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# taz.de -- Aufrüstungsdebatte: Sicherheit von links gedacht
> Gegen die imperiale Bedrohung durch Russland und andere Gefahren braucht
> es realpolitische Antworten. Ohne dabei die Vision einer Welt ohne Krieg
> aus dem Auge zu verlieren.
Bild: Ein Flugabwehrkanonenpanzer Gepard auf einem Truppenübungsplatz der Bund…
Es ist gerade mal drei Jahre her, aber derzeit scheint so eine Friedensdemo
undenkbar: Hunderttausende waren in Berlin auf der Straße – gegen den
Angriffskrieg auf die Ukraine. Heute tobt dieser in noch größerer Härte. Im
Gazastreifen begeht die Regierung Netanjahu [1][furchtbare
Kriegsverbrechen]. Bis vor kurzem schaukelte sich ein Krieg zwischen Israel
und dem Iran hoch. Doch die Straßen sind leer.
Demonstrationen erfordern Eindeutigkeit. Aber bei der Eindeutigkeit, die
propalästinensische oder auch proisraelische Demos anbieten, wollen viele
sich zu Recht nicht einreihen. Wenn die ukrainische Community mit
Nationalfahnen und „Gebt uns Taurus“-Rufen auf die Straßen geht, sind viele
Menschen eher verunsichert. Und erleichtert nimmt man zur Kenntnis, dass
Wagenknecht und Schwarzer sich gerade keine „Friedensdemos“ mehr zutrauen,
deren Eindeutigkeit so falsch ist, dass sie vor allem Putin erfreuen.
Die progressive Zivilgesellschaft ist, wenn es um Krieg und Frieden geht,
tief verunsichert. Auch durch die Parteien des linken Spektrums ziehen sich
Gräben, wie sie etwa [2][um den SPD-Parteitag zutage traten]. Was es daher
dringend braucht, ist eine linke Standortbestimmung, die den Anspruch hat,
realpolitische Antworten auf die massiven Bedrohungslagen zu geben – ohne
die Vision einer Welt ohne Krieg aus dem Auge zu verlieren.
[3][Das „Manifest“ von SPD-Politiker*innen] um Ralf Stegner und Rolf
Mützenich ist dabei wenig hilfreich. Die Autoren verharmlosen Putins
Imperialismus, wenn sie von einem „Konzept gemeinsamer Sicherheit“ als
„einzigen verantwortungsvollen Weg“ träumen. Das Hauptproblem, das sich
durch den Text zieht, ist aber: Sicherheitspolitik wird entlang
geopolitischer Einflusssphären gedacht – und nicht konsequent auf Basis des
Völkerrechts, einer regelbasierten Ordnung und des Selbstbestimmungsrechts.
## Ohne militärische Stärke kein Schutz vor Despoten
Der bittere Ausgangspunkt für eine ernsthafte linke Standortbestimmung muss
heute sein: Die Bewahrung von Frieden und die Verteidigung von Freiheit und
Demokratie gegenüber Autokraten fußt auch auf militärischer Stärke. Und
diese ruht umso mehr auf unseren Schultern, umso weniger wir uns unter
Trump noch auf den Schutzschild der USA verlassen können.
Wenn wir nicht Spielball zwischen zunehmend autokratisch geprägten
Machtblöcken in einer multipolaren Ordnung sein wollen, müssen wir unsere
Verteidigungsfähigkeit steigern.
Haben die Konservativen also einfach recht? Sollten wir als Linke jetzt
auch Hochrüstung fordern, „whatever it takes“? Nein, das wäre deutlich zu
kurz gesprungen. Rheinmetall und Diehl, Airbus und Heckler & Koch dürfen
nicht einfach Bedarfe und Bestelllisten diktieren. Wir brauchen vielmehr
eine differenzierte Debatte darüber, wie viel Rüstungsausgaben wirklich
nötig sind. Zu deren Bemessung helfen Prozentzahlen am BIP, wie sie die SPD
auf ihrem Parteitag kürzlich beschlossen hat, wenig. Zumindest wenn man
nicht sagen kann, wie lange Rüstungsausgaben in exorbitanter Höhe nötig
sind – und wann die Zielgröße erreicht ist.
Eine linke Antwort auf die sicherheitspolitischen Herausforderungen der
Zeit darf zudem nicht länger im nationalen Karo gedacht sein. Die zentrale
Antwort ist Europa. Was es braucht, ist eine gut [4][koordinierte
europäische Aufgabenteilung in der Verteidigungsfähigkeit]. Und wir müssen
diskutieren, wie weit die europäische Integration hier gehen kann. Sollte
mittelfristig eine europäische Armee und das Ende nationaler
Militäreinheiten das Ziel sein?
## Rüstungsumverteilung
Rüstung muss zudem viel gerechter finanziert werden. Auf der Hand liegt die
Forderung, die gigantischen Profite der Rüstungsindustrie etwa mit einer
Übergewinnsteuer abzuschöpfen. Aber ist es nicht sinnvoller, mit einem
europäischen Beschaffungswesen endlich für Wettbewerb unter den
Rüstungsfirmen zu sorgen? Oder die Rüstungsindustrie zu verstaatlichen, wie
in anderen EU-Staaten faktisch üblich? Zudem ist nicht einzusehen, dass
alle Verteidigungsausgaben über Schulden finanziert werden. Superreiche
müssen endlich mit einer konsequenten Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung
in die Pflicht genommen werden.
Eine linke Standortbestimmung muss auch einen erweiterten
Sicherheitsbegriff umfassen. Wer viel Geld in Rüstung steckt, muss auch
weit mehr in Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit investieren.
Nicht nur bei uns, rund um den Globus sollte eine demokratische
Zivilgesellschaft gestärkt werden, damit die Menschen überall der
autokratischen Versuchung widerstehen können. Zudem müssen wir konsequent
die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern reduzieren und Klimapolitik
endlich als erweiterte Sicherheitspolitik begreifen.
Und wir müssen dafür streiten, [5][dass das Völkerrecht wieder
handlungsleitend wird]. Schon früher wurde es auch von der Nato immer
wieder verletzt. Aber nie drohte das Recht des Stärkeren so offen und
brutal die regelbasierte Ordnung abzulösen. Gegen das Recht des Stärkeren
hilft nur die Stärke des Rechts. Wenn das die Richtschnur ist, müssen wir
aber auch die Kriegsverbrechen der Regierung Netanjahu im Gazastreifen klar
verurteilen. Gerade weil wir für das Existenzrecht Israels und seine
Sicherheit eintreten.
Die hier skizzierten Ansätze könnten eine Basis dafür liefern, als
progressive Zivilgesellschaft heute zu kluger Eindeutigkeit zu finden.
Damit wir wieder sprach- und handlungsfähig werden. Eine solche Klarheit
ist auch die Grundbedingung dafür, dass das linke Parteienspektrum
mittelfristig koalitions- und regierungsfähig wird. Besonders die
Linkspartei, aber auch die SPD muss sich entscheiden, ob sie sich
ideologisch an alten Positionen festklammern oder linke Sicherheitspolitik
neu denken wollen. Drücken sie sich weiter, machen sie vor allem den
Rechten ein riesiges Geschenk. Das sollten wir verhindern.
Christoph Bautz ist Diplom-Biologe und Politikwissenschaftler. 2004
initiierte er mit Günter Metzges und Felix Kolb die Kampagnen-Organisation
Campact. Seitdem ist er Geschäftsführender Vorstand.
14 Jul 2025
## LINKS
[1] /Friedensnobelpreis-fuer-Trump-/!6095949
[2] /SPD-Parteitag/!6094441
[3] /wortwechsel/!6091487&s=SPD+Parteitag/
[4] /EU-Gipfel-/!6096678
[5] /Voelkerrecht-und-Demokratie/!6096239
## AUTOREN
Christoph Bautz
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