, aber es passiert. Im hocherregten
Zustand ist es schwer, nein zu sagen. Im Nachhinein merkst du aber, dass du
das nicht wolltest. Und alle würden später lachen, nach dem Motto: „Wo ist
das Problem, du hast doch mehr bekommen!“ Dazu passt der hartnäckige
Mythos, dass Männer immer Sex wollen.
Surber: Klar, das gibt es, wenn auch sehr viel seltener. Wenn man eine
Erektion hat, einen Orgasmus bekommt oder feucht wird, sagt das nichts
darüber aus, ob man Geschlechtsverkehr haben möchte. Leider ist das vielen
bis heute nicht bewusst.
Sie sind eine der wenigen, die über die Schattenseite reden. Welche Fälle
sind besonders krass?
Veltruský: In Tschechien, wo ich ursprünglich herkomme, gab es den Guru
Jára: Er behauptete, Frauen durch tantrischen Sex ihre energetischen
„Haken“ rauszuziehen. Der wurde wegen Vergewaltigung zu einer
Gefängnisstrafe verurteilt. Seine Partnerin half ihm beim Grooming, so wie
[2][Ghislaine Maxwell Jeffrey Epstein]. Darüber hinaus gibt es Dutzende
Missbrauchsfälle im europäischen [3][Sexological Bodywork].
SexBod, wie Sie es nennen, gilt doch als ethisch vorbildlich: Kein Sex mit
Klient:innen, kein esoterischer Überbau, sondern intime Körperarbeit. Sogar
[4][Gwyneth Paltrow] hat dieses Modell in ihrer Netflix-Serie angepriesen.
(beide lachen auf und verdrehen die Augen)
Veltruský: Sexological Bodywork wurde vor 20 Jahren von Joseph Kramer in
Kalifornien gegründet, ohne jegliche Trauma-Kunde. Der Fokus war
Genitalberührung und Trance. Ethik war kein Thema. Erst im vergangenen Jahr
hat der europäische Berufsverband beschlossen, dass man mit Klient:innen
keinen Sex zu haben hat. Ich habe in Australien, der Schweiz und in
Tschechien gelernt. Da gibt es alarmierende Unterschiede in den
Qualitätsstandards.
Surber: Ein großes Problem ist, dass es kaum professionelle Regeln gibt.
Sex mit Klient:innen hat keine Konsequenzen.
Geht es Ihnen um diese professionellen Mängel?
Surber: Was in der Ausbildung vermittelt wird, reicht in der Praxis nicht
aus. Beispielsweise fehlt das Wissen zu sexuellen Störungen, zu Traumata
und zu den Auswirkungen von Krankheiten und Medikamenten. Die begegnen
einem ja bei den meisten.
Veltruský: Ich behaupte sogar, manche Lehrer sind nicht professionell genug
und traumatisieren dadurch Menschen. Ich habe mich von SexBod distanziert,
weil zu viel Missbrauch stattfindet, der nicht aufgeklärt wird. In einem
Fall war es so: Die Frau bekommt eine Vaginalmassage, liegt auf dem Bauch,
und plötzlich ist das nicht mehr der Finger, sondern der Penis. Sie geht in
eine komplette Starre.
Auch da gab es Verurteilungen?
Veltruský: Es ging durch die tschechische Presse und kam zu Anzeigen, aber
die wurden am Ende fallengelassen. Die Polizei ist dafür überhaupt nicht
sensibilisiert. Es fehlt bei vielen Beamten völlig das Bewusstsein, wo
Missbrauch anfängt und was Trauma ist. Auch in Deutschland.
Erst recht, wenn sich eine Frau für Geld genital berühren lässt?
Surber: Wenn man eine Vergewaltigung anzeigt, werden nur 10 Prozent der
Täter verurteilt, weil oft Aussage gegen Aussage steht. Zudem werden die
Opfer immer noch oft gefragt, was sie anhatten oder getrunken haben – als
ob das etwas zur Sache täte. Jetzt stell dir vor, du musst erklären, dass
du nackt auf einem Massagetisch gelegen hast – da hast du von vornherein
noch mehr Vorurteile gegen dich als Opfer. Dazu kommen juristische Hürden,
zum Beispiel bei internationalen Sekten wie Agama: Die Vergewaltigte kommt
aus Australien, der Täter aus Rumänien, die Tat geschah in Thailand – da
ist der Rechtsweg noch schwieriger.
Nicht immer sind das Fälle für die Polizei. Welche subtileren Übergriffe in
Workshops kennen Sie?
Surber: Wenn man zum Beispiel in einem Kurs mit jemandem eine Partnerübung
nicht machen möchte, wird oft gesagt: „Du musst dir anschauen, warum dich
dieser Mensch triggert, und deine Muster überwinden.“ Auch wenn das in
manchen Fällen hilfreich sein kann, wird damit mein Recht, über den eigenen
Körper zu bestimmen, subtil negiert. Mir wurde zum Beispiel in langen
E-Mails von einem Lehrer erklärt, dass ich meine von mir gesetzten Grenzen
überschreiten sollte.
Veltruský: Was ich häufig erlebe, mit Freund:innen und Kolleg:innen: Erst
mal wird beschwichtigt. Die meisten relativieren und sagen „Ja, aber“.
Leider auch Frauen. Für mich völlig unverständlich!
Seit wann engagieren Sie sich gegen sexualisierte Gewalt in Ihrer Branche?
Veltruský: Als 2016 die ersten Fälle aufkamen, haben ich und andere im
SexBod versucht, was dagegen zu machen und haben die Initiative
We-can-do-better.com gestartet. Die, die anfangs dabei waren – auch Joseph
Kramer –, haben aber dann das Interesse an der Aufarbeitung verloren.
Warum?
Veltruský: Bei vielen hat wohl die Angst vor Rufschädigung überwogen. Und
finanzieller Opportunismus. Die meisten, die damals protestierten, sind
jetzt wieder Teil des Systems. Keiner will wirklich hinschauen, genau wie
bei #MeToo. Meine Motive werden hinterfragt. Darum habe ich diese Community
verlassen. Es war ein Dilemma, mich „Sexological Bodyworker“ zu nennen. Ich
würde mich ja auch nicht als Trainee von Epstein oder Weinstein
präsentieren.
Surber: SexBod verkauft seine Methode als etwas, das es nie sein konnte.
Ursprünglich wurde es für schwule Männer während der Aids-Epidemie
erfunden, um andere Wege zu finden, miteinander Safer Sex zu haben. Aber
wenn man es als Lösung für alle möglichen Probleme anbietet, ohne es
wirklich weiterzuentwickeln, ist das fahrlässig und irreführend.
Retraumatisierung und Übergriffigkeit wird auch ISTA (International School
of Temple Arts) vorgeworfen. Diese „Schule für Tempelkünste“ steht unter
anderem wegen Sex zwischen Lehrern und Schülern in Verruf und hat in Israel
vorerst alle Kurse gestoppt – auch wenn viele sagen, dass sie bei den
Trainings nichts Schlechtes erlebt haben.
Surber: Das ist doch ein Totschlagargument. Ich kann mit allem gute
Erfahrungen haben, mit Alkohol, mit Drogen, mit narzisstischen Menschen.
Dennoch sollte man vor all diesen Erfahrungen die Nutzen und Risiken gut
abwägen. Das Problem ist, dass für solche Kurse die Risiken nirgendwo klar
benannt werden.
Veltruský: Die sinnvolle Frage für mich ist: Habe ich eine Wahl? Wenn eine
starke Gruppendynamik herrscht und man viel Geld bezahlt hat, um
mitzumachen oder gar um einen Beruf zu erlernen, ist es wesentlich
schwieriger, sich abzugrenzen.
Wie sehen Sie die erotisch aufgeladene Ekstase in solchen als
„transformativ“ beworbenen Workshops?
Surber: Klar können diese schnellen, intensiven Erfahrungen sehr erfüllend
sein. Auch wenn das Versprechen „In einer Session bekommst du den Orgasmus
deines Lebens“ wohl in den seltensten Fällen gehalten wird. Gerade wenn man
sexuell traumatisiert ist, besteht bei diesen Extremerfahrungen aber die
Gefahr, dass dadurch das Trauma wieder durchlebt wird. Da ist eine
professionelle Traumatherapie und danach ein langsames Annähern an den
eigenen Körper besser geeignet.
Was ist mit „Ego ablegen“ oder „Grenzen sprengen“, wie es von spirituel…
Meistern gern propagiert wird?
Surber: Das ist der typische Bullshit. Im Prinzip sagt es ja: Ignoriere
deine Ängste, deine Scham und deine Grenzen. Die schützen uns aber meist
aus gutem Grund. Klar kann man sie hinterfragen und dann eventuell anpassen
– aber sie „abzulegen“ oder zu „sprengen“, macht einen nur leichter
manipulierbar. Krass ist auch die Behauptung, man ziehe schlechte
Erfahrungen mit dem eigenen Karma an. Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr. Oft
wird dem Opfer noch angeboten, das Ganze mit dem Täter „durchzuarbeiten“,
um es für die eigene Entwicklung nutzen zu können.
Veltruský: Die eigene Realität und Wahrnehmung wird durch Gaslighting der
Lehrer infrage gestellt. Wenn dann noch ungleiche Machtverhältnisse
herrschen und man sich in einem Umfeld befindet, wo man sich als
Teilnehmer:in eh schon genug hinterfragt, ist das leider eine sehr
effektive Manipulationstechnik.
Wie genau sieht das aus?
Veltruský: „Versuch es mit Großzügigkeit“, wurde mir gesagt. Oder es wird
vertuscht. Leute erzählen mir ständig Geschichten und sagen dann: „Aber sag
es nicht weiter!“ Alle haben Angst, und nichts passiert. Mir geht es nicht
nur um ein Ethikkonzept als solches, sondern darum, dass Freundinnen von
mir nicht weiter verletzt werden.
Surber: Was ich auch oft erlebt habe: Wenn eine Frau einen Mann abweist,
wird ihr schnell Männerhass attestiert und geraten, sie müsse ihren Schoß
oder ihr Herz mehr öffnen. Die eigene Misogynie wird dabei einfach
ausgeblendet.
Tantrischer Sexismus, obwohl das „göttliche Weibliche“ so verehrt wird?
Surber: Frauen, heißt es da gerne, hätten die Macht, weil sie sich
aussuchen können, mit wem sie ins Bett gehen.
Veltruský: Ich kenne konkrete Beispiele vom SexBod, wo eine Frau, die eine
bestimmte intime Übung nicht machen wollte, gefragt wurde: „Bist du eine
Männerhasserin?“ Ihr wurde nicht geholfen, stattdessen wurde sie
angegriffen.
Sektenähnliche Organisationen ändern sich selten von selbst, sondern die
Arbeit wird von Freiwilligen und Betroffenen gemacht, die selbst Hilfe
benötigen.
Surber: Wann hat das jemals funktioniert, dass Missbrauch von innen
angegangen wird? Meistens sitzen Gruppen und Religionsgemeinschaften es aus
und lassen Gras drüber wachsen. Was man nicht vergessen darf: Auch sie sind
auf Gewinn aus und wollen ihre Marke nicht beschädigen
Veltruský: Niemand beschmutzt das eigene Nest. Das war in der
Odenwaldschule und der katholischen Kirche auch nicht anders. Ich wünsche
mir eine öffentliche Distanzierung vom Missbrauch, bei der die eigene
Vergangenheit aufgearbeitet wird.
Spielt Ihre Kritik nicht Konservativen in die Hände, die sexpositive
experimentelle Räume moralisch ablehnen?
Veltruský: Wir müssen es schaffen zu sagen: Jemand hat eine gute Erfahrung
gehabt und jemand anders eine schlechte, und beides ist valide. Wir sind
auch Sigmund Freud dankbar für seine Pionierleistung, aber viele seiner
Erkenntnisse sind inzwischen überholt. Ganze Generationen lieben Harry
Potter, und trotzdem wird J.K. Rowling zu Recht für ihre [5][transphoben
Äußerungen] scharf angegriffen. Die Gründer von Bewegungen wie ISTA,
Neo-Tantra oder Sexological Bodywork wollten sich loslösen von alten
repressiven Strukturen. Aber wenn man 20 Jahre später einfach immer nur
blind weitermacht, trotz neuer psychologischer Erkenntnisse und #MeToo –
das funktioniert nicht.
Surber: Meiner Meinung nach sollte jemand, der bereits Missbrauch begangen
hat, nicht mehr in diesen Berufen arbeiten. Egal wie viel Aufarbeitung
jemand mit sich macht: Sucht euch doch lieber einen anderen Job und fasst
keine nackten Menschen mehr an.
Anke Richter, 58, ist taz-Kolumnistin und Korrespondentin in Neuseeland. Im
November erscheint dort bei HarperCollins ihr neues Buch Cult Trip, in dem
es auch um Agama Yoga und ihre ISTA-Erfahrung geht.
15 Oct 2022
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[1] https://www.zeit.de/zustimmung?url=https%3A%2F%2Fwww.zeit.de%2Fgesellschaft…
[2] /Missbrauchsskandal-um-Jeffrey-Epstein/!5864584
[3] /Zu-Besuch-in-einem-Kurs-zu-Konsens/!5598114
[4] /Sex-Education-und-Goop-Lab/!5656694
[5] /J-K-Rowlings-transfeindliche-Tweets/!5687871
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Anke Richter
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