# taz.de -- Bedrohte Pressefreiheit: Mundtot geklagt | |
> Einschüchterungsklagen gegen Journalist:innen werden als SLAPPs | |
> bezeichnet. Eine EU-Richtlinie soll Schutz bieten. Warum ist sie | |
> notwendig? | |
Bild: Durch SLAPP-Klagen wollen Mächtige Journalist*innen zum Schweigen bringen | |
Was sind SLAPPs? | |
Gesetze sollen unser Rechtssystem schützen. So ist es wichtig, dass eine | |
Person, über die in der Zeitung berichtet wird, sie habe keine Steuern | |
gezahlt, obwohl sie tatsächlich Steuern gezahlt hat, sich juristisch wehren | |
kann. Doch Gesetze können auch missbraucht werden – etwa, um Menschen | |
anzugreifen, die Missstände aufdecken. Eine Form dieses Missbrauchs sind | |
SLAPPs oder in lang [1][„Strategic Lawsuits against Public Participation“]. | |
Diese strategischen Klagen sind nicht zufällig an das englische Wort „to | |
slap“ (Ohrfeige) angelehnt: Die Kläger:innen nutzen sie gezielt, um | |
Kritiker:innen mundtot zu machen. Solche Verfahren können | |
unterschiedliche Tatbestände umfassen, darunter Abmahnungen, Vorwürfe der | |
Rufschädigung oder Verstöße gegen Datenschutzrechte. Oft geht es gar nicht | |
darum, zu gewinnen, sondern die Betroffenen mit hohen | |
Schadensersatzforderungen finanziell und psychisch unter Druck zu setzen. | |
Das Ziel: Einschüchterung und Abschreckung vor künftiger Meinungsäußerung. | |
Deshalb nennt man sie in Deutschland auch Einschüchterungsklagen. | |
Wer wird geslappt? | |
SLAPP-Klagen haben oft eines gemeinsam: ein starkes Machtgefälle zwischen | |
Kläger:innen und Betroffenen. Betroffen sind häufig (einzelne) | |
Journalist:innen, Aktivist:innen oder Wissenschaftler:innen – | |
Menschen, die meist weder finanzielle Rücklagen noch eine spezialisierte | |
Rechtsabteilung haben, um sich zu wehren. Auf der anderen Seite stehen | |
Unternehmen mit großen Budgets, Konzerne oder staatliche Akteur:innen. | |
Während SLAPPs in den USA ein bekanntes Problem sind, erlangten sie in | |
Europa erst 2017 größere Aufmerksamkeit. In diesem Jahr wurde die | |
maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia ermordet. Sie hatte | |
Korruption in Unternehmen und der maltesischen Regierung kritisiert und war | |
zu Lebzeiten bedroht worden. Nach ihrem Tod stellten ihre Angehörigen fest, | |
dass noch 47 Einschüchterungsklagen gegen sie offen waren, und sie setzen | |
sich seitdem für einen besseren Schutz vor solchen Klagen vor dem | |
Europäischen Parlament ein. | |
Und in Deutschland? | |
Auch hier gibt es zahlreiche Fälle. Besonders aktiv ist beispielsweise die | |
Adelsfamilie der Hohenzollern, die in Streitigkeiten über | |
Entschädigungszahlungen für nach 1945 enteignete Besitztümer mehrfach | |
Journalist:innen, Historiker:innen und die Gewerkschaft ver.di | |
verklagt hat. Ein weiteres prominentes Beispiel ist der Fall des | |
Aktionskünstlers Tobias Rosswog. Gegen ihn reichten VW und Wolfgang Porsche | |
persönlich Klage ein, weil er im Impressum einer satirischen Website über | |
das Unternehmen stand. | |
Welche Hilfe gibt es für Betroffene? | |
Für Opfer solcher Klagen gibt es bisher kaum offizielle Unterstützung. | |
Viele scheuen die Kosten langwieriger Verfahren und einigen sich lieber | |
außergerichtlich. Mittlerweile gibt es einige Organisationen, die sich für | |
den Rechtsschutz von Betroffenen einsetzen, etwa die Daphne Caruana Galizia | |
Foundation oder die Coalition Against SLAPPs in Europe (CASE). In | |
Deutschland wurde 2024 von FragDenStaat 2024 für Opfer solcher Klagen und | |
auch anderen Bedrohungen, die gerichtlich ausgefochten werden müssen, | |
[2][ein Fonds eingerichtet.] Und 2025 gründete sich das No-SLAPP-Bündnis | |
mit Partner:innen wie Reporter ohne Grenzen oder dem Deutschen | |
Journalisten-Verband (DJV). | |
Wird es schlimmer? | |
Viele sagen Ja. CASE veröffentlichte 2023 einen Bericht, der 570 | |
Missbrauchsklagen von 2010 bis 2022 in Europa untersuchte. Das Ergebnis: | |
Die Zahl dieser Klagen steigt stetig, mit einem Höchststand im Jahr 2020. | |
Besonders betroffen war im Untersuchungszeitraum Polen. Auch andere | |
Institutionen wie die European Federation of Journalists, der Europäische | |
Rat und das No-SLAPP-Bündnis bestätigen diesen Trend. Eine aktuelle | |
Befragung der Otto-Brenner-Stiftung unter 227 Journalist:innen ergab: | |
116 von ihnen haben persönliche Erfahrung mit Einschüchterungsversuchen, 50 | |
berichteten von Klagen gegen sie. Auch die taz oder einzelne | |
Journalist:innen, die für die taz schreiben, sind Zielscheibe von | |
solchen Klagen. Selbst wenn man dann gewinnt, ist man hohen | |
Verfahrenskosten ausgesetzt. Kläger:innen erhoffen sich zudem eine | |
Signalwirkung: Wenn eine Person angeklagt wird, weil sie etwa ein | |
bestimmtes Unternehmen kritisiert, wird sich die nächste Person dreimal | |
überlegen, ob sie über den Fall berichten will, so die Überlegung. Nehmen | |
Klagen mit einer solchen Absicht zu, ist das eine Gefahr für die Demokratie | |
und freie Meinungsäußerung. Das Problem ist nur, so richtig messen kann man | |
die Zunahme nicht, eben gerade, weil SLAPPs (noch) kein fester Bestandteil | |
des Rechtssystems sind. Vielmehr geht es ja um die missbräuchliche | |
Verwendung von bestehenden Klagen. Dadurch sind sie schwer wissenschaftlich | |
zu erfassen und juristisch anzugreifen. | |
Wie kann die Situation verbessert werden? | |
Die [3][EU-Richtlinie gegen SLAPPs], die im November 2024 in Kraft trat, | |
ist ein Meilenstein. Sie legt erstmals Regeln dafür fest, welche Klagen als | |
SLAPPs gelten und wie Gerichte mit ihnen umgehen können. Ein zentrales | |
Element: Verfahren können frühzeitig abgewiesen werden, wenn sie als | |
missbräuchlich oder unbegründet eingestuft werden. Zudem sollen Sanktionen | |
für Kläger:innen verhängt werden, die SLAPPs gezielt als | |
Einschüchterungsmittel einsetzen. | |
Wo greift die EU-Richtlinie? | |
Die Richtlinie erfasst nicht alle SLAPPs, sondern nur sogenannte | |
grenzüberschreitende Fälle. Dazu gehört etwa eine Klage, wenn ein | |
Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland eine Journalistin in Slowenien | |
verklagen will. Die Definition ist weit gefasst: Auch Themen von | |
internationaler Relevanz, wie ein Korruptionsskandal oder online | |
verbreitete Inhalte, können darunterfallen. Organisationen wie CASE und | |
Reporter ohne Grenzen fürchten jedoch, dass die Richtlinie in den | |
EU-Mitgliedstaaten nicht konsequent umgesetzt wird. Deutschland muss sie | |
bis Mai 2026 in nationales Recht überführen. | |
Was muss jetzt passieren? | |
Die Rechtswissenschaftlerin Stefanie Egidy, Autorin der OBS-Studie zu | |
SLAPPs, fordert, dass der Gesetzgeber den Schutz vor SLAPPs in Deutschland | |
sofort umsetzt. Sie plädiert für schnellere Verfahren und eine finanzielle | |
Absicherung der Betroffenen. Zudem sollten klare Sanktionen für | |
Kläger:innen verhängt werden, die Einschüchterungsklagen missbräuchlich | |
einsetzen. | |
Korrektur: In einer ersten Fassung des Artikels haben wir geschrieben im | |
Zusammenhang mit dem Aktionskünstler Tobias Rosswog: „Gegen ihn reichten VW | |
und Wolfgang Porsche persönlich Klage ein. Der Medienanwalt Christian | |
Schertz forderte in einer Klage zunächst 350.000.- €. Beide Klagen wurden | |
aber zurückgezogen.“ Dazu stellen wir fest: Es handelte sich bei beiden | |
Verfahren, die in keinem sachlichen Zusammenhang standen, nicht um | |
Schadensersatzforderungen. Schertz hat VW auch nicht vertreten. VW hatte im | |
vergangenen Jahr auf Unterlassung geklagt bei einem Streitwertvorschlag von | |
350.000.- €, den der Richter für völlig übersetzt hielt, und diese Klage | |
zurückgenommen. Schertz hat kürzlich für Wolfgang Porsche beim LG Stuttgart | |
einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung | |
gestellt bei einem Streitwert von 50.000.- €, den er ohne weitere | |
Begründung einen Tag vor der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat. | |
Die Redaktion | |
[4][Gegendarstellung von Professor Dr. Christian Schertz] | |
2 Apr 2025 | |
## LINKS | |
[1] /!vn6076935/ | |
[2] /Pressefonds-gegen-Klage-von-Rechts/!5939864 | |
[3] https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1025992 | |
[4] /Gegendarstellung/!6086952 | |
## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Leclere | |
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