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# taz.de -- Wirtschaftsministerin Katherina Reiche: Energisch, ostdeutsch, kons…
> Ohne Karenzzeit wird die Energiemanagerin Katherina Reiche
> Bundeswirtschaftsministerin. Wohin ihre Politik geht? Zurück zur fossilen
> Energie.
Bild: Die neue Bundesministerin für Wirtschaft und Energie Katherina Reiche au…
Der größte Raum im historischen Dienstgebäude des
Bundeswirtschaftsministeriums ist der Ludwig-Erhard-Saal. Katherina Reiche
war gerade frisch vereidigt, als sie dort Anfang Mai ihre Antrittsrede vor
ihren künftigen Mitarbeitern hielt. Mit zwei interessanten Momenten: Der
eine betraf Robert Habeck, der andere Ludwig Erhard.
Der „schlechteste Wirtschaftsminister aller Zeiten“, in
wirtschaftspolitischen Fragen „hilflos“, nur ein „Kinderbuchautor“ – …
grüner Vorgänger wurde von der Union in den letzten Monaten mit Häme
geradezu überschüttet. Reiche sagte aber „Dr. Robert Habeck“, „lieber
Robert Habeck“ und bescheinigte dem scheidenden Minister eine [1][„fast
übermenschliche Leistung“].
Das hat viel mit jenem Job zu tun, den Katherina Reiche noch im April
ausübte; sie war Chefin von Westenergie. Die Tochter des ehemals größten
Fossilkonzerns Europas Eon betreibt auch das fast 37.000 Kilometer lange
Erdgasnetz in Niedersachsen, weiten Teilen Nordrhein-Westfalens und
Bayerns. Man kann sich den Schock vorstellen, als nach dem russischen
Überfall auf die Ukraine kein Erdgas mehr bei Westenergie ankam.
„Als Energieversorger auf der anderen Seite haben wir es nicht nur
geschätzt – wir haben vertraut, dass wir das miteinander hinbekommen.“
Katherina Reiche sprach ihrem Vorgänger „meinen höchsten Respekt, meine
Anerkennung“ aus.
## „Versorgungssicherheit first!“
Das heißt nicht, dass Katherina Reiche einverstanden ist mit Habecks
Politik. Im Gegenteil, [2][in einem Interview erklärte sie]: „Das bisherige
Heizungsgesetz rekurriert mehr oder weniger auf eine Technologie. Es gibt
de facto ein Betriebsverbot für Gasthermen, die vor 1991 eingebaut wurden.
Zunächst müssen wir dieses Betriebsverbot abschaffen, um wieder Ruhe in den
Markt zu bekommen.“
Auch das hat viel mit dem Job zu tun, der Reiche noch vor vier Wochen
forderte: Je mehr in Wärmepumpen und Solardächer investiert wird, um so
weniger wird die Gas-Infrastruktur noch genutzt. Die Kosten, um
Rohrleitungen und Verdichterstationen zu betreiben, bleiben aber gleich,
weshalb für weniger Kunden steigende Preise unerlässlich sind. Steigende
Preise regen Verbraucher zum Umstieg an, mit bis zu 75 Prozent fördert das
Habecksche Heizungsgesetz den Umstieg auf eine Wärmepumpe. Dass die
Ex-Westenergie-Managerin genau das Gesetz als erstes kassieren will, hilft
dem Konzern, dem ansonsten die Kunden wegrennen.
Zurück zur Antrittsrede und zu Ludwig Erhard: Fälschlicherweise wird
Deutschlands erster Wirtschaftsminister als Begründer der sozialen
Marktwirtschaft gesehen. Tatsächlich aber geht das Konzept auf den Ökonomen
Alfred Müller-Armack zurück, der vor fast 80 Jahren die Grundzüge
entwickelte. Vielleicht wollte Katherina Reiche glänzen. Vielleicht ist es
aber auch ihre politische Überzeugung: Gleich zweimal zitierte Reiche
Müller-Armacks Schriften und Prinzipien. Um dann festzustellen: „Ich bin
kein Müller-Armack. Ich bin auch nicht Ludwig Erhard.“ Aber die
Verantwortung dieses Ministeriums sei, „die Prinzipien der sozialen
Marktwirtschaft so auszugestalten, dass sie in unsere Zeit passen“.
Was das bedeutet? „Wir müssen wieder mehr ermöglichen statt vorgeben“,
erklärte Reiche. „Mit einer Politik, die nicht primär reguliert, sondern
aktiviert und die Marktteilnehmer in die Eigenverantwortung nimmt.“ Das ist
bemerkenswert, denn seit dieser Antrittsrede macht die neue Ministerin
genau das Gegenteil.
„Versorgungssicherheit first!“, erklärte sie [3][in ihrer ersten
Regierungserklärung], und lieferte auch gleich mit, wie diese zu
gewährleisten sei: Die Regierung müsse „mindestens 20 Gigawatt
Gaskraftwerke“ ausschreiben, nur so lassen sich „bezahlbare Preise“
sicherstellen. „Die Energiepreise sind zu hoch“, sagte sie auf dem
Ludwig-Erhard-Gipfel, „wir müssen die Versorgungssicherheit wieder
gewährleisten“, wozu neue Gaskraftwerke nötig seien. Klimaschutz sei zwar
wichtig, erklärte sie auf dem Ostdeutschen Wirtschaftsforum, „aber
Versorgungssicherheit und Preisstabilität haben die gleiche Priorität.“
Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD verabredet, in den nächsten fünf
Jahren lediglich die Kapazität „von bis zu 20“ Gigawatt bauen zu wollen.
„Derart viele neue Gaskraftwerke sind überdimensioniert und teuer“, urteilt
die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für
Wirtschaftsforschung DIW. Der Plan schaffe „gefährliche fossile
Pfad-Abhängigkeiten und erhöht den Strompreis“.
Eine Konzernmanagerin, die aus der gut dotierten Wirtschaft in die Politik
wechselt – Katherina Reiche ist nicht nur die erste Frau auf diesem Posten
in der westdeutschen Geschichte, sie ist auch eine, die noch
sozialistischen Staatsbürgerkunde-Unterricht in der Schule hatte.
Aufgewachsen in Luckenwalde, einem 20.000-Einwohnerstädchen südlich von
Berlin, hat die heute 51-Jährige in Potsdam Chemie studiert. 1992 wurde sie
Mitglied im Landesvorstand der Jungen Union Brandenburg und 1996 Mitglied
der CDU. Zwei Jahre später zog sie in den Bundestag ein.
## Kette mit Jesuskreuz um den Hals
Um ihren Hals trägt Katherina Reiche stets eine Kette mit einem Jesuskreuz.
Die rechtliche Gleichstellung Homosexueller verteufelte sie als „Angriff
auf Ehe und Familie“, Gegner der Gentechnik bezeichnete sie als
„Bioterroristen“, die Atomkraft als CO2-frei.
Energisch, ostdeutsch, konservativ – das brachte ihr schon einmal fast ein
Ministeramt. 2002 holte Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) sie als
Bundesfamilienministerin in sein Schattenkabinett. Das brachte die Kirche
gegen die Union auf, die Ostdeutsche hatte gerade ein zweites uneheliches
Kind zur Welt gebracht. Kölns Kardinal Joachim Meisner bezeichnete Reiches
Nominierung sogar als „Demontage des christlichen Ehebildes“. Am Wahlabend
fehlten Edmund Stoiber knapp 9.000 Stimmen zum Sieg über Gerhard Schröder
(SPD).
Vor der Geburt ihres dritten Kindes heiratete Katherina Reiche 2003 ihren
langjährigen Lebenspartner, den CDU-Landtagsabgeordneten Sven Petke, dann
doch; kirchlich natürlich. Andererseits nimmt es die neue Ministerin mit
dem „bis der Tod Euch scheidet“ nicht so genau: Ihr neuer Liebhaber heißt
Karl Theodor zu Guttenberg, der früher selbst mal Wirtschaftsminister war.
Öffentlich wurde die neue Beziehung wenige Tage bevor Katherina Reiche zu
seiner Nach-, Nach-, Nachfolgerin ernannt wurde.
2005 begann ihre politische Karriere so richtig Fahrt aufzunehmen. Reiche
wurde als stellvertretende Fraktionsvorsitzende zuständig für Bildung,
Forschung und Umwelt in der Union, 2009 Parlamentarische Staatssekretärin
im Bundesumweltministerium. Schon damals war sie eher Wirtschafts- statt
Umweltpolitikerin. Als die EU erstmals CO2-Grenzwerte für Pkw einführte,
erklärte Reiche: „Das war nicht Klimapolitik, das war ganz klar
Industriepolitik zu Lasten Deutschlands.“
2013 wurde Reiche dann Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium. Dort
sorgte sie 2015 für einen Paukenschlag: Sie wechselte als Lobbyistin in die
Wirtschaft. Damals löste das eine heftige Debatte über den Drehtüreffekt
aus, die schließlich zu einer gesetzlich vorgeschriebenen Karenzzeit für
den Wechsel von Politikern auf Lobbyistenstühle führte – mindestens 12
Monate.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat offenbar kein Problem damit, dass
die Erdgasmanagerin jetzt ohne Karenzzeit in die Politik zurück kehrt. 2021
war sie noch als „Managerin des Jahres“ ausgezeichnet. Ihre
Regierungserklärung begann Katherina Reiche mit dem Satz: „Viel hängt von
der Wirtschaft ab.“ Die neue Bundeswirtschaftsministerin meinte das nicht
als Drohung. Konsequenterweise ist ihr Haus nicht mehr für den Klimaschutz
zuständig, auch die Transformationspolitik wurde aus ihrem Ministerium
verlagert. Dafür hat das Bundeswirtschaftsministerium ein E dazu bekommen –
für die Energiepolitik. „Wir müssen uns anschauen, ob die Energiewende, so
wie wir sie bislang gemacht haben, auf einem richtigen Weg ist“, erklärte
die Ministerin. Das immerhin sollte als Drohung ernst genommen werden.
23 May 2025
## LINKS
[1] /Habeck-uebergibt-Amt-an-CDU-Frau-Reiche/!6086685
[2] https://table.media/podcast/table-today/wie-springt-die-wirtschaft-wieder-a…
[3] /Energiepolitik-unter-Katherina-Reiche/!6085785
## AUTOREN
Nick Reimer
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