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# taz.de -- Berichterstattung über AfD-Mitarbeiter: Gerichtsurteil bedroht Pre…
> Die Wochenzeitung „Kontext“ berichtet 2018 über die rechtsextremen Chats
> eines AfD-Mitarbeiters. Der klagt. Es folgt ein jahrelanger Rechtsstreit.
Bild: Die Redaktion von „Kontext“ beweist langen Atem, hier vor dem Gebäud…
Es war Anfang 2018, als der Journalistin Anna Hunger ein USB-Stick
zugespielt wurde. Was sie dort auf einer.xhtml-Datei fand, beschreibt sie
heute als „eklig“. „Bürgerkriegsfantasien, Menschenfeindlichkeit,
rassistisches Zeug“, erzählt sie, „da war alles Mögliche drauf“. Vor Hu…
erstreckte sich eine vier Jahre umspannende Korrespondenz; die privaten
Facebookchats eines Mitarbeiters zweier Abgeordneter der AfD im
baden-württembergischen Landtag. 136 Chatverläufe enthüllten ein
rechtsextremes Weltbild.
Hunger und ihre Kolleg:innen von der Kontext Wochenzeitung in Stuttgart
taten daraufhin, was Investigativ-Journalist:innen tun: Sie prüften die
Chatprotokolle, die ausgedruckt mehr als 17.000 DIN-A4-Seiten ergaben.
Wochenlang durchforsteten sie die Verläufe, verglichen gepostete Fotos,
Dokumente, Orts- und Zeitangaben und identifizierten
Gesprächspartner:innen.
Unter ihnen waren AfD-Funktionäre, Burschenschaftler und Mitglieder der
NPD. Am Ende waren für sie jedwede Zweifel an der Echtheit der Chats
ausgeräumt. Am 9. Mai 2018 erscheint Hungers Bericht „‚Sieg Heil‘ mit
Smiley“, in dem sie aus den Chats zitiert. Sie nennt auch den Namen des
AfD-Mitarbeiters, um Verwechslungen mit anderen Mitarbeitenden zu
vermeiden.
Zu der Zeit habe die Diskussion darüber, ob die AfD rechtsextrem sei,
gerade so richtig Fahrt aufgenommen, erinnert sich Hunger. Heute bestätigt
das der Verfassungsschutz, damals wurde die Debatte kontroverser geführt.
Auch deshalb sah die Redaktion ein großes öffentliches Interesse darin, die
rechtsextreme Gesinnung des Mannes offenzulegen. Was jedoch dann passierte,
hätte man sich bei Kontext so nicht vorstellen können. Es folgte ein
jahrelanger Rechtsstreit, der die Grundlagen für investigativen
Journalismus infrage stellt. Und der bis heute anhält.
Die Recherche wird 2018 veröffentlicht, kurz darauf geht der
AfD-Abgeordneten-Mitarbeiter mit einer Abmahnung juristisch gegen Kontext
vor. Hunger und ein weiterer Kontext-Redakteur, der die Zitate ebenfalls in
einem Text verwendete, sind zudem persönlich beklagt. Das Ziel: Sie sollen
die Namensnennung und die Verortung im Rechtsextremismus unterlassen.
## Außergewöhnlich hoher Streitwert
Was dabei von Anfang an überrascht, ist der von den Klägern angesetzte
Streitwert von 60.000 Euro. Eine außergewöhnlich hohe Summe für ein
Presserechtsverfahren. Eine Niederlage vor Gericht hätte das Ende für die
nur aus sechs Festangestellten bestehende Kontext-Redaktion bedeutet. Nur
durch eine Crowdfunding-Aktion kann sich die kleine Zeitung gegen das
finanzielle Risiko wappnen.
Was folgt, ist ein wilder Ritt durch die Gerichtssäle der Republik. Denn im
Presserecht wird nicht am Wohnort des Beklagten, in diesem Fall in
Stuttgart, verhandelt. Solange die Publikation flächendeckend erscheint,
kann der Kläger vor jedes Gericht ziehen. „Fliegender Gerichtsstand“ nennen
Jurist:innen das. Das Eilverfahren beginnt also am Landgericht Mannheim.
Und Kontext verliert.
2019 wird der Fall in zweiter Instanz am Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe
verhandelt. In den Verhandlungen versichert der ehemalige AfD-Mitarbeiter
eidesstattlich, dass er die von Kontext veröffentlichten Aussagen nicht
gemacht habe. Belegen kann er das nicht. Sein Facebook-Konto hatte er 2018,
nach der Kontext-Recherche, gelöscht. Die Redaktion und ihre Anwälte sehen
darin Beweisvereitelung.
Auch die Richter:innen schätzen die Wahrscheinlichkeit für eine
Fälschung als sehr gering ein. Die Pressefreiheit überwiege deshalb das
Persönlichkeitsrecht. Das Gericht entscheidet [1][zugunsten von Kontext].
Und erachtet sogar die volle Namensnennung als legitim. Das Eilverfahren
ist damit beendet.
## Kläger lässt nicht locker
Doch der Kläger und seine Anwält:innen von der Kanzlei Höcker – [2][bei
ihr arbeitete bis 2021 der frühere Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen]
und [3][auch heute noch vertritt sie die AfD] – lassen nicht locker: Sie
beginnen ein Hauptsacheverfahren, und so landet der Fall 2022 wieder vor
einem Landgericht – dieses Mal in Frankfurt am Main.
Kontext startet derweil die nächste Crowdfunding-Kampagne; denn den
Streitwert haben die Kläger mittlerweile bei 260.000 Euro angesetzt. Für
Hunger ist klar: „Es geht nicht mehr um die Chats, sondern einfach darum,
uns mundtot zu machen.“ Die Kanzlei Höcker ist bekannt dafür, aggressiv
gegen Journalist:innen vorzugehen. Der Anwalt [4][Ralf Höcker] schrieb
bereits [5][2012 in einer mittlerweile gelöschten Kolumne des
Medien-Think-Tanks Vocer]: „Journalisten-Bedrohung ist okay!“
Immer häufiger werden Medienhäuser nach Recherchen auf exorbitant hohe
Summe verklagt. Das kann so weit führen, dass sie vor bestimmten
Veröffentlichungen zurückschrecken. Aus dem Amerikanischen ist dieses
Vorgehen als [6][Slapp-Klage] bekannt (Strategic Lawsuit Against Public
Participation, auf Deutsch: strategische Klage gegen öffentliche
Beteiligung).
Das Verfahren in Frankfurt wird 2022 breit aufgerollt. Ein
IT-Sachverständiger und drei Zeugen des Klägers, alles Männer aus der
Szene der Neuen Rechten, werden vernommen. Auch dieses Gericht beschäftigt
sich eingehend mit den Inhalten und geht wie zuvor schon Karlsruhe von der
Authentizität der Protokolle aus. Es entscheidet ebenfalls für Kontext.
## Ungewöhnliches Urteil
„Mit ihrer Berichterstattung nehmen sie die klassische Aufgabe als
Presseorgan im Sinne eines ‚Wachhunds der Öffentlichkeit‘ wahr“, steht in
der Urteilsbegründung. Doch wieder legt der AfD-Mitarbeiter Revision ein,
und so landet der Fall schließlich vor dem OLG Frankfurt am Main. Und
[7][dieses urteilt im März 2025] nun ganz und gar ungewöhnlich.
Es sei nicht nachgewiesen worden, so die Pressekammer des OLG, dass die
Chats tatsächlich von dem AfD-Mitarbeiter stammten. Hungers Aussagen zur
Quelle seien „nicht ausreichend, um die Zuverlässigkeit der Quelle
beurteilen zu können“, so das Gericht. Kontext könne nicht belegen, dass
die Chatprotokolle nicht manipuliert wurden – die.xhtml-Datei sei als nicht
signiertes, privates elektronisches Dokument nicht fälschungssicher. Auf
die inhaltliche Fülle der Chatprotokolle geht das Gericht nicht ein.
Kontext wird zur Unterlassung verurteilt. Revision wird nicht zugelassen.
Und: Das Gericht erhöht den Streitwert für Kontext vollkommen überraschend
auf 480.000 Euro.
„In diesen Chats sind Ausweise von ihm und von seinen Kumpels, da sind
abfotografierte Kontoauszüge, Zeugnisse von Leuten aus der Szene“, erzählt
Hunger der taz, immer noch empört. „Das sind Dokumente, die keiner haben
kann, die keiner fälschen kann“, und dann fügt sie hinzu, „und auch nicht
fälschen wollte. Wenn ich es mal so sagen darf, ist der Typ ja auch nicht
Hitler, sondern ein Mann, der für die AfD im Landtag gearbeitet hat.“
Das Urteil erregt auch anderswo Aufsehen, in vielen Redaktionen [8][blickt
man entsetzt nach Frankfurt]. Es geht um zwei Punkte: um die Authentizität
von digitaler Dokumentation und um das [9][Recht auf Quellenschutz] als
elementarer Teil von Pressefreiheit. Hätte das Urteil weiter Bestand, wäre
es ein Schlag für den investigativen Journalismus. Denn wie sollen
Medienschaffende ihre Arbeit machen, wenn ihr Recht auf Quellenschutz
ihnen zum Nachteil ausgelegt wird? Und welche journalistische Sorgfalt kann
für digitale Recherchen überhaupt noch genügen?
## Quellen wollen häufig anonym bleiben
„Dem OLG Frankfurt kommt es nicht vorrangig darauf an, was für eine
Information geliefert wird, sondern von wem. Das widerspricht allen
Grundsätzen des Whistleblowings“, kritisiert Markus Köhler, Medienrechtler
und einer von drei Rechtsanwält:innen der Kanzlei, die Kontext
vertritt.
Wenn Whistleblower Informationen an Journalist:innen weiterreichen,
kommt es vor, dass sie auch für diese komplett anonym bleiben. Solange die
Informationen aber nach sorgfältiger Prüfung Hand und Fuß haben, so Köhler,
sei das auch vollkommen in Ordnung – manchmal sogar notwendig.
Wer würde noch Missstände in einem Unternehmen anzeigen, wer auf
Rechtsextremismus in der Bundeswehr hinweisen oder auf Steuerhinterziehung
in Milliardenhöhe, wenn man damit rechnen muss, vor Gericht identifizierbar
zu sein? Folgte die Rechtsprechung zukünftig dem Urteil des OLG Frankfurt
am Main, gäbe es ein Problem, meint Köhler. „Dann gibt es investigativen
Journalismus in dem Sinne nicht mehr, jedenfalls werden sich dem
Journalisten oder der Journalistin keine Quellen mehr offenbaren.“
Das OLG-Urteil wirft darüber hinaus die ganz grundsätzliche Frage auf,
welche digitalen Beweise vor Gericht überhaupt noch als authentisch
gewertet werden. „Es geht um einen Kern in der Recherche, darum, ob die
digitale Dokumentation von authentischen Tatsachen reicht“, sagt David
Schraven, investigativer Journalist und Gründer des Recherchenetzwerks
Correctiv. In der Beurteilung des Gerichts sieht Schraven eine
Beweislastumkehr. Nicht der vermeintliche Rechtsextremist muss glaubhaft
darlegen, dass er die sorgfältig geprüften Aussagen nicht getätigt hat –
indem er seine Facebook-Chats zeigt beispielsweise –, sondern Kontext soll
beweisen, dass diese Chatprotokolle nicht manipuliert sind.
## Inhaltliche Kontexte spielen keine Rolle
Keine Rolle wiederum schien für das Gericht zu spielen, dass sich die
Redaktion ausführlich mit den inhaltlichen Kontexten (dieses Mal nicht die
Zeitung) beschäftigte: die große Menge der Protokolle, die gegenseitige
Bezugnahme, die Querverweise. Diese würden zeigen, so argumentiert Köhler,
dass die Aussagen schwer fälschbar, da „strukturell miteinander verwoben
sind – wie in einem guten, dicken Roman“.
Dem Urteil des OLG Frankfurt zufolge scheint allein die Glaubwürdigkeit der
Quelle oder ein digitaler Echtheitsbeweis – womöglich in Form einer
kryptografischen Signatur – Wert zu haben. Wäre das der Fall, „wäre eine
digitale Dokumentation von Recherchen überhaupt nicht mehr möglich“,
befürchtet Correctiv-Journalist Schraven. Screenshots beispielsweise, Fotos
und eigentlich alles, was digital potenziell fälschbar ist, wären für den
investigativen Journalismus unbrauchbar. Übersetzte man diesen
Echtheitsanspruch ins Analoge, bedeutete das, dass sich jede*r
Whistleblower*in derartige Dokumentationen ab sofort urkundlich
beglaubigen lassen müsste.
In allen Bereichen also – bei der strukturellen Analyse der Protokolle, der
journalistischen Sorgfaltspflicht, dem Streitwert, dem Thema der
Beweisvereitelung und der Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Zeugen – hat
das OLG Frankfurt am Main gegen Kontext und gegen die beiden vorherigen
Instanzen entschieden, fasst der Anwalt von Kontext, Markus Köhler, das
Urteil noch mal zusammen.
Man erlebe als Anwalt zwar naturgemäß häufig, dass Gerichte in die andere
Richtung entschieden, sagt er. „Dass dieses Gericht aber in jedem Punkt
entgegen den Vorinstanzen, bis hin zur Glaubwürdigkeit der rechtsextremen
Zeugen entscheidet, ist schon merkwürdig.“ Auf zukünftige investigative
Recherchen könnte so einiges zukommen: Der Rechtsanwalt befürchtet, dass
die „rechte Klägerszene“ zukünftig noch lieber nach Frankfurt gehen wird.
„Der Quellenschutz ist ein Grundfeste unseres Berufs“, sagt Anna Hunger.
Werde er weiter ausgehebelt, würde über vieles zukünftig nicht mehr
berichtet werden. Die Kontext-Redaktion und deren Anwält:innen wollen
deshalb weiter gegen das Urteil vorgehen. Weil eine Revision nicht
zugelassen wurde, haben sie nun eine Nichtzulassungsbeschwerde vor dem
Bundesgerichtshof (BGH) eingelegt. Falls diese Beschwerde Erfolg hat,
könnte sich der BGH wohl frühestens 2027 mit Kontext beschäftigen.
Transparenzhinweis: [10][KONTEXT:Wochenzeitung] ist eine größtenteils
spendenfinanzierte Wochenzeitung aus Stuttgart. Seit 2011 liegt sie
samstags als vierseitige Beilage der wochentaz bei.
25 May 2025
## LINKS
[1] /Urteil-zur-Wochenzeitung-Kontext/!5573132
[2] /AfD-und-Verfassungsschutz/!5742009
[3] /Einstufung-als-gesichert-rechtsextrem/!6083525
[4] https://uebermedien.de/39316/wie-ralf-hoecker-versucht-journalisten-einzusc…
[5] https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Gross-gegen-klein-Medienanwalt-…
[6] /Bedrohte-Pressefreiheit/!6076037
[7] https://www.rv.hessenrecht.hessen.de/bshe/document/LARE250000472
[8] https://www.zvw.de/rems-murr-kreis/skandal-urteil-zu-rechten-chats-warum-ko…
[9] /Linke-Wochenzeitung-verliert-gegen-AfD/!6082880
[10] https://www.kontextwochenzeitung.de/
## AUTOREN
Amelie Sittenauer
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