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# taz.de -- Bürgergeld und Stereotype: Von „schuldigen“ und von „unschul…
> Der Jobmarkt schwächelt. Das könnte künftig die Klischees über
> Arbeitslose wieder verändern. Die Ambivalenz kennt man aus der Historie
> von Hartz IV.
Bild: Jeder kann mal in die Situation kommen, zur Arbeitsagentur gehen zu müss…
Normalerweise steigt die Beschäftigung und die Arbeitslosigkeit sinkt im
Frühjahr, wenn es wärmer wird. Doch in diesem Mai bleibt die Belebung
hinter früheren Jahren zurück, meldet die Bundesagentur für Arbeit in ihrem
am Mittwoch erschienenen [1][Monatsbericht.]
Die Zahl der Arbeitslosen sank im Mai im Vergleich zum Vormonat um
lediglich 12.000 auf 2,919 Millionen Menschen. Das sind 197.000 mehr als
vor einem Jahr. „Der Arbeitsmarkt bekommt nicht den Rückenwind, den er für
eine Trendwende bräuchte. Daher rechnen wir für den Sommer auch mit weiter
tendenziell steigenden Arbeitslosenzahlen“, sagte Andrea Nahles, Chefin der
Bundesagentur für Arbeit.
Verschlechterungen bei den Arbeitsmarktzahlen, Berichte über Stellenabbau,
Bilder von Belegschaften im Fernsehen, die vor den Werktoren für den Erhalt
ihres Standortes demonstrieren – wenn sich diese Meldungen in der Zukunft
häufen, könnte das auch Auswirkungen haben auf die Stereotypisierungen von
Arbeitslosen, die in der Öffentlichkeit über Erwerbslose kursieren.
Dazu ist ein Blick in die Historie von [2][Hartz IV] sehr aufschlussreich
und auf den Wandel in den Rollenbildern von Arbeitslosen.
## Wechselnde Narrative
Derzeit herrscht das Narrativ, dass Arbeitslose sich oftmals nicht genug
anstrengen und anpassen. Der Begriff „Bürgergeld“ für die Grundsicherung,
vor zwei Jahren erst eingeführt, soll wieder abgeschafft werden. Auf die
Urfrage jeder kollektiven Sicherung: Sind die
Leistungsempfänger:innen selbst schuld an ihrer Situation oder sind
sie es nicht?, wird die Verantwortung den Betroffenen selbst zugeschoben.
Doch eine solche Zuschreibung kann nach hinten losgehen – dann nämlich,
wenn die Zahl der Arbeitslosen steigt und auch in den Mittelschichtmilieus
das Risiko zunimmt, Job und Auskommen zu verlieren. Diese Ambivalenz hatte
die SPD unterschätzt, als vor mehr als 20 Jahren unter SPD-Kanzler Gerhard
Schröder die Hartz-IV-Gesetze eingeführt wurden.
Mit der damaligen Abschaffung der sogenannten Arbeitslosenhilfe, die die
Lohnersatzleistung noch an das frühere Gehalt geknüpft hatte, wurden
Arbeitnehmer:innen, die wegen Firmenschließungen nach jahrzehntelanger
Beschäftigung ihren Job verloren, faktisch
Sozialhilfeempfänger:innen gleichgestellt, die noch nie gearbeitet
hatten.
## Der Kardinalfehler der SPD
Diesen realen oder drohenden „Abstieg“ durch die Hartz-IV-Gesetze hatten
viele Arbeitnehmer:innen der SPD nie verziehen. Schließlich herrschte
damals durch den Stellenabbau in der Industrie die Meinung vor, dass die
Entlassenen eben nicht selbst schuld seien an ihrem Schicksal. Niemand
erwartete damals von gefeuerten Metallfacharbeiter:innen, dass sie irgendwo
einen Hilfsjob in einem Versandlager annehmen sollten.
Auch später dann, zu [3][Coronazeiten], galten Arbeitslose nicht als
„schuldig“, weil damals wegen des Infektionsschutzes viele Menschen in der
Gastronomie oder im Kulturbereich Job und Auskommen verloren.
Die SPD wollte ihren Kardinalfehler [4][wiedergutmachen,]
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) führte daher 2023 das
„Bürgergeld“ ein. Doch mit der von den Grünen angestoßenen Debatte um
Sanktionsfreiheit, mit den Steigerungen im Bürgergeld-Regelsatz in den
Jahren 2023 und 2024, die auf die überraschend hohe Inflation aufgrund des
Ukrainekriegs und eine neue Berechnungsmethode zurückzuführen waren, mit
der Ankunft von hunderttausenden kriegsgeflüchteten Ukrainer:innen, die
hier Bürgergeld bekamen – mit all diesen Entwicklungen kippte die Stimmung.
## Die Algorithmen belohnen Empörung
„Bürgergeld“-Empfänger:innen wurden und werden in vielen Debatten wieder
als arbeitsunwillige Schmarotzer stigmatisiert. Fälle von Missbrauch werden
hochgejazzt. Die Algorithmen in den sozialen Medien, die Empörung und Wut
belohnen, verstärken dies.
Die schwarz-rote Koalition wird das Bürgergeld wieder umbenennen, der
Druck, irgendeinen, auch einen fachfremden Job anzunehmen, steigt in den
Jobcentern. Derzeit tüfteln Mitarbeiter des Arbeitsministeriums an einem
neuen Gesetzentwurf, laut dem Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine erst mal
kein Bürgergeld, sondern nur die deutlich geringeren Asylbewerberleistungen
bekommen sollen.
Die Frage lautet: Wird das Pendel irgendwann wieder umschwingen? Wenn die
Arbeitslosigkeit zunimmt und sich auch Angehörige der Mittelschichtmilieus
wegen Digitalisierung, Gesundheit, Behinderung, Alter oder Rentenreformen
in der „Neuen Grundsicherung“, dem umbenannten Bürgergeld, wiederfinden?
Während der Reichtum der ohnehin schon Reichen weiter steigt?
## Kündigung, Krankheit, Scheidung
Eine Kündigung, eine chronische Krankheit, eine Firmenpleite, eine
Scheidung oder eine Pflegedürftigkeit können Leute in die Grundsicherung
stürzen lassen, die das nie gedacht hätten. Wer sind dann die
„unschuldigen“, wer die „schuldigen“ Leistungsempfänger:innen?
Die Frage ist vielleicht gerade nicht so aktuell. Das wird sie aber wieder.
28 May 2025
## LINKS
[1] https://www.arbeitsagentur.de/datei/arbeitsmarktbericht-mai-2025_ba053097.p…
[2] /Fuenf-Jahre-Hartz-IV/!5196513
[3] /Auswirkungen-der-Coronapandemie/!5690403
[4] /Die-SPD-und-das-Buergergeld/!5866858
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Bürgergeld
Arbeitslosigkeit
Hartz IV
GNS
Prekäre Arbeit
wochentaz
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