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# taz.de -- Menstruation auf Festivals und in Clubs: Blut im Schuh
> Wer menstruiert, wird auf Festivals oft nicht mitgedacht. Auch unsere
> Autorin hat das erlebt – und Orte besucht, an denen es besser klappt.
Bild: Ruhe und Austausch: Menstruationszelt auf dem Immergut-Festival
Es ist sehr heiß, staubige Luft, die Tanzenden strecken die Arme in die
Höhe, die Musik ist so laut, dass mein Körper vibriert. Ich stehe direkt
vor der Bühne, schaue hoch zum Himmel über dem Festival und denke: jetzt
ist Sommer. Auf einmal steht der hübsche Conny vor mir, in Tiger-Leggings,
und lächelt mich an – da läuft Blut an meinen Beinen herunter.
Alle [1][Menschen, die menstruieren], kennen dieses Gefühl, die Mischung
aus Ungläubigkeit und Wiedererkennen, wenn die Periode einsetzt. Das Gefühl
überrascht, und oft, wie in meinem Fall, kommt sie auch noch in einem
denkbar ungünstigen Moment. Ich stand im gepunkteten Sommerkleid auf dem
Festivalgelände zusammen mit vierzigtausend anderen Menschen. Conny sagte
etwas Freundliches. Ich starrte auf den Glitzer an seinen Wangen und hatte
Blut in den Flip-Flops. Dann gab ich ein beschämtes Schnaufen von mir,
bevor ich rückwärts davon stolperte.
Das Blöde an Menstruationsblut ist, dass es erbarmungslos aus einem
herausläuft – und dabei alles rot färbt. Keine gute Kombination, vor allem
dann, wenn man ausgeht.
Alle, die schon mal in einem Berliner Club, auf einer wilden Party oder auf
einem Festival waren, können Geschichten über Toiletten erzählen. Lustige
Storys von Handys, die ins Dixi fallen, oder von acht Leuten in einer
Kabine. Jene Menschen, die circa alle 22 Tage drei bis fünf Tage mehr oder
weniger stark bluten, lachen bei überfüllten Club-Klos allerdings selten.
Wenn es wieder keine Mülleimer in den Kabinen, kein Papier und eh nichts
zum Händewaschen gibt, endet die Feierlaune schnell.
## Händewaschen ist blutiger Ernst
Denn Fakt ist: An den Tagen, an denen wir eh schon erschöpft sind, weil wir
Rücken- und Bauchschmerzen haben, ist zum Beispiel Händewaschen kein
höfliches Add-on, sondern blutiger Ernst. Wir erleben dann, nicht
mitgedacht zu werden, in der Regionalbahn wie im Technoclub. Obwohl wir
denselben Eintritt wie die Männer zahlen, fehlt es an Basisversorgung.
Manchmal legt ein DJ auf der Toilette auf, aber selbst das kann nicht
darüber hinwegtrösten, dass fast überall unwirtliche Bedingungen herrschen.
Als mich auf dem Festival die Zwischenblutung erwischte, machte ich mich
auf den langen Weg zum Eingang, um nach „Hygieneartikeln“ zu fragen. Dort
angekommen bekam ich den Hinweis, am Geländeausgang gebe es
Flinta-Toiletten, allerdings hätten auch die kein Papier mehr und seien
eben so sauber, wie es halt an einem Festivalsonntag zu erwarten sei. Ich
entschied, wie so oft seit 20 Jahren, mich zurückzuziehen. Das bedeutete
konkret, mir einen Socken in den Schlüppi zu stopfen und mich humpelnd auf
den langen Rückweg zu machen.
Der Ausdruck Hygieneartikel lässt mich an meine biedere und sehr kurze
Sexualaufklärung im ruhigen Zehlendorf denken. Die so bezeichneten Produkte
sind keine woken Accessoires, sondern schlicht notwendig. Aber warum wird
dieser Fakt immer noch nicht bedacht, wenn Partys oder Festivals geplant
werden?
Für Lena Olvedi, Erfinderin des „Missoirs“, des ersten auf Flinta
ausgerichteten Urinals, ist das eine Frechheit: „Studien zeigen, dass
Männer in Clubs etwa 11 Sekunden warten müssen, um zu pinkeln. Bei Flinta
sind es mindestens 6 Minuten – also 33 Mal länger!“ Der Grund sei, dass es
dort bisher nur für Männer Urinale gibt und Periodenprodukte so gut wie
immer fehlen. „Clubtoiletten zeigen, wessen Bedürfnisse mitgedacht werden
und wessen nicht“, sagt Olvedi.
Es gibt aber auch Beispiele, wie es besser laufen kann: das
Menstruationszelt etwa, das die Agentur „Goalgirls“ für Festivals entworfen
hat. An dessen Eingang steht der Spruch: „Willkommen im inner (Cycle)“. Die
Festivals „Immergut“ und „Lollapalooza“ haben bereits diese sogenannten…
Tents eingerichtet. Sie bieten neben Ruhe auch die Möglichkeit zum
Austausch, kostenlose Binden und Tampons, aber vor allem saubere Toiletten
mit fließend Wasser.
Ein „rotes Zelt“ ist eine schöne Idee, aber wie wäre es damit, allen einen
Toilettenzugang zu ermöglichen, wenn sie diesen benötigen? Nicht nur im
Feierkontext, sondern auch in Schulen, im gesamten öffentlichen Raum?
Immerhin menstruieren auf einer Party im Schnitt wohl etwa 20 Prozent der
Menschen. Es wären wohl noch mehr, wenn nicht so viele Personen aufgrund
ihrer Periode gleich zu Hause bleiben würden, was auch für die Schule oder
die Uni gilt.
Es ist eine Form der Ausgrenzung. Circa drei Tage oder länger geht eine
Blutung. [2][Während der Perimenopause] oder nach einer Schwangerschaft
kann sie über Wochen anhalten. Sollen Frauen in dieser Zeit nicht mit der
Bahn fahren und draußen unterwegs sein? Es ist ein Problem, das für fast
die Hälfte der Bevölkerung 30 Lebensjahre lang Realität ist.
Um die Lage zu verbessern, können schon heute alle etwas tun. Stellen wir
uns etwa vor, wir würden eine Clubtoilette so behandeln, wie unser Bad zu
Hause bei einem heißen Date. Wenn wir also nicht überall hin pinkeln,
vielleicht mal jemanden vorlassen, die es gerade dringender braucht, und
kein Klopapier klauen. Ebenfalls charmant ist das Ritual einer Freundin:
Sie lässt immer mal wieder einen frischen Tampon liegen, als kleines
Geschenk für die Nächste.
Wir alle könnten im Kontext Klo einfach viel umsichtiger sein. Denn oft
scheinen wir zu vergessen, dass echte Menschen nach uns die Toilette
benutzen oder dort sauber machen. Danke an alle, die das täglich tun – ihr
seid Heroes!
Die Menstruationsexpertin Danielle Keiser sagt, eine wichtige Aufgabe in
der „Menstruationsrevolution“ sei es, über Zyklen, die Perimenopause oder
Blutungen zu informieren. „Je mehr wir alle davon hören und lernen, desto
normaler kann es werden“, so Keiser. Auch [3][das Sexleben während der
Periode] gehöre normalisiert. Sexpartys könnten bewusst während der Periode
besucht werden, um zu lernen, wie sich das anfühlt. In solchen Formaten
solle auch die „gesamte emotionale, mentale und körperliche Stärke
besprochen“ werden. „Solche Orte können uns allen einen natürlichen Umgang
mit dem Thema beibringen, allerdings nur wenn sie eben auch fair zugänglich
machen“, sagt Keiser.
Viel lernen kann man auch im Periodenladen „La Blutique“ in Friedrichshain.
Die Mitarbeiter*innen beraten ihre Kund*innen von der ersten Blutung
bis zur Menopause. Sie bieten auch vielfältige Workshops an:
„queerfeministisch bis astrologisch, medizinisch bis somatisch, politisch
bis psychedelisch“, heißt es auf der Website.
Bei einem dieser Workshops war ich kürzlich mit dem lieben Conny. Nach
meinem unschönen Erlebnis auf dem Festival wollte ich das Thema einmal
anders angehen. Conny und ich sprachen dort offen über Periodensex und ich
konnte etwas von meiner alten Zehlendorfer Scham ablegen. Wir hörten eine
erotische Geschichte über eine wilde Nacht mit viel Musik und Blut. Dazu
gab es den „Hexe“-Periodendrink der Firma Einhorn, die „period positivity…
propagiert. Conny wurde von den anderen Teilnehmer*innen als mein
Verbündeter, als „Blood Ally“ umschwärmt.
Was für ein schöner Abend. Ich begann, mein Verschwinden auf dem Festival
zu hinterfragen. Vielleicht unterschätze ich doch andere im Umgang mit dem
Thema? Ich fühlte mich entspannt und gar nicht mehr, als müsse ich mich
zurückziehen, weil es „diese Tage im Monat“ für mich waren. Ich war in
dieser milden Sommernacht einfach eine von den schätzungsweise 130.000
Berliner*innen, die körperlich gerade etwas Ähnliches erlebten. Am Ende
unseres Besuchs in „La Blutique“ kaufte Conny mir eine
Menstruationsunterhose im Tiger-Look. Ich war ganz gerührt und plötzlich
voller Vorfreude aufs nächste Festival.
11 Aug 2025
## LINKS
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## AUTOREN
Nike Wessel
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