# taz.de -- Pläne der neuen Regierung: Mehr Überstunden bis ins hohe Alter | |
> Mehr Überstunden, weniger Teilzeit und arbeiten bis ins hohe Alter: ein | |
> Blick auf die Pläne der neuen Regierung zum Tag der Arbeit. | |
Bild: Lehrling auf der Hopfenkanzel | |
Der junge Mann lümmelt auf der Couch in einem Pulli mit Lidl-Logo. | |
„Championsleague gucken, ich bekomme Bürgergeld fürs Hinlegen. Schlafen, | |
Heizung auf 5“, sagt „Herr Jobcenter“ auf Tiktok, „aber du musst hart | |
arbeiten, Stapler fahren, deine verschwitzten Arbeitsschuhe anziehen. Dein | |
Essen schmeckt nach Aral-Croissant!“ Was könnte besser sein, als von | |
Grundsicherung zu leben? | |
Das passt auf Tiktok nicht allen. „Bürgergeld? Muss man abschaffen!“, | |
fordert ein Gastronom, „Die Leute sollen arbeiten gehen.“ Über | |
„Bürgergeld-Mamas“ lästert eine junge Frau, also über Alleinerziehende in | |
der Sozialleistung. Und ungeachtet aller Realitäten verbreitet sich im | |
Netz, dass fleißige Arbeitnehmer*innen weniger verdienen als | |
Bürgergeldbezieher. Die Botschaft ist klar: Bürgergeld verleitet zum | |
Nichtstun. | |
Die künftige schwarz-rote Regierung nimmt den Unmut und die Vorurteile auf, | |
die von der Union schon im Wahlkampf befeuert wurden. Die kommende | |
Koalition will, dass wir mehr arbeiten, und sie will das steuerlich | |
fördern. Zuschläge für Überstunden sollen steuerfrei werden. Arbeitgeber | |
können ihren Angestellten eine steuerfreie Prämie zahlen, wenn diese ihre | |
Arbeitszeit aufstocken. Wer nach Erreichen des Rentenalters noch arbeitet, | |
soll das Gehalt bis zu einer Grenze von 2.000 Euro im Monat steuerfrei | |
bekommen. | |
Die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden soll außerdem abgeschafft | |
und durch eine nur noch wöchentliche Höchstarbeitszeit ersetzt werden. So | |
können Arbeitgeber, etwa in der Gastronomie, überlange Schichten anordnen. | |
Die dürfen Beschäftigte zwar ablehnen, Konsequenzen befürchten müssen sie | |
dann aber trotzdem. | |
## Neue Politik für die Fleißigen? | |
Zugleich soll das „Bürgergeld“ seinen Namen verlieren und nur noch „neue | |
Grundsicherung für Arbeitssuchende“ heißen. Künftig soll für die | |
Leistungsbezieher:innen der „Vermittlungsvorrang“ gelten, das heißt, | |
sie sollen „schnellstmöglich“ eine Arbeit aufnehmen. Egal welche, und egal, | |
ob sie vielleicht in einer Weiterbildung viel motivierter wären. | |
Die neue Politik sei für „die Fleißigen“, sagte CSU-Chef Markus Söder bei | |
der Vorstellung des Koalitionsvertrags. Und der künftige Kanzler Friedrich | |
Merz ergänzte: „Wir wollen ein Land werden, in dem die Menschen Freude | |
haben, zu arbeiten.“ | |
Solche Reden zu den steuerlichen Förderungen von mehr Arbeit und dem | |
Vermittlungsvorrang im Umgang mit Sozialleistungsbezieher:innen | |
sind nicht nur sehr abwertend gegenüber den Empfänger:innen von | |
Grundsicherung. Sie sind auch rückwärtsgewandt und realitätsfern. Von den | |
erwerbsfähigen Grundsicherungsempfänger:innen sind schließlich | |
[1][nur 44 Prozent wirklich arbeitslos]. Die anderen betreuen kleine | |
Kinder, pflegen Angehörige, gehen zur Schule, sind Aufstocker:innen | |
oder nehmen an einer Maßnahme teil. | |
Die Welt der „Arbeit“ ist vielfältiger geworden, als es die Reden vom | |
„Fleiß“ vermuten lassen. Der Tag der Arbeit am 1. Mai ist ein guter Anlass, | |
innezuhalten und einen Blick darauf zu werfen, wie und wodurch sich | |
Arbeitswelt und Arbeitsethik in den vergangenen Jahren verändert und | |
erweitert haben. | |
## Unterschiede zwischen Verschleiß und Selbstbestimmung | |
Was ist etwa mit unbezahlter Care-Arbeit? Väter und Mütter teilen sich | |
Familienarbeit zunehmend auf, das war politisch so gewollt seit der | |
Einführung des Elterngeldes – auch von der Union. „Mehr | |
Überstunden“,„weniger Teilzeit“ ist für diese Arrangements nicht hilfre… | |
Zudem gibt es große Unterschiede im Verschleiß und in der Selbstbestimmung | |
bei der Arbeit. Eine Ärztin kann häufig noch nach Erreichen des | |
Rentenalters Teilzeit in einer Praxis arbeiten, während es Zusteller:innen, | |
Bauhandwerker:innen und Pfleger:innen im Job kaum bis zum | |
Rentenalter schaffen. Dass bis zu 2.000 Euro Einkommen nach Eintritt ins | |
Rentenalter steuerfrei sind, hilft dann wenig. | |
In der Pflege zum Beispiel, so erzählt es eine Abteilungsleiterin aus der | |
Branche, haben manche Beschäftigte die Arbeitszeit reduziert, als der | |
Stundenlohn erhöht wurde. Nicht aus Faulheit, sondern weil die Arbeit mit | |
hilflosen Menschen in ständiger Unterbesetzung an Körper und Seele zerrt | |
und die Stundenreduktion die einzige Möglichkeit ist, überhaupt die | |
nächsten Jahre im Job zu bleiben. | |
Und was ist mit dem „Vermittlungsvorrang“ von | |
Grund-sicherungsempfänger:innen? Wie sinnvoll ist es, Leute in irgendwelche | |
Jobs zu zwingen, in der Zeitarbeit, im Warenlager, in der Gastronomie? Das | |
widerspricht Erfahrungen, etwa der Geflüchtetenintegration nach 2015. | |
Damals und heute klagen Arbeitgeber, dass viele Geflüchtete lieber | |
„McDonald’s-Jobs“ machen, für die man keine Ausbildung braucht, um | |
möglichst schnell Geld zu verdienen. Dabei wären den Unternehmen im | |
Mittelstand angesichts des allgegenwärtigen Fachkräftemangels neue | |
Auszubildende lieber. | |
## Im Handwerk herrscht Azubi-Mangel | |
1,1 Millionen erwerbsfähige Menschen aus den acht wichtigsten | |
Asylherkunftsländern und aus der Ukraine [2][sind derzeit im Bürgergeld], | |
so die Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Das ist viel, Integration | |
braucht Zeit. Aber die Zunahme der Beschäftigung in den vergangenen 5 | |
Jahren ist zu fast 90 Prozent auf Ausländer:innen zurückzuführen, so | |
die Bundesregierung in einer [3][Antwort auf eine Anfrage der AfD]. | |
Ob Lagerarbeiter:innen, Zusteller:innen, Hilfspflegekräfte, | |
Reinigungspersonal – Menschen mit Migrationshintergrund machen zudem oft | |
die Arbeit, die Deutsche nicht machen wollen. Wenn der Aufenthaltsstatus an | |
eine Beschäftigung geknüpft ist, werden sie erst recht ausbeutbar. | |
Die Demografie und das brüchig gewordene Aufstiegsversprechen verändern die | |
alte Arbeitsethik. Auszubildende im Handwerk sind schwer zu bekommen. Auf | |
TikTok wirbt daher Malermeister Jens Hardt für die Arbeit im Handwerk. | |
„Lasst euch nicht veräppeln, Leute! Nach der Ausbildung könnt ihr gutes | |
Geld verdienen. Du hast immer gute Laune, hast immer Abwechslung als sexy | |
Handwerker!“ Auch Hardt erlebt Veränderungen: „Kommt ein Bewerber zu mir, | |
buntgefärbte Haare, Tattoos, gepierct, da sehen die Arbeitgeber | |
mittlerweile drüber hinweg.“ | |
Was die Arbeitsethik auch verändert, ist die Aussicht auf die Rente. Die | |
Gen Z hat wenig Lust, für die Rente der Boomer zu zahlen, weil ihr | |
Vertrauen ins Rentensystem gering ist. Vor allem aber: Die Aussicht auf den | |
eigenen Aufstieg ist schlechter geworden. Stattdessen stößt die Gen Z auf | |
große Ungerechtigkeiten in der Erbengesellschaft. In Metropolen mit hohen | |
Wohnkosten kann man sich ein normales Leben mit einem bescheidenen Gehalt | |
kaum noch leisten. Eine Immobilie lässt sich heute ohne Erbe kaum erwerben. | |
Die Zufälligkeit in der Erbengesellschaft entspricht nicht irgendwelchen | |
Fairnesskriterien, sondern ist ein Herkunftslotto. Ein Appell an eine | |
Arbeitsethik kann den Frust nicht mildern. | |
Trotzdem ist die Erwerbsbeteiligung der 20- bis 24-Jährigen – was der Gen | |
Z im Arbeitsmarkt entspricht – auf einen Höchststand seit Jahrzehnten | |
geklettert, das [4][sagt das Institut für Arbeitsmarkt- und | |
Berufsforschung]. Von Faulheit kann also keine Rede sein. | |
## Fleißappell allein reicht nicht aus | |
Eine Politik, die den Veränderungen in der Arbeitswelt und der Arbeitsethik | |
gerecht werden will, muss daher auf mehreren Ebenen ansetzen. Sie muss den | |
Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen. Sie muss die Ungerechtigkeiten im | |
Arbeitsverschleiß thematisieren. Sie muss dafür sorgen, dass Beschäftigte | |
in Berufen mit Schichtarbeit, hoher körperlicher und nervlicher Belastung, | |
früher abschlagsfrei in Rente gehen können als Beschäftigte in weniger | |
belastenden Tätigkeiten. | |
Will man den vielen gesundheitlich angeschlagenen | |
Grundsicherungsempfänger:innen gerecht werden, muss Teilzeitarbeit | |
mit ergänzender Sozialleistung immer eine Option sein. Und natürlich kann | |
man Vermögen und Erbschaften steuerlich mehr belasten. | |
Vielleicht weil die Dinge so kompliziert sind, will die Politik mit ein | |
wenig „Fleißappell“ die Dinge vereinfachen. Nur kann so was nicht wirklich | |
funktionieren. Sondern nur spalten. | |
30 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.arbeitsagentur.de/datei/arbeitsmarktbericht-maerz-2025_ba052511… | |
[2] https://statistik.arbeitsagentur.de/Statistikdaten/Detail/Aktuell/arbeitsma… | |
[3] https://dserver.bundestag.de/btd/20/137/2013751.pdf | |
[4] https://iab.de/presseinfo/generation-z-erwerbsbeteiligung-der-20-bis-24-jae… | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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