| # taz.de -- Arbeitszeit in Deutschland: Faul sein fürs Klima | |
| > Letzte Woche forderte Merz: mehr Arbeit für den Wohlstand. Neue Zahlen | |
| > scheinen ihm recht zu geben. Dabei wäre faulenzen besser, auch für die | |
| > Umwelt. | |
| Bild: Auch dieser Kollege hat ein Recht aufs Faulsein | |
| Es braucht dringend eine Arbeitszeitverkürzung: für Friedrich Merz. Dann | |
| bekäme sein Hirn die Erholung, die nötig ist, um klare Gedanken zu fassen. | |
| Statt die 500 Meter im Auto vom Bundestag zum Kanzleramt zu fahren, könnte | |
| er es sich dann leisten, zu Fuß zu gehen. Dabei käme der Pöbler in Kontakt | |
| mit dem „Volk“. | |
| Dazu gehören nicht nur hart schuftende Paketboten, Reinigungskräfte oder | |
| Sicherheitspersonal, die allesamt ein besseres Leben verdient hätten. Zur | |
| arbeitenden Bevölkerung gehören auch Sachbearbeiter, Ingenieurinnen oder | |
| Lehrer. Viele von ihnen, inklusive seiner eigenen Wähler*innen, fühlen sich | |
| derzeit vom Bundeskanzler beleidigt. | |
| [1][Denn Merz meint, die Deutschen arbeiteten zu wenig.] [2][Neue Zahlen | |
| von Eurostat] zeigen, dass in Deutschland mit 34,8 Stunden pro Woche | |
| weniger geackert wird als in den meisten anderen EU-Ländern. Auch das | |
| Institut der deutschen Wirtschaft [3][teilte jetzt mit:] Wir arbeiten pro | |
| Jahr im Schnitt 135 Stunden weniger als die Griechen. Hä? Hat Merz also | |
| recht? | |
| Natürlich nicht. Und das hat mindestens drei Gründe. Ob diese oder jene | |
| Statistik, eine halbe Stunde mehr oder weniger, ist völlig egal. Jedes Kind | |
| weiß, zu viel Arbeit schadet der Familie. Auch Freundschaften und Frauen | |
| leiden darunter. Dass gerade berufstätige Mütter oft endlos gestresst sind, | |
| ist hinlänglich bekannt – viele haben ja selbst eine. | |
| Da klingt es zwar nett, dass Arbeitsministerin Bärbel Bas die | |
| Arbeitsbedingungen für Frauen verbessern will. Aber ein überzeugendes | |
| Konzept und vor allem Investitionen, um Frauen, die künftig noch mehr | |
| lohnarbeiten sollen, an der Sorgearbeits-Front zu entlasten, hat die | |
| Koalition bisher nicht vorgelegt. Schon allein deshalb ist mehr Arbeit aus | |
| feministischer Sicht abzulehnen. | |
| Auch Bas und ihre SPD, die bei der Bundestagswahl das schlechteste Ergebnis | |
| aller Zeiten eingefahren hat, sollten dringend mal freimachen. Dann könnte | |
| sie lesen, ins Museum gehen und sich an die eigene Geschichte erinnern: | |
| Denn es war die Arbeiter*innenbewegung – also SPD-Klientel –, die aus | |
| guten Gründen den 8-Stunden-Tag, das Recht auf Urlaub und vieles mehr | |
| erkämpft haben. Auch heute wünschen sich mehr als [4][80 Prozent der | |
| Vollzeitbeschäftigten eine Vier-Tage-Woche]. Aber vor lauter Arbeiten, äh | |
| Regieren, hat die SPD ja keine Zeit, sich auszurechnen, was für ein | |
| Wählerpotenzial sie hätte, würde sie Politik für die Mehrheit machen. | |
| Mit Eduard Bernstein war es im Übrigen ein Sozialdemokrat, der „Das Recht | |
| auf Faulheit“ von Paul Lafargue ins Deutsche übersetzt hat. Das Buch wird | |
| heute meist folkloristisch als Anleitung fürs Lotterleben zitiert. Dagegen | |
| ist nicht das Geringste einzuwenden. Vor allem aber bietet es eine | |
| wertvolle Kritik am Arbeitsbegriff des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Der | |
| Kapitalismus hat sich seitdem weiterentwickelt, weniger allerdings die von | |
| Lafargue kritisierte Ideologie, mit der bürgerliche „Philosophen“ und | |
| „Wirtschaftsexperten“ bis heute Ausbeutungsbereitschaft in die Köpfe des | |
| Humankapitals hämmern. | |
| Lafargue schreibt: „Wie verdorben sind doch die modernen Proletarier, dass | |
| sie geduldig das entsetzliche Elend der Fabrikarbeit akzeptieren.“ In | |
| heutigen Drecksjobs arbeiten Leute meistens, weil sie Geld brauchen – und | |
| sind froh, wenn sie endlich Feierabend machen können. Auch die Griechen | |
| arbeiten heute vor allem deshalb so viel, weil die Löhne in ihrer von | |
| Deutschland und der EU zugrunde gerichteten Wirtschaft so schlecht sind, | |
| dass sie anders nicht überleben würden. | |
| Zugleich dürfte sofort jedem eine arbeitssüchtige Person aus dem eigenen | |
| Umfeld einfallen – ob Tischler oder Grafikdesignerin. Das Problem ist also | |
| nicht nur Merz, sondern auch der Arbeitsfetisch in weiten Teilen der | |
| Bevölkerung und dass viele die Aussage von Merz, sie arbeiteten zu wenig, | |
| überhaupt als Beleidigung auffassen. | |
| Warum finden viele Leute Arbeit so geil? Haben die keine Hobbys? [5][Der | |
| Profit, den sie schaffen, landet doch eh bei anderen.] Dass Merz uns jetzt | |
| mehr knechten will, nur weil in den letzten Jahren Regierungen und | |
| Unternehmen die deutsche Wirtschaft mangels Ideen für Innovationen und | |
| Transformation gegen die Wand gefahren haben, ist ebenfalls abzulehnen. | |
| ## Arbeit schadet dem Klima | |
| Ein dritter Grund, dass wir diesen Quatsch nicht mitmachen sollten, lautet: | |
| Arbeit schadet dem Klima. Ein Altenpfleger, der den Anspruch hat, dass die | |
| Omas und Opas nicht verdursten, und deshalb ständig Überstunden leistet, | |
| hat bei einer 50-Stunden-Woche keine Zeit, sich eine Gemüsekiste beim | |
| Biobauern zu holen oder mit dem Bus zu fahren. Wer viel arbeitet, | |
| hinterlässt oft einen größeren CO₂-Fußabdruck als er oder sie möchte. | |
| Gefährlicher als der Konsum ist für das Klima natürlich die Produktion, | |
| also die Sphäre der Arbeit. Nicht nur Tätigkeiten in Rüstungsindustrie, | |
| Fleischfabriken oder Chemielaboren bedrohen den Planeten. Wenn ein Arbeiter | |
| lange am Fließband steht und 200 Autos herstellt, wird das Klima stärker | |
| belastet – das gilt auch für E-Autos –, als wenn er nur 100 baut. Für all | |
| das können natürlich die Arbeiter*innen nichts, sondern die Investoren | |
| und Manager, die immer mehr Produktivität aus den Beschäftigten pressen | |
| müssen. | |
| Der Professor für Technik- und Innovationssoziologie an der Technischen | |
| Universität Berlin, Simon Schaupp, beleuchtet in seinem Werk | |
| „Stoffwechselpolitik“ die wechselseitigen Effekte von Natur und Arbeit. | |
| Eines der konkreten Beispiele darin: [6][Die Betonproduktion ist nicht nur | |
| eine der größten Quellen von CO₂] und trägt somit maßgeblich zum | |
| Klimawandel bei. Dieser wiederum hat massive Auswirkungen auf die | |
| Bauarbeiter: Sie sind bei ihrer Tätigkeit, etwa wenn sie trotz Hitzewellen | |
| losgeschickt werden, mit am stärksten von der Erderwärmung betroffen. Aber | |
| nicht alle Arbeiter*innen lassen sich das gefallen, das Buch beschreibt | |
| zahlreiche interessante Fälle, in denen Arbeiter*innen die | |
| naturfeindliche Produktion verweigern. | |
| Auch um unseres eigenen Überlebens willen sollten wir also nicht mehr, | |
| sondern weniger arbeiten. Im Vergleich zu CDU und SPD haben die | |
| Gewerkschaften das verstanden und fordern Arbeitszeitverkürzungen. Wer | |
| streikt oder faulenzt, tut was fürs Klima. | |
| Vielleicht wussten das schon die alten Griechen. Dort waren Intellektuelle | |
| nicht wie so viele von heute Einpeitscher des Arbeitsfetischs, sondern | |
| Kritiker der Sklaverei. Der Philosoph Herodot jedenfalls verachtete Arbeit | |
| – zu Recht. | |
| 19 May 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Friedrich-Merz-und-die-Viertagewoche/!6086380 | |
| [2] https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/w/ddn-20250514-1 | |
| [3] https://ec.europa.eu/eurostat/web/products-eurostat-news/w/ddn-20250514-1 | |
| [4] https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-rund-81-prozent-der-voll… | |
| [5] /Sorge-ueber-Rezession/!6054132 | |
| [6] /Bauen-ohne-den-Rohstoff-Sand/!5973680 | |
| ## AUTOREN | |
| Lotte Laloire | |
| ## TAGS | |
| Kanzler Merz | |
| Faulheit | |
| Klima | |
| Arbeit | |
| Arbeitszeit | |
| GNS | |
| Arbeitszeit | |
| Kolumne Midlife Monologe | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Meme | |
| Kanzler Merz | |
| Prekäre Arbeit | |
| wochentaz | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| 41-Stunden-Woche für Bremer Beamt*innen: Darf's ein Stündchen mehr sein? | |
| Im Haushalt 2026 spart Bremen Geld, indem man die Arbeitszeit für | |
| Beamt*innen ohne Lohnausgleich erhöht. Es ist ein Signal auch an die | |
| Geberländer. | |
| Reiseplanung im digitalen Zeitalter: Wenn die Vorfreude fast verfliegt | |
| Unsere Kolumnistin packt die Vorfreude auf eine Reise – bis sie bei der | |
| Planung wieder verpufft. Manchmal ist weniger einfach mehr. | |
| Studie zu Emissionen in Frankreich: Frauen emittieren 26 Prozent weniger Treibh… | |
| Frauen sind in der Regel besorgter ums Klima als Männer. Eine neue Studie | |
| zeigt nun: Sie verursachen auch deutlich weniger Treibhausgase als Männer. | |
| Arbeitszeitbetrug-Meme: Arbeitgeber hassen diesen Trick | |
| Ein Update vortäuschen, im Home-Office die Wäsche aufhängen, sich zu spät | |
| ausstempeln: Das alles ist Arbeitszeitbetrug. Und wird im Internet | |
| gefeiert. | |
| Friedrich Merz und die Viertagewoche: Kompetenz des Kanzlers? Lokomotive! | |
| Auch wenn Merz es nicht glauben will: Eine Viertagewoche und | |
| Work-Life-Balance steigern die Effizienz. Das weiß auch die ARD-Sendung | |
| „Wirtschaft vor acht“. | |
| Pläne der neuen Regierung: Mehr Überstunden bis ins hohe Alter | |
| Mehr Überstunden, weniger Teilzeit und arbeiten bis ins hohe Alter: ein | |
| Blick auf die Pläne der neuen Regierung zum Tag der Arbeit. | |
| Koalitionsvertrag schwarz-rot: Immer schön fleißig! | |
| Ein Blick in den Koalitionsvertrag von Union und SPD zeigt: Die künftige | |
| Regierung will Politik für Leistungsträger machen. Wer sind die eigentlich? |