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# taz.de -- Völkerrechtler über Waffenlieferungen: „Das Thema darf nicht au…
> Israels Angriff auf Iran ist völkerrechtswidrig, sagt Jurist Kai Ambos.
> Deutsche Waffenlieferungen seien aber nicht nur in diesem Fall
> fragwürdig.
Bild: Manche israelischen Kampfpanzer werden mit Komponenten aus Deutschland ge…
taz: Herr Ambos, Sie sagen, wenn sich Deutschland am internationalen Recht
orientierte, müsste die Bundesregierung Waffenlieferungen an Israel stoppen
oder zumindest nochmal prüfen. Warum?
Kai Ambos: Weil nach dem für Deutschland verbindlichen Waffenhandelsvertrag
eine Waffenlieferung nicht zulässig ist, wenn ein „überwiegendes Risiko“
besteht, dass mit diesen Waffen schwere Menschenrechtsverletzungen oder
schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts begangen werden könnten.
Und von einem solchen Risiko muss man hier zumindest ausgehen.
taz: Die neue [1][Bundesregierung genehmigte in ihren ersten fünf Wochen
Rüstungsexporte an Israel im Wert von vier Millionen Euro] – dabei soll es
sich nicht um Kriegswaffen wie Panzer oder Schiffe, sondern um „sonstige
Rüstungsgüter“ handeln. Dazu zählen Pistolen oder Explosivstoffe. Ist das
juristisch weniger problematisch?
Ambos: Das deutsche Waffenexportkontrollrecht unterscheidet zwischen
„Kriegswaffen“ und „sonstigen Rüstungsgütern“. Der Export von
„Kriegswaffen“ unterliegt einem relativ strikten Kontrollregime und ist
stets genehmigungspflichtig. Wenn Grund zur Annahme besteht, dass durch den
Export völkerrechtliche Verpflichtungen Deutschlands verletzt werden, ist
die Genehmigung zwingend zu versagen. Exporte von „sonstigen
Rüstungsgütern“ sind grundsätzlich genehmigungsfrei, außer sie stehen auf
der Ausfuhrliste zur Außenwirtschaftsverordnung. Das betrifft viele der
nach Israel exportierten Güter.
Das Völker- und das EU-Recht sehen allerdings die deutsche Unterscheidung
in die zwei Kategorien nicht vor. Aus völkerrechtlicher Sicht dürfen
deshalb auch „sonstige Rüstungsgüter“ nicht exportiert werden, wenn damit
eventuell schwere Verletzungen der Menschenrechte oder des humanitären
Völkerrechts begangen werden.
taz: Wird mit der Unterscheidung internationales Recht umgangen?
Ambos: Nicht unbedingt. Es muss von Fall zu Fall bewertet werden, ob eine
Umgehung vorliegt. Etwa, wenn Teile einer Kriegswaffe einzeln als „sonstige
Rüstungsgüter“ exportiert und dann im Empfängerland zusammen- oder in eine
Kriegswaffe eingebaut werden.
taz: Gibt es dafür Beispiele?
Ambos: Ein gutes Beispiel ist das Panzergetriebe der Augsburger Firma Renk,
das als „sonstiges Rüstungsgut“ exportiert und dann in den israelischen
Merkava Kampfpanzer eingebaut wird. Ohne diese Getriebe wäre der Panzer
nicht einsatzfähig. Werden mit ihm also zum Beispiel Kriegsverbrechen
begangen, ist das auch Deutschland und dem genannten Unternehmen
zurechenbar. Das Beispiel zeigt, dass die deutsche Unterscheidung zumindest
die Möglichkeit einer Umgehung eröffnet.
taz: Die Bundesregierung rechtfertigt deutsche Waffenlieferungen an Israel
mit der Staatsräson. Darf Deutschlands historische Verantwortung gegenüber
Israel völkerrechtliche Bedenken überwiegen?
Ambos: Man muss Waffenlieferungen gewissenhaft prüfen, unabhängig davon, an
welchen Staat man liefert. Ob es nun ein Staat ist, den man überhaupt nicht
mag, oder ein Staat, den man liebt und bei dem man meint, ein solch
diffuses Konzept wie die Staatsräson anwenden zu müssen. Solche politischen
Erwägungen können das Völkerrecht, insbesondere den Waffenhandelsvertrag,
nicht außer Kraft setzen. Auch bei Waffenlieferungen an Israel sind wir an
das Völkerrecht gebunden.
taz: Gibt es andere Fälle, in denen deutsche Waffenexporte völkerrechtlich
fragwürdig sind?
Ambos: Ja, einige. Denken Sie beispielsweise an unsere Waffenlieferung an
die von Saudi-Arabien geführte Koalition beim Krieg im Jemen. Das war
völkerrechtlich sehr fragwürdig, weil es in diesem Krieg zu zahlreichen
Kriegsverbrechen kam.
taz: Ist das Problem dann vielleicht nicht die besondere Beziehung
Deutschlands zu Israel, sondern, dass Deutschland grundsätzlich zu lasche
Regeln für Waffenexporte hat?
Ambos: Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Menschenrechtsorganisationen
fordern ja schon lange eine Reform des geltenden Rechts, doch ein insoweit
vorgeschlagenes Rüstungsexportkontrollgesetz ist ja schon während der
Ampel-Regierung beerdigt worden. Und auch ein Verbandsklagerecht von
Menschenrechtsorganisationen zur Überprüfung von Exportentscheidungen hat
politisch keine Mehrheit.
Wir müssen klar sehen, dass Waffenexporte ein wichtiger Wirtschaftsfaktor
sind und starke wirtschaftliche Interessen bestehen. Deutschland ist der
fünftgrößte Waffenexporteur der Welt, als vergleichbar großes Land
exportiert nur Frankreich mehr. Das Thema darf also nicht auf Israel
verengt und aus einer rein ethischen Perspektive gesehen werden.
taz: Sie sagen, dass sich Regierungsmitglieder und Beamte strafbar machen
können, wenn sie Risiken bei Waffenlieferungen nicht prüfen oder diese
ignorieren. Können Sie das kurz erklären?
Ambos: Wenn ein Empfängerland deutscher Waffen mit diesen Waffen
völkerrechtliche Verbrechen wie Kriegsverbrechen begeht, dann ist
Deutschland objektiv Gehilfe bei diesen Verbrechen. Die Entscheidung,
bestimmte Waffen zu liefern, wird wiederum von Einzelpersonen getroffen,
zum Beispiel Beamten im Bundeswirtschaftsministerium oder den Mitgliedern
des Bundessicherheitsrats.
Wenn sie entscheiden, Waffen in ein Krisengebiet zu liefern, obwohl es
ihnen aufgrund entsprechender Berichterstattung bekannt ist, dass es dort
zu Verbrechen kommt, könnten sie sich wegen Beihilfe zu diesen Verbrechen
strafbar machen.
taz: Aber am Ende entscheidet doch immer der Bundessicherheitsrat, oder
nicht?
Ambos: Nur in politisch besonders brisanten Fällen, wie zum Beispiel bei
Israel. Sonst wird die Entscheidung an das Bundeswirtschaftsministerium
delegiert. Die allermeisten Lieferungen sind der Öffentlichkeit unbekannt,
das Verfahren ist nicht wirklich transparent und rechtlich kompliziert
geregelt.
Bis zum Jahr 2014 wurde nicht einmal der Bundestag über die
Genehmigungsentscheidungen des Bundessicherheitsrats informiert. Ansonsten
erhält die Öffentlichkeit nur über [2][kleine Anfragen von
Bundestagsfraktionen], in der Regel von der Linken, Kenntnis von
Waffenlieferungen.
taz: Sie haben [3][im Spiegel erklärt], warum Sie Israels Angriff auf den
Iran für völkerrechtswidrig halten. Und zwar, weil Präventivschläge zur
Selbstverteidigung nur unter sehr strengen Voraussetzungen erlaubt sind,
die hier nicht gegeben waren. Muss das zu einer Neubewertung deutscher
Waffenlieferungen an Israel führen?
Ambos: Die Frage der zulässigen Selbstverteidigung Israels, also der
Rechtmäßigkeit der Anwendung militärischer Gewalt, ist von der Frage der
israelischen Kriegsführung zu trennen. Anders gesagt kann auch ein in
Selbstverteidigung handelnder Staat die für die Kriegsführung geltenden
Regeln verletzen, etwa indem er zivile Ziele wie Fernsehstationen angreift.
Wenn das mit deutschen Waffen erfolgt, muss es eine Neubewertung geben.
Aber das weiß ich in diesem Fall nicht.
taz: Außenminister Johann Wadephul hat Israels Angriff auf den Iran
verteidigt – Stichwort „Selbstverteidigung“. Wie bewerten Sie diese
Haltung?
Ambos: Wie gesagt, selbst wenn Israel sich auf das Selbstverteidigungsrecht
berufen könnte, muss es sich an das genannte Recht des bewaffneten
Konflikts halten. Und im Übrigen hat auch die Selbstverteidigung Grenzen,
insbesondere muss sie verhältnismäßig sein.
taz: Der Kanzler hat gesagt, Israel erledige mit den Angriffen auf das
iranische Atomprogramm für uns alle die „Drecksarbeit“ . Was denken Sie
darüber?
Ambos: Wenn Bundeskanzler Merz von „Drecksarbeit“, die Israel auch für uns
erledige, spricht, so liegt darin eine entwürdigende Abwertung des Landes
und der Menschen, die hier Gegenstand des Angriffs sind. Wenn es um
„Drecksarbeit“ geht, dann ist da offensichtlich „Dreck“, der entfernt
werden muss. Dahinter steht eine entmenschlichende, entwürdigende binäre
Logik: Sauberkeit und Ordnung hierzulande und bei unseren Verbündeten,
„Dreck“ im Iran.
taz: Und aus einer völkerrechtlichen Perspektive?
Ambos: Das Völkerrecht folgt einer solchen Freund-Feind-Logik und
unterkomplexen Einteilung der Welt in Gute und Böse nicht. Es ist neutral
und stellt allgemeingültige Regeln auf, die für alle Staaten gleichermaßen
gelten. Es sieht Menschenrechte vor, die an das Menschsein und nicht an
Staatsangehörigkeit, ethnische Herkunft oder Ideologie anknüpfen.
Im bewaffneten Konflikt unterscheidet es zwischen geschützten zivilen
Personen und Objekten sowie angreifbaren Kombattanten und militärischen
Zielen. Konkret: Die iranischen Revolutionsgarden dürfen angegriffen
werden, nicht aber die Zivilbevölkerung Teherans; zu dieser gehören
grundsätzlich auch Wissenschaftler und Journalisten, auch wenn sie für das
iranische Regime arbeiten.
taz: Was wäre eine angemessene Reaktion Deutschlands auf Israels Angriff
gegen den Iran?
Ambos: Deutschland muss einfach immer wieder sagen, dass das Völkerrecht
einzuhalten ist. Auch von unseren Verbündeten und natürlich auch von
Israel. Daran muss sich Israel, wie jeder andere Staat, messen lassen.
Nicht mehr und nicht weniger. Wenn aber das Völkerrecht konsequent
ignoriert wird wie im Gaza-Krieg, dann muss das Konsequenzen haben. Zum
Beispiel, dass Deutschland keine Waffen mehr liefert.
taz: Die USA sind an Israels Seite in den Krieg eingestiegen, um Irans
Atomprogramm zu zerstören. Ist das vom Völkerrecht gedeckt?
Ambos: Nur wenn man annimmt, dass der israelische Angriff vom Völkerrecht
gedeckt ist. Da dies nach meiner Auffassung nicht der Fall ist, ist es also
auch eine amerikanische Unterstützung nicht. Hinzu kommt, dass ein in einen
laufenden Konflikt eingreifender Staat ja eigenes Unrecht, zum Beispiel
Kriegsverbrechen begehen kann.
taz: Einige kritisieren, Deutschland unterhält im Umgang mit Israel einen
Doppelstandard. Denn die Bundesregierung mahnt zum Beispiel Russland immer
wieder, das Völkerrecht einzuhalten. Teilen Sie diese Kritik?
Ambos: Ja, ich selbst kritisiere diese Doppelstandards schon lange. Das
Völkerrecht, insbesondere die UN-Charta, gilt grundsätzlich für alle
Staaten der Welt gleichermaßen. Das ist nicht nur eine akademische Frage,
denn die heutigen Völkerrechtsbrüche des Westens werden uns morgen von
unseren Kontrahenten vorgehalten. Unsere ungleiche Anwendung des
Völkerrechts untergräbt also nicht nur die Legitimität des Westens, sondern
schwächt auch das Völkerrecht.
Was das Selbstverteidigungsrecht angeht, so ist dessen weite
Vorverlagerung, so dass schon eine Bedrohungslage die Anwendung
militärischer Gewalt rechtfertigt, ein zivilisatorischer Rückschritt.
Militärische Gewalt wird damit wieder salonfähig, der Clausewitzsche Satz
des Krieges als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln erlebt eine
Renaissance. Davon profitieren nur die wenigen Staaten, die überhaupt die
militärische Fähigkeit haben, Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen
einzusetzen. Das Recht des Stärkeren verdrängt die Stärke des Rechts.
taz: Besorgt es Sie, wie Deutschland derzeit mit dem Völkerrecht umgeht?
Ambos: Absolut. Und nicht nur mich, sondern viele Völkerrechtler und
eigentlich jede Person, die eine regelbasierte Ordnung für alternativlos
hält. Die Konfliktlösung auf der Grundlage von Regeln ist die Alternative
zur Konfliktlösung durch Gewalt. Die Regeln der UN-Charta haben uns lange
den Frieden bewahrt – bis zur Vollinvasion Russlands in der Ukraine im
Jahre 2022.
23 Jun 2025
## LINKS
[1] /Deutsche-Waffen/!6091719
[2] /Deutsche-Waffen/!6091719
[3] https://www.spiegel.de/ausland/israel-und-iran-dieser-angriff-war-klar-voel…
## AUTOREN
Alice von Lenthe
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