# taz.de -- Zu Besuch in einem Kurs zu Konsens: Du und ich. Ja oder nein | |
> Seit #metoo wird viel über Einwilligung zu Intimität geredet. Ein | |
> Workshop lehrt: Konsens ist wesentlich komplexer, als nur „ja“ oder | |
> „nein“ zu sagen. | |
Bild: Mit Romantik hat diese Szene zwischen Prinzessin Leia und Han Solo nichts… | |
BYRON BAY taz | Star Wars galt für mich immer als eine Ikone der | |
Filmgeschichte, nicht als Säule der „rape culture“. Die Jedi leben | |
zölibatär und niemand zieht sich im Raumschiff aus. Doch wenn ich mir jetzt | |
einen der populärsten Filme aller Zeiten angucke, stoßen mir die | |
romantischen Momente darin auf. Einen Oscar für Konsens würde „Das Empire | |
schlägt zurück“ nicht bekommen. | |
Die heiße Szene dauert nur anderthalb Minuten. In der kurzen Zeit weist | |
Prinzessin Leia Han Solo acht Mal verbal und körperlich zurück. Dennoch | |
drängt er sie zum Kuss, bis sie schließlich nachgibt. In „Indiana Jones“ | |
und „Blade Runner“ ist Harrison Ford kein Stück besser. Millionen Teenager | |
sind mit diesen Rollen aufgewachsen: Männliche Helden müssen den Protest | |
von Frauen überwinden, um zum Ziel zu gelangen. Das ist sexy. Oder war es | |
mal. | |
Die feine Kunst des Flirtens ist in Verruf gekommen und braucht eine | |
Generalüberholung, nicht nur für die Harrison Fords und Harvey Weinsteins | |
auf der Welt. [1][Seit der #MeToo-Bewegung] ist Konsens – also gegenseitige | |
Einwilligung zu jeder Form von Intimität und Berührung – ein Begriff, der | |
viel diskutiert, aber selten verstanden wird. Denn öfter als böse Absichten | |
führen falsche Erwartungen und Missverständnisse vom aufdringlichen | |
Filmkuss zum „date rape“. | |
Die Verunsicherung ist groß. Daher melde ich mich für einen dreitägigen | |
„Wheel of Consent“-Kurs im australischen Byron Bay an. Das „Konsensrad“ | |
wurde vor elf Jahren von der amerikanischen Chiropraktikerin und ehemaligen | |
Sexarbeiterin Dr. Betty Martin erfunden. Mehr als somatisches Lernmodell | |
denn als Sicherheitsmaßnahme wird es zunehmend in Workshops und Berufen | |
eingesetzt, wo es um Berührung geht – von Neo-Tantra bis Sexological | |
Bodywork. | |
## Keine Lust, Oma zu umarmen | |
Nicht nur Erwachsene auf der sexuellen Suche brauchen diese Umerziehung. | |
Laut Eleanor Morrison sollte sie im Kindesalter beginnen. Die amerikanische | |
Autorin schrieb das Kinderbuch „C is for Consent“: Der kleine Finn hat | |
keine Lust, Oma zu umarmen – und fragt eine Freundin um Erlaubnis, bevor er | |
deren Hand hält. Die Botschaft „my body, my terms“ (dt. „mein Körper, m… | |
Bedingungen“) ist unabhängig vom Geschlecht: Autonomie über den eigenen | |
Körper und Respekt vor dem der anderen. Das klingt anders als die uralte | |
Parole, Mädchen zu schützen, indem man ihr Aussehen und Verhalten | |
kontrolliert. | |
Eine neue Studie der Columbia Universität in New York belegt, dass | |
Sexualerziehung mit dem Fokus, klar ja oder nein sagen zu lernen, vor | |
späteren sexuellen Übergriffen im College schützt – das Predigen von | |
Enthaltsamkeit dagegen nicht. An vielen Unis westlicher Länder werden | |
mittlerweile Consent-Trainings auf der Webseite oder bei der Einführung der | |
Erstsemester angeboten. | |
Seit den [2][#MeToo-Vorwürfen gegen „House of Cards“-Schauspieler Kevin | |
Spacey] und andere Prominente hat Netflix „Anti-Belästigung“-Trainings | |
eingeführt, damit man sich bei Dreharbeiten angemessen verhält: zum | |
Beispiel keine zu langen Blicke oder Umarmungen, die nicht erwünscht sind. | |
Und die Konsens-Welle hat auch die Bühne erreicht. Am Ende von „Yes but | |
No“, einem Stück des Gorki-Theaters in Berlin Ende letzten Jahres, wird das | |
Publikum zu einem Workshop eingeladen. Es geht um „bewusstes Anfassen“. Ich | |
bin dabei und frage mein Gegenüber zum Beispiel, ob ich ihr Haar streicheln | |
dürfe. Sagt sie nein, bedanke ich mich artig dafür – das ist Teil der | |
Übung. Ihre Verneinung ist keine Zurückweisung, lediglich eine Präferenz. | |
Klarheit für sie wie für mich ist etwas Positives. | |
## Dienen, nehmen, erlauben oder empfangen | |
Wenige Wochen später befinde ich mich beim „Wheel of Consent“-Workshop in | |
Australien, um diese „conscious touch“-Philosophie zu vertiefen. Unsere | |
Gruppe besteht hauptsächlich aus Frauen: Bodyworkerinnen, Therapeutinnen | |
und eine Jura-Dozentin. Kursleiter Matthias Schwenteck stammt aus Berlin | |
und führt uns in die tiefere Dynamik unserer Berührungen, Empfindungen und | |
Begehren ein. Er malt einen großen Kreis auf die Tafel, unterteilt ihn. | |
Intime Begegnungen finden jeweils in einem bestimmten Viertel statt und | |
haben den entsprechenden Gegenpol: dienen, nehmen, erlauben oder empfangen. | |
Wer tut was, für wen, und warum ist das entscheidend? Bietet mir jemand | |
eine Fußmassage an, weil er mich gerne anfassen will, dann gibt er nicht, | |
sondern nimmt – ohne dazu zu stehen. | |
Auf Kissen im Kreis sitzend befühlen wir einen Gegenstand. Fünf Minuten | |
lang ertaste ich das Äußere einer Muschel. Es geht lediglich darum, Genuss | |
durch Berührung zu spüren, ohne persönlichen Bezug – wie ein Kind, das eine | |
Katze streichelt. Es fühlt sich an, als ob meine Hände aufwachen. Sie | |
genießen es. „Niemand kann uns Lust oder Wohlempfinden schenken“, sagt | |
Schwenteck, der ein breites Lächeln und einen rasierten Schädel hat. „Ich | |
kann es nur selber empfinden.“ | |
Jeder Morgen beginnt mit dieser Übung. Es folgen viele andere, wie die | |
„Bossy-Massage“, bei der ich alle paar Minuten präzise Anleitungen gebe, | |
wie und wo genau ich gedrückt oder gestreichelt werden will. Ich lerne zu | |
sagen, was ich will – und umgekehrt Grenzen einzuhalten. Wenn etwas unklar | |
ist, frage ich nach. Es ist nicht einengend, sondern befreiend, sich | |
anderen Körpern mit so viel Umsicht zu nähern. Denn wenn Sicherheit | |
herrscht, blühen auch die Sinne auf. | |
## Somatischer Stress im Nervensystem | |
„Lasst eure Haut die Arbeit machen“, ist Schwentecks Mantra: Das „Wheel of | |
Consent“ sei kein mentales Konzept, sondern muss im Körper landen. | |
Ausschlaggebend ist unser Nervensystem. Seit wir klein waren, sind wir von | |
Eltern, Ärzten und später Liebhabern ohne Mitspracherecht berührt worden. | |
Das Nervensystem reagiert mit somatischem Stress. Je mehr wir davon | |
empfinden – im Extremfall PTSD, also posttraumatische Stresssymptome, zum | |
Beispiel durch früheren Missbrauch – umso eher sind wir im „Freeze“-Modu… | |
der unsere Sinne und unser Sprachvermögen regelrecht gefrieren lässt. | |
Selbst, wenn keine reale Gefahr besteht, ist der Körper auf Alarmstufe und | |
das Hirn so überflutet, dass klare Gedanken kaum noch möglich sind. „Wir | |
verlieren dann unsere Fähigkeit, uns verbal auszudrücken“, sagt Schwenteck. | |
Es ist einer der Gründe, warum Betroffene sich einem Übergriff oft nicht | |
widersetzen können. | |
Konsens, das lerne ich in den drei Tagen, ist wesentlich komplexer, als nur | |
„ja“ oder „nein“ zu sagen. Wir müssen langsamer werden. Wenn wir den | |
eigenen Körper kaum spüren können, weil wir beim Sex zu zielorientiert sind | |
oder zu aufgeregt – oder innerlich durch Panik wie gefroren – dann können | |
wir nicht ausdrücken, was wir eigentlich wollen. Oder erwarten, dass es | |
jemand errät. Besser sind Abmachungen und ehrliche Antworten: „Darf ich | |
dich umarmen?“ – „Kannst du mich umarmen?“ | |
## Nehmen ist verpönt | |
Zum Schluss üben wir das „Drei-Minuten-Spiel“, bei dem man sich abwechselnd | |
in einem Teil des Konsensrads befindet. Nehmen ist bei den meisten von uns | |
unterentwickelt und gesellschaftlich verpönt. Dabei ist es laut unserem | |
Trainer die wichtigste Übung, um etwas zu spüren – unabhängig davon, was | |
jemand mit uns macht. | |
Schwenteck, der den Kurs mit seiner Partnerin Robyn Dalzen auch in Europa | |
unterrichtet, schlug ihr das Spiel beim ersten Kennenlernen auf Bali vor. | |
„Die Erlaubnis zu haben, ihn nur für meinen Genuss anfassen zu können“, | |
sagt sie mir nach dem Kurs, „war echt sexy.“ Harrison Ford könnte einiges | |
von ihnen lernen. | |
29 May 2019 | |
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## AUTOREN | |
Anke Richter | |
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