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# taz.de -- Die Kunst der Woche: Die Zeit schichten
> Das C/O zeigt Fotografie aus Afrika und der afrikanischen Diaspora. Der
> New Yorker Fotograf Leonard Freed porträtierte jüdisches Leben in der
> BRD.
Bild: Zu sehen bei „A World in Common“: Atong Atem, „Dit“, 2015
Traditionelle Bräuche und traditionelles Wissen, es gibt sie noch in Afrika
und sie werden in den Aufnahmen gegenwärtig, die George Osodi von
nigerianischen König:innen gemacht hat. Gleich im ersten Raum der
Ausstellung „A World in Common. Contemporary African Photography“ bei
[1][C/O Berlin] werden wir, die Besucher:innen, also mit großem Glanz und
Pomp empfangen. In einem sind sich die Majestäten ganz unterschiedlicher
Ethnien und aus ganz unterschiedlichen geografischen Kontexten offenbar
einig: Gold und die Farbe Rot sind wesentlich Elemente herrschaftlicher
Selbstdarstellung.
Und während Seine Kaiserliche Majestät Oboro Gbaraun II. vor dem
Hintergrund eines Reliefs der Freiheitsstatue auf einem Sessel thront, der
aus Versailles stammen könnte, sitzt Ihre Königliche Hoheit, Königin Hajiya
Hadizatu Ahmedu Magajiya von Knubwada, auf einem schlichten Polstersessel
im Hof ihres Lehmbau-Anwesens. Man könnte in ihr die klügere Herrscherin
vermuten, aber das ist nur eine persönliche Spekulation.
Osodis Fotografien gehören zum ersten Ausstellungskapitel „Identität und
Tradition“. Hier finden sich auch Arbeiten wie Zina Saro-Wiwas Video
„Invisible Man. The Weigth of Absence“ oder Edson Chagas Fotoserie „Tipo
Passe“, die sich mit den grandiosen Masken Westafrikas auseinandersetzen
und fragen, inwieweit ihre zentrale Stellung im spirituellen Leben noch
bewahrt ist, nachdem sie im 19. und 20. Jahrhundert von den Europäern für
sich entdeckt und als Synonym für afrikanische Kunst zum Handelsobjekt
wurden.
Der Titel „Gegenerzählung“ des zweiten Kapitels könnte auch zu diesen
Arbeiten passen, es geht hier aber um die Auseinandersetzung mit den
kolonialen Archiven. Samson Kambalus aus altem Bildmaterial ausgeschnittene
Papp-Soldaten verweisen auf den Einsatz afrikanischer Soldaten im Ersten
und im Zweiten Weltkrieg. Die Preisträgerin des Deutsche Börse Fotopreises
2024, Lebohang Kganye, arbeitet mit dem privaten Familienarchiv und fügt
sich selbst in Szenen aus dem Leben ihrer Mutter ein.
Indem sie deren Gesten kopiert und ähnliche Kleidung trägt, erscheint sie
auf den Bildern wie eine Geistererscheinung ihrer drei Jahre zuvor
verstorbenen Mutter. Das, so Jennifer Bajorek in ihrem Essay zum
Studioporträt in der Ausstellungszeitung von C/O Berlin, sei überhaupt das
Vermögen der afrikanischen Fotografie, in den Porträts zeitgenössische und
traditionelle Vorstellungen über das Verhältnis zu den Ahnen und die
Beziehung zur Geisterwelt darzustellen.
Dies spielt auch im dritten Kapitel „Imagined Futures“ eine Rolle, in dem
das Thema der Klimagerechtigkeit zentral wird. Die
Schwarz-Weiß-Dokumentation „The Profit Corner“ von Mário Macilau zeigt
Arbeiter:innen auf der Mülldeponie Hulene in Maputo, Mosambik. Im
Elektroschrott finden sie wertvolle Materialien, aber auch ein hohes
Gesundheits- und Umweltrisiko. Fabrice Monteiro setzt diese Probleme in
Farbe und hochdramatisch in Szene, indem er aus brennenden Landschaften
oder plastikverseuchten Stränden mystische Gestalten in prachtvollen
Kostümen sich aus Müll erheben lässt.
Insgesamt 23 zeitgenössische Künstler:innen versammeln die
Kurator:innen Osei Bonsu von der [2][Londoner Tate Modern] und Cale
Garrido, Gastkuratorin der C/O Berlin Foundation, in der Ausstellung, deren
Übernahme nach Berlin Wolfgang Tillmans maßgeblich finanziert hat.
Erwähnenswert ist unbedingt die C& Book Residency, ein Lesebereich von
[3][ContemporaryAnd], der lohnenswerte Begegnungen mit dem Philosophen
Souleymane Bachir Daigne, der Theoretikerin Sophie Okuwole oder dem
Politikwissenschaftler Olufemi Taiwo ermöglicht. Eine Anregung, der man
Folge leisten sollte, denn was weiß die eurozentrische (Kunst-)Geschichte
schon von den Wissenschaftler:innen, Intellektuellen und Künstler:innen
Afrikas?
## Zeugnis der 60er
Der 1929 in New York in eine jüdische Familie geborene Fotograf Leonard
Freed lernte Brigitte Klück 1956 auf dem Peterplatz in Rom kennen und
heiratete die Deutsche kurz darauf. In der angeheirateten Familie wurde
über Hunger, Flucht und Vertreibung aus Schlesien gesprochen, nicht aber
über die Verbrechen der Nazis und der Wehrmacht, geschweige denn über das
Schicksal der Juden. Leonard Freed wollte die Ignoranz der Deutschen, ihr
kollektives Vergessen und Verdrängen nicht hinnehmen. Um sie mit ihrer
jüdischen Minderheit bekannt zu machen, reiste er daher Anfang der 1960er
Jahre für eine Fotoreportage nach Westdeutschland.
Aus den Schwarz-Weiß-Fotografien, die in den Gemeinden von Frankfurt am
Main, Worms, Köln und Düsseldorf entstanden, wählte Freed 52 Aufnahmen aus,
die er 1965 in dem [4][Bild- und Essayband „Deutsche Juden heute“]
veröffentlichte. Die ganze Serie ist nun in der Eric F. Ross-Galerie des
Jüdischen im [5][Jüdischen Museum] zu sehen, zusammen mit einem Exemplar
des Bildbands, einem Spiegel-Titel zum Thema aus dieser Zeit und Herman
Kestens Sammelband „Ich lebe nicht in der Bundesrepublik“ von 1964.
Leonard Freed (1929–2006) fotografiert sachlich, dabei sehr kunstvoll. Er
liebt das Spiel von Licht und Schatten, betont es in kontrastreichen
Abzügen und hat stets den interessanten, nicht den naheliegenden Ausschnitt
im Blick. Kurz, seine Aufnahmen sind alles andere als trivial, auch und
gerade wenn sie den Alltag dokumentieren.
Und ohne dass er hier einen Schwerpunkt setzen würde – der liegt im
Gegenteil bei den Kindern, die hier die Zukunft verkörpern – kommt doch
immer wieder die Vergangenheit ins Bild. Am einprägsamsten vielleicht in
der heiteren Atmosphäre eines sommerlichen Ausflugs, wenn auf einem Arm die
eintätowierte KZ-Nummer sichtbar wird, weil das Kleid kurze Ärmel hat.
Die Vergangenheit wird natürlich auch in den Bildern wach von der
Wiederöffnung einer Synagoge, dem Konzentrationslager, das längst nicht
Gedenkstätte ist, sondern vernachlässigt auf seine Beseitigung wartet.
Freed beobachtet eine Bar Mitzwa-Feier in Düsseldorf, den Simchat-Tora-Ball
in Köln, Kinder im Erholungsheim oder im Sportverein Makkabi, er
porträtiert Künstler und Autoren wie Fritz Kortner, Therese Giese oder
Ludwig Marcuse. Am schönsten ist das Bild von [6][Atze Brauner mit Familie
und Dienstmädchen] in West-Berlin, alle sitzen und bewegen sie sich wegen
der Kinder am Boden.
Eine ganze Reihe von Fotografien gilt den Gläubigen in der polnischen
Gebetsstube. Sie müssen als displaced persons in Deutschland gestrandet
sein. Für die meisten in den kleinen jüdischen Gemeinden war es wohl nicht
der sehnlichste Wunsch, in Deutschland zu leben. Vielmehr war ihnen die
Auswanderung aus den unterschiedlichsten Gründen nicht gelungen. Manche
versuchten das Geschäft, das sie vor 1933 geführt hatten, wieder
aufzunehmen, wie etwa Hugo Spiegel. Der Viehhändler aus Warendorf im
Münsterland wird [7][als erster jüdischer Schützenkönig Deutschlands]
porträtiert.
28 Feb 2025
## LINKS
[1] https://co-berlin.org/de
[2] https://www.tate.org.uk/whats-on/tate-modern/contemporary-african-photograp…
[3] /Magazin-Launch/!5428286
[4] https://www.jmberlin.de/ausstellung-deutsche-juden-heute-leonard-freed
[5] https://www.jmberlin.de/ausstellung-deutsche-juden-heute-leonard-freed
[6] https://objekte.jmberlin.de/object/jmb-obj-388030
[7] https://www.jmberlin.de/objekt-hugo-spiegel
## AUTOREN
Brigitte Werneburg
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