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# taz.de -- SexarbeiterInnen erklären ihre Arbeit: Lovemobil mit Rotlichtalarm
> Ein politisches Kunstprojekt will über die Situation von SexarbeiterInnen
> aufklären. Gefordert werden mehr Rechte für Prostituierte.
Bild: Im Wohnwagen bei der Kunstaktion Strich / Code / Move in Berlin
Berlin taz | Die Menschen, die in dieser Woche am Berliner Hauptbahnhof
ankommen, laufen den SexarbeiterInnen direkt in die Arme. Vier Wohnwagen
und ein alter VW-Bus bilden einen großzügigen Halbkreis auf dem
Washingtonplatz, auf einem Wagen räkelt sich eine orangefarbene
Schaufensterpuppe. Drei Frauen sind dabei, die Wagen über und über mit
neonfarbenen Preisetiketten zu bekleben – denn hier wollen SexarbeiterInnen
mit PassantInnen über den Wert und die Wertschätzung ihrer Arbeit ins
Gespräch kommen.
„Wir wollen Infos über die Lebenswelt von SexarbeiterInnen vermitteln, das
Stigma reflektieren, das auf dieser Arbeit lastet, und Vorurteile abbauen“,
sagt Stephanie Klee, eine der Initiatorinnen des Projekts „Strich/
Code/Move“ und Mitgründerin des Berufsverbands sexuelle Dienstleistungen
(BSD). Rund 60 Veranstaltungen und Workshops wird es in den und um die
Wagen herum bis Freitag geben, unterstützt von Verbänden wie der
Beratungsstelle Hydra oder der Deutschen Aidshilfe. Im September zieht das
Projekt nach Hannover, je nach Finanzierung auch noch in weitere deutsche
oder schweizerische Städte.
Der Wagen „VorStellungen“ ist für Performances da, in einem anderen geht es
um die Geschichte der Prostitution vom antiken Rom bis heute. Viele, die
einen Namen in der Szene haben, werden diese Woche vor Ort sein: Kristina
Marlen zum Beispiel, die über Bondage sprechen wird, oder UnterstützerInnen
wie Laura Méritt, eine Institution in Sachen [1][sexpositiver Sexualität
und feministischem Porno]. Sogar aus Rio de Janeiro sind SexarbeiterInnen
angereist, die dort ein eigenes Modelabel gegründet haben und ihre
Kollektion hier vorstellen.
Gestaltet haben die Wagen KünstlerInnen des Ateliers Dreieck, die
Prostitution als „Teil jeder menschlichen Kultur“ sehen, wie es in der
Pressemitteilung heißt: Ob legal oder illegal, missachtet oder anerkannt.
Die Installationen sollen im Lauf der Woche mit PassantInnen
weiterentwickelt werden. Für die eine oder den anderen dürfte das
gewöhnungsbedürftig sein: Um über Nähe und Intimität ins Gespräch zu
kommen, können zum Beispiel Schamhaare gespendet und in kleinen
Plastiktütchen mit einem Preis versehen werden.
Ein Fokus des Projekts ist die Auseinandersetzung mit dem sogenannten
[2][Prostituiertenschutzgesetz, das von der Hurenbewegung abgelehnt] wird,
aber seit 2018 für schätzungsweise bis zu 400.000 Prostituierte in
Deutschland gilt. Prostituierte müssen seitdem einen „Hurenpass“ mit
Lichtbild bei sich tragen und Steuererklärungen abgeben.
BordellbetreiberInnen müssen sich registrieren lassen, und schon ab zwei
Prostituierten muss eine Betriebsstätte angemeldet werden.
„In der Politik gibt es den großen Wunsch nach einfachen Lösungen, nach
einer klaren Trennung von Gut und Böse“, sagt die Sexarbeiterin Johanna
Weber vom Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen (BesD).
„Aber das funktioniert in dieser Branche nicht, dazu ist sie zu
vielschichtig.“ Wie die anderen hier findet sie das Gesetz bestenfalls
„sinnlos“, ein Schutz jedenfalls sei es nicht. [3][Das nordische Modell,
das ein Sexkaufverbot vorsieht] und unter anderem Reizthema in der SPD ist,
„ist aber auf keinen Fall besser“, sagt Weber. Die Forderung der
SexarbeiterInnen: Sexarbeit müsse als Arbeit anerkannt, die Rechte der
Frauen müssten gestärkt werden.
Das sieht auch Nicole Schulze so, die aus Trier angereist ist. Dort
arbeitet sie in einem Wohnwagen auf einem Parkplatz ganz ähnlich denen, die
hier am Hauptbahnhof stehen – tagsüber, weil sie sich da besser geschützt
fühle als in der Nacht. „Arbeiten zu zweit würde meine Sicherheit weiter
erhöhen“, sagt sie. „Aber dann würde ich nach dem Gesetz schon als
Betreiberin gelten.“ Damit sind hohe Auflagen verbunden, die viele
SexarbeiterInnen weder erfüllen wollen noch können. In Berlin will Schulze
vor allem aufklären, wie sie sagt, auch über Straßenprostitution. „Wir
werden oft als das Letzte hingestellt“, sagt sie. „Ich will hier zeigen,
dass wir ganz normal sind.“
Das Interesse der ersten PassantInnen jedenfalls ist geweckt. Reisende mit
großem Rucksack bleiben stehen, fotografieren die Leopardendecke in einem
der Wagen oder die Lichterkette mit roten Herzen. Zwei Bauarbeiter der
Baustelle gegenüber kommen mit einer Sexarbeiterin ins Gespräch. Es geht um
Steuern und um die Forderungen der Frauen. „Ich kann verstehen, dass sie
mehr Anerkennung wollen“, sagt einer der beiden, „ist ja schließlich ihre
Arbeit.“ Nur das Angebot, Teil der Performance zu werden und zum Beispiel
die Wohnwagen zusammen weiter zu bekleben, lehnt er dann doch ab.
22 Jul 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Patricia Hecht
## TAGS
Prostituiertenschutzgesetz
Sexarbeit
Prostitution
Sexarbeit
sexuelle Selbstbestimmung
Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
Prostitution
Zwangsprostitution
Kolumne Habibitus
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