| # taz.de -- Gaza-Tagebuch: „Wer kein Geld hat, hat weiter Hunger“ | |
| > Seit bald einem Monat lässt Israel wieder kommerzielle Güter nach Gaza. | |
| > Davon profitiert nur, wer die hohen Preise für die Lebensmittel zahlen | |
| > kann. | |
| Bild: Warten auf Essen: Ein Mädchen in Gaza-Stadt am 22. August | |
| Vielleicht kehrt eines Tages wieder Hoffnung in diese Stadt der Schatten | |
| zurück. Jeden Tag suche ich nach etwas, das mein Herz am Leben hält. Ich | |
| gehe durch die zerstörten Straßen von Gaza-Stadt und stelle mir vor, wie | |
| sie einmal waren – wie breit die Straße zum Meer war und wie mir die Brise | |
| ins Gesicht wehte. Jetzt scheint der aufgetürmte Schutt die Luft | |
| gefangenzuhalten – die Stadt kann nicht mehr atmen. Die Besatzung hat uns | |
| das angetan. | |
| Die israelische Besatzungsmacht lügt und behauptet, wir würden nicht | |
| verhungern – während sie selbst verhindert, dass Lebensmittel zu uns | |
| gelangen. Sie bombardiert uns mit Raketen und behauptet, ihre Armee würde | |
| keine Zivilisten töten. | |
| Die Armee belagert Gaza-Stadt von allen Seiten und kontrolliert alles, was | |
| in den ganzen Gazastreifen hineingelangt. [1][Seit fünf Monaten lässt die | |
| Besatzungsmacht zu wenig Lebensmittel und kaum Medikamente oder Treibstoff | |
| für die Generatoren der Krankenhäuser ins Land.] Und erst seit weniger als | |
| einem Monat erlaubt Israel wieder die Einfuhr von kommerziellen Gütern in | |
| den Gazastreifen. Aber reicht das aus, um die Hungersnot zu beenden? Und | |
| was bedeutet „kommerziell“ überhaupt? | |
| Natürlich reichen die kommerziellen Lieferungen nicht aus, um die | |
| Hungersnot zu beenden. Denn diese Waren werden von Händlern aus dem | |
| Gazastreifen eingeführt, die sich mit der israelischen Armee abstimmen und | |
| hohe Gebühren zahlen, um die Einfuhr nach Gaza zu gewährleisten. | |
| ## Was ist also die Wahrheit über den Hunger in Gaza? | |
| Lebensmittel werden auf den Märkten – und in den sozialen Medien – von | |
| Händlern und Restaurant-Besitzern im Gazastreifen selbst beworben, als | |
| wären sie überall erhältlich. [2][Als hätte die Hungersnot in Gaza ein | |
| Ende]. Doch ich schwöre bei Gott: Sie zeigen das Leid der Bevölkerung | |
| nicht. Was ist also die Wahrheit? Warum spreche ich trotz der derzeit | |
| stattfindenden Einfuhr von Handelsgütern immer noch von einer Hungersnot? | |
| Zwei Jahre Krieg haben die meisten Menschen ihrer Arbeit und ihrer | |
| Einkommensquelle beraubt, sodass sie sich keine Lebensmittel von den | |
| Märkten leisten können. Kostenlose Hilfsgüter sind kaum verfügbar, sie | |
| müssen sich alles Benötigte selbst kaufen. Manche Menschen, die bei | |
| internationalen Organisationen beschäftigt und durch ihre hohen Gehälter | |
| vor den steigenden Kosten geschützt sind, leben einfach weiter. Ebenso | |
| Menschen, die Spenden für sich und andere sammeln und sich deshalb | |
| ebenfalls die hohen Preise leisten können. Wer kein Geld hat, hat weiter | |
| Hunger. | |
| Die Preise für Waren sind aufgrund der vom Militär erhobenen Gebühren und | |
| der Gier der Händler außerordentlich hoch – ein Vielfaches ihres normalen | |
| Wertes: Ein halbes Kilo Käse, das vor dem Krieg zwei US-Dollar kostete, | |
| kostet jetzt 9 US-Dollar. Ein 25-Kilo-Sack Mehl, der früher 7 Dollar | |
| kostete, kostet jetzt 100 Dollar – und das ist der Preis von vor zwei | |
| Tagen. In den letzten fünf Monaten gab es Zeitpunkte, zu denen er für 500 | |
| Dollar verkauft wurde. Das gibt eine Vorstellung davon, wie extrem diese | |
| Preissteigerungen – für Güter, die nur die Grundbedürfnisse befriedigen – | |
| sind. | |
| Ich arbeite als Lehrer für kreatives Schreiben für Kinder. Und ich schreibe | |
| Tagebücher für die taz. Damit kommt etwas Geld für mich und meine Familie | |
| zusammen – doch es reicht nicht. Wir leben von einer Mahlzeit am Tag. Oft | |
| gehe ich hungrig zur Arbeit, um diese eine Mahlzeit aufzuheben, damit ich | |
| am Abend mit halbwegs gefülltem Magen einschlafen kann. | |
| Esam Hani Hajjaj (29) kommt aus Gaza-Stadt und ist Schriftsteller und | |
| Dozent für kreatives Schreiben für Kinder. Nach Kriegsausbruch ist er | |
| innerhalb des Gazastreifens mehrfach geflohen. | |
| Internationale Journalist*innen können seit Beginn des Kriegs nicht in | |
| den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen | |
| wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der | |
| taz. | |
| 25 Aug 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Esam Hajjaj | |
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