# taz.de -- Netanjahu in Ungarn: Schulterschluss gegen internationales Recht | |
> Der israelische Premier Netanjahu reist trotz internationalen Haftbefehls | |
> zu seinem Amtskollegen Orbán. Beide wollen wohl auch eins: ablenken. | |
Bild: Rechtspopulisten unter sich, hier in Netanjahus Büro in Jerusalem im Jul… | |
Jerusalem/Wien taz | Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hat | |
eigentlich alle Hände voll zu tun: Gerade wurden zwei enge Mitarbeiter | |
wegen mutmaßlicher Verstrickungen mit dem Staat Katar festgenommen, immer | |
mehr Soldaten wollen laut Medienberichten wegen der Fortsetzung des | |
Gazakriegs und der Wiederaufnahme des umstrittenen Justizumbaus nicht mehr | |
zum Reservedienst erscheinen, Netanjahus Regierung steuert auf eine | |
Konfrontation mit dem Obersten Gerichtshof zu. Die Liste ließe sich | |
fortsetzen. | |
Dennoch soll der israelische Ministerpräsident zusammen mit seiner Frau | |
Sara am Mittwoch für fünf Tage zu einem Staatsbesuch in Ungarn aufbrechen. | |
Es ist der erste in Europa, seit der Internationale Strafgerichtshof | |
(IStGH) im November einen internationalen Haftbefehl gegen ihn verhängt | |
hat. | |
Zumindest über eine Festnahme muss sich Netanjahu nicht sorgen: Ungarns | |
Regierungschef Viktor Orbán hatte bereits kurz nach der Entscheidung des | |
Gerichts eine Einladung ausgesprochen. Das ungarische Recht lässt ihm dafür | |
offenbar ein Schlupfloch: Das Land hat 2001 das Römische Statut des | |
Gerichtshofes zwar ratifiziert, diese Verpflichtung auf nationaler Ebene | |
aber nie verkündet. | |
„Völkerrechtlich ist Ungarn ohne Frage zur Festnahme verpflichtet“, sagt | |
Stefanie Bock, Professorin für internationales Strafrecht an der | |
Universität Marburg. Die ungarische Verfassung hingegen gestehe | |
Regierungschefs aber umfassende Immunität zu. Nun ließe sich argumentieren, | |
dass für eine Verhaftung keine nationale Rechtsgrundlage bestehe. „Ungarn | |
wäre aber völkerrechtlich längst verpflichtet gewesen, diesen | |
Normenkonflikt zu lösen, und hat das bis heute nicht getan.“ Die | |
internationale Ordnung werde so delegitimiert zugunsten einer Rückkehr „zum | |
Recht des Stärkeren“. | |
## Ein Moment der Normalität als Staatsmann | |
Zu Beginn des Gazakriegs im Oktober 2023 hat sich die ungarische Regierung | |
ohnehin deutlich auf die Seite Israels gestellt und unterstützt die | |
israelische Kriegsführung in Gaza nahezu uneingeschränkt. Auch wenn über | |
das Besuchsprogramm bisher wenig bekannt ist, soll es laut der israelischen | |
Internetzeitung Times of Israel Gespräche über eine Umsetzung des | |
Gaza-Plans von US-Präsident Donald Trump geben. Der hatte im Januar eine | |
Vertreibung der [1][Bevölkerung von Gaza] ins Spiel gebracht. | |
Die Reise bietet Netanjahu auch einen Moment der Normalität als Staatsmann | |
auf internationalem Parkett, während er zu Hause unter massivem Druck | |
steht. In Israel mehren sich die Stimmen, die die Wiederaufnahme der | |
Angriffe im Gazastreifen ablehnen. Am Montag musste Netanjahu außerdem in | |
seinem eigenen Korruptionsverfahren vor Gericht erscheinen und im Anschluss | |
bei der Polizei aussagen: Es ging um die Festnahme seiner engen Mitarbeiter | |
Jonatan Urich und Eli Feldstein im Fall „Katargate“. | |
Gleichzeitig betrieb der Regierungschef Schadensbegrenzung im zunehmend | |
chaotischen Streit um die Führung des Inlandsgeheimdienstes Schin Bet. | |
Nachdem der Premier erst am Montag in einem umstrittenen Schritt den | |
[2][Vizeadmiral Eli Sharvit] als Nachfolger von Ronen Bar verkündet hatte, | |
ruderte er nur 24 Stunden später zurück und kündigte an, mit weiteren | |
Kandidaten zu sprechen. Offenbar gab er mit der Entscheidung der Kritik | |
seiner Koalitionspartner nach. Ohnehin hatte der Oberste Gerichtshof die | |
Entlassung von Bar fürs Erste ausgesetzt. Kritiker sehen einen | |
Interessenskonflikt, da der Schin Bet an den Ermittlungen gegen Netanjahus | |
Büro im Fall Katar beteiligt ist. | |
Doch auch Orbán verspricht sich Vorteile von dem Besuch. „Er versucht, mit | |
der Einladung mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen“, sagt | |
Politikwissenschaftler Wojciech Przybylski, Leiter des Thinktanks Visegrad | |
Insight. „Er will die Rolle internationaler Institutionen und der | |
Rechtsstaatlichkeit diskreditieren. Er will Geschäfte machen. Und es geht | |
ihm um politisches Marketing“, sagt Przybylski. | |
## Gegen den vermeintlichen europäischen Mainstream | |
Zudem lebt in Ungarn eine bedeutende Minderheit von rund 100.000 Jüdinnen | |
und Juden, die Orbán mit dem Empfang erreichen könnte. Doch ob er damit | |
wirklich punktet, ist fraglich. „Viele der ungarischen Jüdinnen und Juden | |
bemängeln, dass Netanjahus Regierung den Pluralismus der Diaspora-Gemeinden | |
vernachlässigt und orthodoxe gegenüber liberalen religiösen Strömungen | |
bevorzugt“, sagt Experte Novák. | |
Attila Novák, Historiker und Nahostexperte in Budapest, sieht vor allem | |
politische Motive. „Mit dem Boykott des IStGH-Urteils positioniert sich | |
Ungarn, neben manch anderen EU-Ländern wie Polen und Tschechien, gegen den | |
vermeintlichen europäischen Mainstream“, sagt Novák. Das Ziel, einen | |
weitgehend homogenen Nationalstaat zu wahren, vereine die beiden. Möglich | |
ist laut Novák auch, dass Netanjahu einen Unterstützer für eine | |
Nachkriegsordnung Gazas im Sinne von US-Präsident Trump sucht. | |
Sollte der Besuch in Ungarn für Aufregung sorgen, dürfte dies Orbán recht | |
sein. [3][Er suche nach Themen, die die Opposition spalten könnten], so | |
Przybylski, nicht zuletzt um von seinen schwachen Umfragewerten abzulenken. | |
2 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Felix Wellisch | |
Florian Bayer | |
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