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# taz.de -- Rüstungslieferungen nach Israel: „Die letzten Wahrer der deutsch…
> Keine Rüstungsgüter mehr nach Israel? Für Teile der Union unvorstellbar.
> Dafür gibt es historische Gründe, sagt Politikwissenschaftler Daniel
> Marwecki.
Bild: Der israelische Premierminister David Ben-Gurion (l.) und der deutsche Ka…
taz: Herr Marwecki, Sie erforschen die Geschichte der deutsch-israelischen
Beziehungen. Hat Sie die Empörungswelle in der Union überrascht, nachdem
Kanzler [1][Friedrich Merz angekündigt hatte, keine Rüstungsgüter mehr nach
Israel zu liefern], die in Gaza eingesetzt werden können?
Daniel Marwecki: Nein, nicht wirklich. Zum einen ist diese Empörung auch in
der augenblicklichen innenpolitischen Lage begründet. Manche Leute in der
CDU wie zum Beispiel Jens Spahn profilieren sich so in Abgrenzung zu Merz
als die letzten Wahrer der deutschen Staatsräson. Im Zusammenspiel übrigens
mit Medien wie Bild und Nius, diesem Format von Julian Reichelt. Zum
Zweiten gibt es historische Gründe für diese Empörung.
taz: Welche?
Marwecki: Die deutsch-israelischen Beziehungen hatten schon immer viel mit
Waffen zu tun, auch gleich zu Beginn bei Bundeskanzler Konrad Adenauer und
dem israelischen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion. Am Anfang steht zwar
das Reparationsabkommen von 1952, dabei ging es vor allem um
Industriehilfe. Mitte der 50er Jahre aber wurde daraus schon eine
Militärkooperation, und die war für Israel existenziell wichtig. Der
Sechstagekrieg wäre 1967 ohne deutsche Waffenhilfe so nicht zu gewinnen
gewesen. Die USA sind erst seit Mitte der 60er Jahre Israels primärer
Partner. Für viele in der Union ist diese Militärkooperation der Kern der
Solidarität mit Israel.
taz: „Wiedergutmachung“ wurde das damals genannt.
Marwecki: Ja, dabei war die Belieferung mit Waffen unter Adenauer nicht
bedingungslos. Ben-Gurion hat im Gegenzug international zu einem besseren
Image der Bundesrepublik beigetragen. Das war der Deal, wie sich an den
Akten sehr leicht ablesen lässt, die Bevölkerung war hier wie dort nicht
begeistert. [2][Deshalb heißt mein Buch auch „Absolution“] oder auf
Englisch „Whitewashing and State Building“. Später wurden unter Kohl und
Merkel weiter Waffen geliefert, wobei besonders die U-Boote wichtig sind.
Sie können nuklear bestückt werden und sind wichtig zur Verteidigung und
Dominanz gegenüber dem Iran.
taz: Die CSU schien nach den Äußerungen von Merz besonders empört. Woran
liegt das?
Marwecki: Natürlich hat auch das etwas mit der aktuellen Innenpolitik zu
tun, dem Einfluss der CSU und Bayerns. Aber man kann es auch
zurückverfolgen bis Franz Josef Strauß, der übrigens im Bundestag nicht für
den Reparationsvertrag mit Israel gestimmt hat, weil er die arabischen
Staaten nicht verärgern wollte. Als Verteidigungsminister hat er sich aber
dann ganz besonders für Waffenlieferungen an Israel eingesetzt, da haben
Adenauer und Strauß als Duo agiert. Auch hier gibt es also diese Tradition.
taz: Was halten Sie von der These, dass wegen der historischen Bedeutung
der Waffenlieferungen die Empörung innerhalb der Union vermutlich größer
war, als wenn Merz zu anderen Schritten gegenüber Israel gegriffen hätte,
etwa einem Einreiseverbot für die beiden rechtsextremen Minister?
Marwecki: Ja, es geht hier um den Kern des Selbstverständnisses. Und wenn
man das Wort Staatsräson ernst nimmt, dann kann es eigentlich sowieso nur
auf Waffenlieferungen hinauslaufen. Staatsräson bedeutet ja, dass man die
Sicherheit Israels zu seiner eigenen Aufgabe macht. Und was macht einen
Staat sicher? Die Fähigkeit, sich zu verteidigen. Das heißt,
Waffenlieferungen sind der materielle Ausdruck der Staatsräson.
taz: Der Begriff Staatsräson geht auf Angela Merkel und ihre Rede im
israelischen Parlament 2008 zurück. Hat sie das damals tatsächlich so
gemeint?
Marwecki: Angela Merkel hat damals kaum von den Palästinensern geredet. Die
zweite Intifada war vorbei, der Oslo-Prozess in Richtung Zweistaatenlösung
war gescheitert. Es war aber auch klar, dass die Palästinenser Israel nicht
existenziell bedrohen können. Ein nuklear bewaffnetes iranisches Regime
könnte das aber schon. Und um die Bedrohung durch den Iran ging es Merkel
damals. Ich glaube nicht, dass sie sich gedacht hat, dass man später mal im
Namen des Begriffs Staatsräson einen mehrjährigen Zerstörungskrieg gegen
Gaza unterstützen würde.
taz: Meinen Sie also – völlig unabhängig davon, wie man es bewertet –, we…
ein Teil der Union jetzt argumentiert, Merz ’ Ankündigung verrate das
Versprechen der Sicherheit Israels als Staatsräson, trägt das inhaltlich
gar nicht?
Marwecki: Ja, genau. Ohnehin hat die Staatsräson im rhetorischen Sinn seit
2008 lange ein Schattendasein gefristet. Nach dem Angriff der Hamas am 7.
Oktober 2023 wurde sie dann sehr präsent.
taz: Was genau ist die Funktion dieses Begriffs?
Marwecki: Er klingt wie ein Rechtsbegriff, aber das ist er nicht.
Staatsräson als Begriff ist eine politische Setzung, die aus der Zeit des
Absolutismus stammt. Schon 2008, als Merkel diese Rede in der Knesset
gehalten hat, gab es zwischen Regierung und Gesellschaft ungleiche
Einschätzungen mit Blick auf die Israelpolitik. Es gab damals keine
gesellschaftliche Mehrheit für die Regierungspolitik, und heute gibt es die
noch viel weniger. Der Begriff Staatsräson soll das auflösen. Er besagt,
dass der Staat etwas tun muss, weil es die Existenz dieses Staats in seinem
Kern berührt, und das ist quasi alternativlos, egal was die Mehrheit der
Bevölkerung denkt. Konkret heißt das: Israels Sicherheit ist unsere eigene.
Wenn man das von außen betrachtet, wirkt das alles sehr ideologisch.
taz: Finden Sie es nicht richtig, wenn sich Deutschland aus historischer
Verantwortung heraus für die Sicherheit Israels zuständig fühlt?
Marwecki: Doch, aber darum geht es in Gaza nicht mehr, das hat letztlich
sogar Friedrich Merz zur Begründung seiner Entscheidung gesagt. Er ist mit
dieser letzten Eskalation Netanjahus in Gaza nicht einverstanden. Und
außenpolitisch macht das alles jedenfalls keinen Sinn. Eigentlich
unterstützen nur noch die USA unter Trump und Deutschland den israelischen
Kurs. Aber wenn man sich als letzter Verteidiger der liberalen
internationalen Ordnung gerieren möchte, dann sollte man die
Kriegsverbrechen in Gaza nicht unterstützen und sich als Vertragsstaat des
internationalen Strafgerichtshofs auch an dessen Strafbefehle gebunden
fühlen …
taz: Sie spielen auf die Ankündigung von Friedrich Merz noch vor seiner
Vereidigung als Bundeskanzler an, er werde dafür sorgen, dass Benjamin
Netanjahu nach Deutschland reisen und es auch wieder verlassen kann, obwohl
es einen Haftbefehl des Strafgerichtshofs gibt?
Marwecki: Genau. All das wird global natürlich wahrgenommen, auch der
[3][Kommentar der „Drecksarbeit“ im Zusammenhang mit dem Iran]. Das darf
man nicht unterschätzen. Der gute Ruf, den sich Deutschland unter anderem
im Nahen Osten aufgebaut hatte, ist in den letzten zwei Jahren
verschwunden.
taz: Welche Rolle spielt in dieser ganzen Debatte, dass sich die AfD jetzt
auch noch als der größte Freund Israels darstellen kann?
Marwecki: Die AfD hat da einen neuen Hebel entdeckt, in dem sie auf die
Ursprünge der deutschen Israelpolitik rekurriert, die wir ja bereits
besprochen haben. Sie sagt, eigentlich wie Adenauer damals: Wenn man pro
Israel ist, kann man kein Antisemit sein. Und gleichzeitig kann die AfD so
auch neben ihrem Antisemitismus noch ihren antimuslimischen Rassismus zum
Ausdruck bringen. Das ist alles sehr durchsichtig. Das Problem ist, dass
diese Taktik im deutschen Debattenkontext so gut aufzugehen scheint.
17 Aug 2025
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## AUTOREN
Sabine am Orde
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