# taz.de -- Hurenkongress in Berlin: Gegen die Kriminalisierung | |
> BDSM-Praktiken, Mythos Menschenhandel oder die Bedürfnisse von trans | |
> Sexarbeiter_innen: Die Themen beim diesjährigen Hurenkongress waren | |
> vielfältig. | |
Bild: Stark in ihrer Diversität: Teilnehmer_innen der Messe „World of Whorec… | |
Der Hurenkongress findet dieses Jahr in einem stillgelegten Supermarkt in | |
Berlin-Mitte statt: Überall stehen riesige Zelte, und rote Regenschirme | |
hängen von den Decken. Sie sind ein internationales Symbol der | |
Hurenbewegung und stehen für die Forderung nach Dekriminalisierung. Damit | |
ist gemeint, dass alle Gesetze, die Sexarbeit verbieten oder regulieren, | |
abgeschafft werden sollen. Auch in Deutschland, wo Sexarbeit historisch nie | |
verboten war, kämpfen Sexarbeiter_innen und Feminist_innen aktuell wieder | |
gegen einen konservativer werdenden Diskurs. So gründete die | |
SPD-Politikerin [1][Leni Breymaier] Anfang Juli einen | |
fraktionsübergreifenden Parlamentskreis zur Illegalisierung von | |
Prostitution. [2][Der Hurenkongress] kam also zu rechten Zeit. | |
Organisiert haben ihn der Berufsverband für erotische und sexuelle | |
Dienstleistungen BesD e.V. und weitere Aktivist_innen. Dieses Jahr ist er | |
erstmalig nur für Sexarbeiter_innen zugänglich. Am ersten Tag konnten 200 | |
Sexarbeiter_innen an praxisorientierten Workshops auf Deutsch und Englisch | |
teilnehmen oder die Zeit nutzen zu netzwerken. Am zweiten wurde im Stil | |
eines Barcamps über alle Themen gesprochen, die die Teilnehmer_innen | |
interessieren. Sozialarbeiter_innen und andere, die an der Branche | |
interessiert sind, aber selbst darin nicht arbeiten, durften nicht | |
teilnehmen. Für sie war lediglich die Messe „World of Whorecraft“ | |
vorgesehen, die im Anschluss an den Kongress am Samstag stattfand. | |
Traditionell werden Sexarbeiter_innen in zwei Extreme eingeordnet – | |
einerseits sind wir [3][arme Opfer von Menschenhandel] oder unserer eigenen | |
Naivität, andererseits sind wir selbstbestimmte Gutverdiener_innen, die mit | |
Genuss sexuelle Dienste anbieten. Unter den Begriff sex work, den die | |
US-amerikanische Sexarbeiterin Carol Leigh prägte, fallen alle Formen von | |
Lohnarbeit, die erotisch oder sexuell sind, nicht nur die Prostitution, in | |
der Geschlechtsverkehr angeboten wird. Auch Stripper_innen, | |
Pornodarsteller_innen oder Sugar Babies zählen dazu. Der Gedanke dahinter: | |
Wir werden alle von der gleichen, hurenfeindlichen Logik unterdrückt und | |
für unsere Arbeit beschämt und verfolgt. Darum wollen wir vereint gegen | |
diese Logik kämpfen, und uns nicht in gute und schlechte, prekäre und | |
privilegierte Arbeiter_innen spalten lassen. | |
Unter dieser Leitlinie steht auch der Hurenkongress. Mein Beitrag dazu ist | |
ein Workshop, den ich gemeinsam mit einer Kollegin gebe. Wir wollen die | |
Bedürfnisse von uns transgender, transsexuellen und nicht-binären | |
Sexarbeiter_innen in den Mittelpunkt stellen. Obwohl überdurchschnittlich | |
viele trans Personen der Sexarbeit nachgehen, weil sie vom traditionellen | |
Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, sind wir nicht so stark auf dem | |
Kongress vertreten. Als meine Kollegin und ich die Kongressteilnehmer_innen | |
zu unserem Workshop einladen, starren uns manche Huren ungläubig an. Sie | |
schauen so, wie die braven Bürger_innen draußen wohl starrten, würden wir | |
sie zum Bordellbesuch bitten. Immer wieder sagen sie: „Aber ich bin nicht | |
trans!“ Und wir sagen: „Der Workshop ist für alle, denn transgender Fragen | |
gehen uns alle an.“ | |
## Die Zeit reich kaum aus | |
Es stellt sich heraus, dass wir deutlich mehr Workshops mit transgender | |
Fokus gebraucht hätten, denn die Themenbreite ist groß: Trans | |
Sexarbeiter_innen werden von Onlineplattformen diskriminiert, in denen sie | |
sich unter beleidigenden Begriffen wie „Shemale“ einordnen müssen und die | |
nicht zwischen trans Männern und trans Frauen unterscheiden. Sie erfahren | |
Gewalt und Diskriminierung von ihren Kund_innen, die ihre internalisierte | |
Trans- und Homofeindlichkeit auf sie projizieren. Sie wünschen sich mehr | |
Solidarität von anderen Sexarbeiter_innen. Sie würden sich gern besser | |
vernetzen, um einander Tipps zu geben, die andere Sexarbeiter_innen ihnen | |
nicht geben können. Sie sind oft isoliert und werden von anderen | |
Sexarbeiter_innen nicht ernst genommen. | |
Die kurze Zeit des Workshops reicht kaum aus, um die Bedürfnisse zu | |
formulieren. Ein Sexarbeiter stellt das Berliner Projekt Trans Sexworks | |
vor, das vor allem von migrantischen trans Sexarbeiter_innen auf dem | |
Straßenstrich in Anspruch genommen wird. Dort können sie essen, sich | |
austauschen, duschen und sich für die Arbeit schminken. Da viele von ihnen | |
obdachlos sind, steht die Betriebsgründung oder eine Tantrafortbildung bei | |
ihnen aktuell nicht im Vordergrund. | |
Am Nachmittag sprechen zwei Referent_innen von der Gruppe Tamppep, einem | |
europäischen Netzwerk für die Förderung der Rechte und Gesundheit | |
migrantischer Sexarbeiter_innen, in einem anderen Workshop über den | |
Trafficking-Mythos. Mit dem Thema Menschenhandel werden früher oder später | |
alle konfrontiert, die über Sexarbeit sprechen möchten. Viele haben eine | |
Meinung, doch kaum jemand kennt sich wirklich damit aus. Die sogenannte | |
Rescue-Industrie, die es sich auf die Fahne schreibt, Opfer von | |
Menschenhandel in der Sexarbeit retten zu wollen, ist ein mit Millionen | |
finanzierter Komplex, an dessen Ende immer wieder Angebote stehen, die gar | |
keine Abnehmer_innen finden. Denn die Stereotype eines Trafficking-Opfers | |
entsprechen nicht der Realität, und all das Geld kann nicht an Personen | |
gehen, die gar nicht existieren. | |
Zugleich verursacht die Rescue-Industrie große Schäden, da Projekte, die | |
für Sexarbeiter_innen sind, ihre Ausrichtung verändern müssen, um weiter | |
finanziert zu werden. Die Definition von Trafficking umfasst drei Punkte: | |
[4][Eine Person muss im Herkunftsland rekrutiert, in ein anderes Land | |
gebracht und dann zum Arbeiten gezwungen worden sein.] So geraten | |
migrantische Sexarbeiter_innen in den Fokus der Behörden, die vorgeben, | |
Menschenhandel zu bekämpfen. | |
## „Nicht über uns ohne uns“ | |
„Wer lange Sexarbeit macht, wird früher oder später Migrant_in“, sagt eine | |
Teilnehmerin: „Wir bleiben ja nicht an dem Ort, an dem wir anfangen, | |
sondern viele von uns probieren unterschiedliche Städte und Länder aus.“ | |
Manche werden dabei als gute Migrant_innen, als Expats, gesehen, die | |
meisten jedoch gelten als schlechte. Die einen können ihren europäischen | |
Pass zücken und damit in das Land ihrer Wahl einreisen, die anderen müssen | |
Dienstleister kontaktieren, die teuer eine illegale Einreise organisieren. | |
Sie kalkulieren ein, dass sie in ihrem Zielland Sexarbeit machen werden, um | |
diese Grenzüberschreitung abbezahlen zu können. Wenn sie Pech haben, werden | |
sie von der Polizei dieses Landes aus der selbst gewählten Arbeit geholt | |
und abgeschoben. | |
„Wir gehen davon aus, dass die Sexarbeiter_innen Agency besitzen“, erklärt | |
eine Referentin. „Sie haben verschiedene Möglichkeiten und entscheiden sich | |
für die, die ihnen am besten erscheint. Darum lautet die Devise: Nichts | |
über uns ohne uns.“ | |
Die einen lernen Tantra, die anderen wollen endlich nicht mehr als | |
„Shemale“ beschimpft werden. Die einen stellen eine Rechnung mit 19 Prozent | |
Umsatzsteuer, die anderen werden in bar bezahlt, weil sie kein Bankkonto | |
besitzen. Die Workshops beim diesjährigen Hurenkongress sind vielfältig: | |
Sie reichen von praktischen Fragen, wie man sich selbstständig macht, bis | |
zu einem BDSM-Kurs für Anfänger_innen. | |
Die Stärke der Hurenbewegung liegt in ihrer Diversität, die Schwäche in | |
Klassismus, Rassismus und Transfeindlichkeit. Wir Huren kämpfen gegen | |
Stigmatisierung und Verbote, während der Parlamentskreis von Leni Breymaier | |
glaubt, dass nur Polizei und Verdrängung uns befreien können. Dazu sagt | |
eine der Tampep-Referentinnen treffend: „Die Polizei weiß nicht, wie sie | |
Menschenhandel bekämpfen soll, aber sie weiß, wie man eine Razzia im | |
Bordell durchführt.“ Ein jährliches Treffen wie der Hurenkongress, in dem | |
Sexarbeiter_innen sich vernetzen, weiterbilden und Politik machen können, | |
ist deshalb ein wichtiges Mittel, um diesen sinnlosen Verbotsversuchen | |
entgegenzutreten. | |
18 Aug 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christian Schmacht | |
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