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# taz.de -- Dokumentarfilm „Lovemobil“: Am Straßenrand
> Mini-Bordelle auf dem platten Land: Der Dokumentarfilm „Lovemobil“
> erzählt von einsamen Wohnmobilen und denen, die darin vor allem – warten.
Bild: Umgewidmete Wohnwagen in unwirtlicher Gegend: „Lovemobil“ beginnt und…
Bremen taz | Wer nachts auf niedersächsischen Landstraßen unterwegs ist,
kennt das Bild: Am Straßenrand, in den Abfahrten zu Waldwegen stehen
Wohnwagen, dekoriert mit blinkenden Lichterketten. Darin präsentieren sich
erotisch hergerichtete Frauen – und warten auf Kundschaft.
„Lovemobil“ heißt der Film, den Elke Margarete Lehrenkrauss über die
Minibordelle gedreht hat. Geboren und aufgewachsen in Gifhorn, kennt die
40-Jährige ihren Anblick seit ihren Kindertagen.
Gelungen ist ihr sehr viel mehr, als man von einem Dokumentarfilm zu diesem
Thema erwarten würde: „Lovemobil“ ist keine Sozialreportage, keine
Recherche zum Elend von Frauen, die in die Prostitution gezwungen wurden.
Aber auch keine journalistische Arbeit, die dem Publikum alles schön
sachlich erklärt, sodass man viel erfährt, aber wenig spürt. Lehrenkrauss
hat einen Langfilm gemacht, der die Zuschauer*innen mitnimmt auf eine
Reise – und an deren Ende sie ein Gefühl dafür bekommen haben, wie es sich
lebt in so einem „Liebesgefährt“.
Auf drei Protagonistinnen, die Lehrenkrauss und Kameramann Christoph
Rohrscheidt zwei Jahre lang begleitet haben, konzentriert sich der Film:
die Sexarbeiterinnen Rita aus Nigeria und Milena aus Bulgarien – aber auch
Uschi. Uschi ist „Wohnwagenvermieterin“, im Grunde also eine Zuhälterin.
Gleich zu Beginn erleben wir, wie sie am Telefon eine neue „Mieterin“
bestellt: „Wann bringst Du mir meine Frau?“ Dass diese ältere Frau in ihrem
Revier so resolut wie routiniert das Sagen hat, ist eine der frühen
Irritationen dieses Films. Uschi erscheint hier nicht als Täterin, ebenso
wenig wirken die beiden für sie arbeitenden Frauen als Opfer.
Indem Regisseurin und Kameramann so lange und intensiv mit den
Protagonistinnen gearbeitet haben, wurden sie so vertraut miteinander, dass
es in vielen Einstellungen so natürlich und intim zugeht, als wäre da
niemand mit einer Kamera mit im Raum gewesen. Und es gelingt sogar ein
kleines Kunststück: Der Film macht Langeweile spürbar, ohne selbst
langweilig zu sein. Denn Rita und Milena verbringen die meiste Zeit damit,
in ihren Wohnmobilen zu sitzen und – zu warten. Und da ist dann, erst recht
in der Nacht, der deutsche Wald keine romantische Idylle, sondern große,
schwarze Leere.
Mit mehr als 60 Drehtagen über zwei Jahre verteilt, ist „Lovemobil“
eigentlich schon eine Langzeitdokumentation. Lehrenkrauss zeigt auch den
Wechsel der Jahreszeiten, lässt den Film dramaturgisch geschickt im Winter
beginnen und enden – aber während all dessen ändert sich nichts.
Dennoch schaut man den Film mit wachsender Faszination an. Die Spannung
entsteht gerade nicht dadurch, dass etwas passiert, sondern durch zunehmend
tiefer gehende [1][Einblicke ins Milieu], um das es hier geht. Diese
Einblicke vermeiden aber eine naheliegende Gefahr: Sie sind nie
voyeuristisch. „Sex“, sagt Lehrenkrauss der taz, „wollte ich nicht bieten…
So gibt es in „Lovemobil“ zwar einige Szenen mit Freiern und sogar einem
Zuhälter, aber auch die sind sachlich und distanziert gedreht, zeigen ja
nur die Arbeitsbedingungen der Frauen.
Worauf Lehrenkrauss ebenfalls konsequent verzichtet, ist ein erklärender
Kommentar mit Erzählstimme oder eingeblendetem Text. Alle wichtigen
Informationen transportiert sie über Gespräche vor der Kamera oder die
gefilmten Situationen. Und statt einer moralischen Wertung – die
Diskussion, ob Sexarbeit nun Arbeit ist wie jede andere, läuft ja
allerorten – zeigt sie ein Streitgespräch zwischen Uschi und einem Pfarrer,
der mit seinem Fahrrad am Wohnmobil vorbeifährt: Er wirft ihr vor, sie
beute die Frauen aus – woraufhin Uschi, ein einziges Mal im ganzen Film,
nicht souverän reagiert.
Später – Lehrenkrauss montiert sehr raffiniert – wird Uschi dann auch noch
ihre eigene Geschichte erzählen, und das verwischt die Grenzen zwischen gut
und böse noch mehr. „Die Frauen arbeiten dort nicht freiwillig, werden aber
auch nicht gezwungen“, sagt die Filmemacherin. „Ich wollte diese Grauzonen
zeigen und die Machtstrukturen deutlich machen.“
„Lovemobil“ ist ein schönes Beispiel dafür, wie ein Dokumentarfilm erst im
Schnitt seine endgültige Gestalt bekommt. Rund 100 Stunden Material haben
Lehrenkrauss und Rohrscheidt gedreht. Das ursprüngliche Konzept war eine
Art Panorama mit gleich sechs Protagonistinnen. Eine davon: eine inzwischen
60-Jährige, die sich erst in diesem Alter dafür entschied, als
Sexarbeiterin Geld zu verdienen, ihrem erklärten „Traumjob“. Eine
faszinierende Geschichte, die Lehrenkrauss vielleicht noch mal in einem
eigenständigen Kurzfilm verarbeiteten will. Aber aus „Lovemobil“ schnitt
sie sie wieder heraus – für einen fokussierteren Film.
Geplant hatte sie vor vier Jahren einen „experimentellen dokumentarischen
Kurzfilm“: Lehrenkrauss kommt aus der Kunst. Sie studierte an der Kölner
Hochschule für Medien und erwarb davor ein Diplom in Videokunst in Luzern.
Doch schon bald habe sie gemerkt, dass sie mit ihren „assoziativen Bildern“
dem Stoff nicht gerecht werden könne. Und so kam es zu diesem langen
Arbeitsprozess mit vielen stilistischen Richtungswechseln.
Der Erfolg gibt ihr recht: „Lovemobil“ hat eine beeindruckende
Festivalkarriere gemacht. Internationale Premiere hatte der Film im Sommer
beim Festival in Locarno, danach erhielt er Preise in Los Angeles sowie in
Camden an der US-amerikanischen Ostküste. In Osnabrück, beim Unabhängigen
Filmfest, kam der Friedenspreis dazu und vor einigen Tagen in Braunschweig
der „Heimspielpreis“ und der neue, mit 5.000 Euro dotierte Frauenfilmpreis
„Tilda“.
Umso weniger verständlich: Es hat sich bisher kein Verleih gefunden, um
„Lovemobil“ in die Kinos zu bringen. Regisseurin Lehrenkrauss plant sich
nun selbst um den Vertrieb zu kümmern und will eine Kinotour im späten
Frühjahr organisieren. Irgendwann wird ihre Annäherung ans etwas andere
Rotlichtmilieu dann sicher auch mal im Fernsehen laufen, spät in der Nacht.
Aber da bleibt dann vom großen Kino nicht viel mehr übrig.
Anmerkung der Redaktion: Am 22. März 2021 hat der NDR hat den Film aus
seiner Mediathek entfernt, nachdem die Investigativredaktion STRG_F
(ebenfalls NDR) herausgefunden hatte, dass die Sexarbeiterinnen „Rita aus
Nigeria“ und „Milena aus Bulgarien“ ausgedachte Figuren sind. Die Frauen,
die sie darstellen, sind in Wirklichkeit keine Sexarbeiterinnen, sondern
Schauspielerinnen. Über die Täuschung berichtet die taz [2][hier.]
5 Dec 2019
## LINKS
[1] /SexarbeiterInnen-erklaeren-ihre-Arbeit/!5607904
[2] /NDR-Doku-Lovemobil/!5757061
## AUTOREN
Wilfried Hippen
## TAGS
Prostitution
Sexarbeit
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Frauen im Film
Dokumentarfilm
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Prostituiertenschutzgesetz
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