# taz.de -- Sexuelle Belästigung beim Tanz: Tatort Tanzfläche | |
> Zahlreiche Frauen berichten von sexuellen Übergriffen in der Tanzszene. | |
> Dahinter steckt ein System aus Täterschutz und Schuldzuweisungen an die | |
> Opfer. | |
Bild: Bei Paartänzen verhalten sich Männer oft übergriffig | |
Berlin taz | Tanzpartner, die sich an ihnen reiben, ihnen ihren erigierten | |
Penis in den Schritt drücken, probieren, sie auf der Tanzfläche zu küssen, | |
bis hin zu Vergewaltigungen vor dem Club – all das sind Erfahrungen, die | |
Frauen aus der Berliner Tanzszene schildern. | |
„[1][Es gibt ein großes Sexismusproblem in der Szene]“, sagt Carla Wolf*, | |
die seit 2018 in verschiedenen Communitys in Berlin tanzt. Sie ist | |
Mitinitiatorin einer Umfrage über sexuelle Belästigung in der Tanzszene, | |
die eine Gruppe von Tänzer*innen im Juni durchgeführt hat, um auf das | |
strukturelle Problem aufmerksam zu machen. Innerhalb von einer Woche nahmen | |
an der Umfrage 450 Personen teil, davon 70 Prozent Frauen. Das Ergebnis: | |
Zwei Drittel der Befragten haben schon einmal sexuelle Belästigung beim | |
Tanzen erlebt. | |
„Ein Mann leckte mir während eines Tanzes das Ohr. Ein anderer forderte | |
mich wiederholt auf, Sex mit mir zu haben, und versuchte, mich zu küssen, | |
obwohl ich mehrmals gesagt hatte, dass ich das nicht wolle“, schildert eine | |
Frau ihre Erfahrungen. 80 Prozent der weiblichen und 33 Prozent der | |
männlichen Befragten gaben an, von Belästigungen, wie unangemessenen | |
Berührungen, körperlicher Gewalt, versuchter und tatsächlicher | |
Vergewaltigung betroffen gewesen zu sein. Weibliche People of Color waren | |
mit 84 Prozent am häufigsten betroffen. | |
„Es herrscht ein patriarchales, sexistisches Klima“, sagt Wolf. „Aber es | |
gibt kaum Interesse daran, das zu bekämpfen.“ Als sie einem Lehrer | |
vorschlug, das Problem in einem Workshop zu adressieren, habe dieser | |
erwidert: Das könne sie nicht tun, damit würde sie den Tanz zerstören. Eine | |
andere Frau berichtet, dass ihr und anderen Frauen, die sich bei einem | |
Veranstalter über einen missbräuchlichen Mann beschwerten, gesagt worden | |
sei: „Eine Salsa-Party ist dazu da, um glücklich zu sein, nicht um sich zu | |
beschweren, also bringt eure persönlichen Probleme nicht hierher.“ | |
## Ein System aus Schweigen | |
„Es gibt keine Vertrauensbasis gegenüber den Organisator*innen“, bemängelt | |
Wolf. Deshalb würden sich viele Frauen nicht trauen, die Taten zu benennen. | |
Nur 20 Prozent der Befragten gaben an, über ihre Erfahrungen gesprochen zu | |
haben. Das Problem sei in der Szene auch deshalb so schwer zu verfolgen, | |
weil die Übergriffe oft nicht in einem Tanzverein oder an einem | |
Veranstaltungsort stattfänden, erzählt Wolf. „Das Tanzen hat sich mit der | |
Pandemie immer stärker von den Tanzschulen gelöst und nach draußen, in | |
Privaträume oder auf Anbieter wie Urban Sports verlagert. Dadurch gibt es | |
keinen kontrollierbaren Rahmen.“ | |
Ein Event, bei dem regelmäßig Übergriffe auf der Tanzfläche stattfinden | |
sollen, ist der Soda Social Club auf dem Gelände der Kulturbrauerei in | |
Prenzlauer Berg. In der Umfrage fällt der Name des Ortes, an dem jeden | |
Donnerstag und Sonntag auf fünf Floors Paartänze stattfinden, gleich | |
mehrfach. Auch Tänzerin Wolf hat dort negative Erfahrungen gemacht. Eine | |
44-jährige Kollegin schildert ihre Erfahrungen wie folgt: „Beim | |
Bachata-Tanzen im Soda Club: Ein Mann nahm meine Hand und legte sie auf | |
seinen erigierten Penis. Beim Salsa-Tanzen im Soda Club: Ein Mann | |
versuchte, mich zu küssen, und als ich nein sagte und die Tanzfläche | |
verlassen wollte, folgte er mir und drückte mich gegen die Wand, um mir | |
einen Kuss aufzudrücken.“ | |
Obwohl das Problem bekannt sei, würden die Veranstalter zu wenig dagegen | |
unternehmen, kritisiert Wolf. So sei eine Gruppe von Frauen an | |
verschiedenen Orten von einem Mann belästigt worden, der häufig ins Soda | |
ging. Als die Frauen es der im Soda zuständigen Person meldeten, habe | |
dieser gesagt, er könne nichts machen, da sich die Vorfälle nicht dort | |
ereignet hatten. Andere Male, als Übergriffe auf dem Gelände stattfanden, | |
hätten die Veranstalter gesagt, man könne eine Person nicht beim ersten Mal | |
rauswerfen, erzählen weitere Betroffene der taz. | |
Jens, Programmmanager beim Soda Social Club, der nicht mit Nachnamen | |
genannt werden möchte, gibt sich im Gespräch mit der taz bemüht: „Zeigt | |
jemand nach übergriffigem Verhalten Einsicht, erteile ich eine Verwarnung. | |
Bei offensichtlichem Fehlverhalten wird er aus dem Club entfernt.“ Werde | |
auf Nachfrage bei Betroffenen deutlich, dass es zu nicht einvernehmlichen | |
Handlungen kam, könne auch ein Hausverbot ausgesprochen werden. Dazu | |
bedürfe es jedoch einer Absprache mit der Geschäftsführung. | |
## Betreiber sehen häufig keinen Handlungsbedarf | |
Der Programmmanager räumt ein, dass dies manchmal nicht einfach sei. Einige | |
Frauen erzählen, Opfer desselben Mannes geworden zu sein, der unter dem | |
falschen Versprechen der Monogamie mit fünf Frauen gleichzeitig | |
ungeschützten Sex hatte. Auch er verkehre häufig im Soda. Als der Betrug | |
öffentlich wurde, hätten sie vom Soda Konsequenzen gefordert, erzählen sie. | |
Die Geschäftsführung habe jedoch keinen Handlungsbedarf gesehen, da sich | |
der Mann ihrer Meinung nach im gesetzlichen Rahmen bewegte und die Frauen | |
keine Anzeige erstattet hatten, erzählt Jens. | |
„Es ist eine Buddy-Culture, in der die Täter gedeckt werden“, beklagt | |
Tänzerin Carla Wolf. Männer, bei denen zahlreiche Fälle sexueller | |
Übergriffe bekannt seien, würden von Veranstaltern weiterhin als DJ oder | |
Tanzlehrer engagiert. In der Szene gebe es starke Abhängigkeiten und viele | |
würden sich auch aus Sorge, ihren Job zu verlieren, raushalten, sagt eine | |
weitere Betroffene der taz. Sie berichtet, von einem Veranstalter eines | |
Tango-Events geohrfeigt worden zu sein. Eine andere Frau habe er während | |
eines Tanzes als „Fotze“ bezeichnet. „Aber es ließ sich nicht beweisen u… | |
er ist ein bekannter Veranstalter, also läuft er weiter frei herum und | |
macht Events. Die Leute arbeiten trotzdem für ihn und alle tun so, als wäre | |
nichts passiert.“ | |
Während es für Täter häufig keine Konsequenzen gibt, sei Victim Blaming, | |
also die Umkehr von Täter und Opfer, in der Szene weit verbreitet, | |
berichten alle Opfer übereinstimmend. Die Frauen, die den Vorfall mit dem | |
Mann öffentlich machten, der unter falschen Versprechen mit einigen der | |
fünf Frauen gleichzeitig ungeschützten Sex hatte, berichten, von Männern | |
aus der Szene angefeindet und beleidigt worden zu sein. | |
Das Fazit der Umfrage: „Die Tanzfläche ist kein sicherer Ort für Frauen.“ | |
Mehr als 50 Prozent der Befragten gaben an, aufgrund von unangemessenem | |
Verhalten oder Belästigung in Erwägung gezogen zu haben, mit dem Tanzen | |
aufzuhören oder bereits damit aufgehört zu haben. | |
## Forderungen nach Verantwortungsübernahme von Lehrer*innen | |
Das wollen die Initiator*innen der Umfrage nicht hinnehmen. [2][„Wir | |
haben genug. Die Frauen erzählen endlich ihre Geschichten“], sagt eine | |
Betroffene. Sie fordern, dass den Opfern endlich zugehört und sichere Räume | |
für Frauen geschaffen werden. Auch müsse geregelt werden, wie man mit | |
Tätern umgeht und wie männlichen Tänzern beigebracht werden könne, sich der | |
Zustimmung ihrer Partnerin zu versichern. | |
„Wir wünschen uns, dass Lehrer*innen endlich Verantwortung übernehmen, | |
und Konsens auch ein Teil des Unterrichts ist“, sagt Wolf. Lehrer*innen | |
sollten dazu eine spezielle Schulung erhalten. Zudem fordern sie einen | |
allgemeinen Verhaltenskodex sowie ein Awarenessteam für alle | |
Tanzcommunitys. Personen, die gegen diesen Kodex verstoßen, sollten bei | |
wiederholtem Fehlverhalten ausgeschlossen werden. | |
Das Soda geht nun einen ersten Schritt: „Wir werden ein vorwiegend mit | |
Frauen besetztes Awarenessteam gründen, das donnerstags und sonntags vor | |
Ort ist“, so Programmmanager Jens. Wolf begrüßt diese Maßnahme, auch wenn | |
die Erwartungen nach den bisherigen Erfahrungen verhalten sind: „Immerhin | |
passiert etwas.“ | |
*Name geändert | |
15 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Salsa-und-sexuelle-Gewalt-in-Kolumbien/!6017931 | |
[2] /MeToo-an-der-Berliner-Volksbuehne/!5758068 | |
## AUTOREN | |
Lilly Schröder | |
## TAGS | |
sexuelle Belästigung | |
Tanzen | |
Sexuelle Gewalt | |
Social-Auswahl | |
Carsharing | |
Kolumbien | |
Schwerpunkt #metoo | |
Tanz | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Sexismus auf Berlins Straßen: Das wird man ja wohl noch sagen dürfen! | |
Die Logos des Mietwagenanbieters Miles werden nahezu flächendeckend | |
sexistisch abgewandelt. Das Unternehmen sieht darin kein Problem. Gehts | |
noch? | |
Salsa und sexuelle Gewalt in Kolumbien: Schluss mit Dirty Dancing | |
Cali war einst ein gefährliches Pflaster, besonders für Frauen. Kann die | |
kolumbianische Salsa-Szene mit Streetart zum Safe Space werden? | |
MeToo an der Berliner Volksbühne: Das Schweigen ist vorbei | |
Die Enthüllungen über den Machtmissbrauch Dörrs sind auch infolge von MeToo | |
möglich geworden. Gemeinsam zu handeln macht die Betroffenen stark. | |
Tanzszene Berlin in der Corona-Zeit: Von der Praxis abgeschnitten | |
Keine Aufführungen, kein Training, keine Berührungen, kaum Perspektive. Die | |
Covid-19-Maßnahmen haben die Tanzszene besonders hart getroffen. |