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# taz.de -- Ars Viva für Helena Uambembe: Im Ornament das Verbrechen
> Die Kunsthalle Bremen stellt die Künstlerin Helena Uambembe vor. Sie
> weckt die Geister der Geschichte aus einer verblüffenden Perspektive.
Bild: Ist da nicht ein Riss im Raum? Installationsansicht „On the Site of Oka…
Betritt man den braungrau bemalten Linoleumboden in der Kunsthalle Bremen,
verliert man sich schnell in den hypnotischen Ornamenten der
Bodenzeichnungen. Und in dem entfernten Klang spielender Kinder, der sich
darüberlegt. Wir befinden uns in Helena Uambembes jüngster Installation mit
dem Titel „Standard Issue (A meditation on things we do not care for)“.
Helena Uambembe, 30 Jahre alt, südafrikanische Künstlerin aus einer
angolanischen Familie, hat gerade den renommierten Ars Viva Preis des
Bundesverbands der deutschen Industrie gewonnen, zusammen mit den Künstlern
Wisrah C. V. da R. Celestino und Vincent Scheers. Sie alle stellen nun in
Bremen aus. Plötzlich wird man aus dem kontemplativen Zustand
herausgerissen. Zwischen den Kinderrufen hämmern Schüsse, die verspielte
Bodenzeichnung entpuppt sich als eine Aneinanderreihung von AK-47-Gewehren
und Soldaten. Im Ornament versteckt sich das Verbrechen.
„Mein Vater war Soldat“, sagt Uambembe im Gespräch. Ihre ganze Familie habe
einen militärischen Hintergrund. Sie seien vor dem Bürgerkrieg in Angola
1975 ins südafrikanische Pomfret geflohen, wo viele Angolaner lebten, die
für das berüchtigte 32. Bataillon der [1][südafrikanische]n Apartheidarmee
kämpften. Auf die Idee für ihre Installation in Bremen habe sie aber ein
Werbeplakat der deutschen Bundeswehr gebracht. „Die Soldaten darauf sahen
so jung aus“, sagt Uambembe. „Ich habe mich gefragt: Rekrutiert das
deutsche Militär jetzt Kinder?“
Das erinnerte sie an ihre eigene Kindheit. An Kinderspiele, in denen die
Kriegserfahrungen der eigenen Väter verhandelt wurden. Den Linoleumboden
habe sie in einem Berliner Baumarkt gesehen. Auch er habe sie an ihre
Kindheit in Pomfret erinnert, an die aufwendig verzierten Teppiche, mit
denen die Frauen versuchten, die Häuser schön zu halten, um den Schrecken
vom Krieg aus den eigenen vier Wänden zu verbannen.
## Trauma und Bilderverbot
Dieses dialektische Ineinandergreifen von Verdrängung und schleichender
Rückkehr des Verdrängten, der Heimsuchung des Krieges, des Horrors von
Vertreibung und Flucht, steht im Zentrum von Uambembes Kunst: „Meine
Arbeiten sind ruhig, Gewalt tritt nur nuanciert auf“, erklärt sie. Ihr
Darstellungsprinzip folgt dabei dem des Traumas, dem Bilderverbot.
Uambembe selbst sagt: „Es ist nicht richtig, Gewalt explizit zu zeigen.
Gerade heutzutage stumpft uns das weiter ab, distanziert uns vom Leid
anderer.“ Dabei spielt Uambembe auf die Medialisierung von Krieg an. Die
Dauerpräsenz massakrierter Körper in Bildern, die schon die Theoretikerin
Susan Sontag in ihrem Essay „Das Leid anderer betrachten“ kritisiert hatte.
Bilder, die überproportional oft die Körper Schwarzer Menschen zeigen. Auch
das ein Erbe des Kolonialismus.
Die lauernde Präsenz des Krieges, seine gespenstische Anwesenheit in der
Biografie der Künstlerin, zieht sich durch alle Arbeiten Uambembes. Das
Kinderspiel, wie zum Beispiel in der 2021 entstandenen Installation „Pim
Pum Pam“, wird dabei häufig zum erzählerischen Medium. Kriegstraumata
werden vermittelbar. In „Pim Pum Pam“ sind es die Lieder, die Kinder beim
Spielen singen, die zu Menetekeln werden. Ein naiv zusammengebasteltes
Spielfeld aus Backsteinen und Metallstangen, das plötzlich zum Schlachtfeld
wird: „Pim Pam Pum, each Bullet kills one“, heißt es da.
Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges schrieb schon der
[2][Psychoanalytiker Sigmund Freud] über das „Als-ob-Spiel“ und wie es
unbewusst Kriegstraumata bewältigt – das Wiederholen im Spiel erlaubt die
Annäherung ans Erlebte, der Spielrahmen bietet sichere Distanz.
## Die Schichten der Psyche
Mit Freud ließe sich auch ein weiterer Aspekt von Uambembes vielgestaltiger
Kunst betrachten. In „Das Unbehagen in der Kultur“ schildert der
Psychoanalytiker einen Spaziergang durch Rom. Was er an der römischen
Architektur erkennt: Geschichte gestaltet sich in „Schichten“ – genauso d…
menschliche Psyche. Eine architektonische Epoche legt sich über die andere,
eine Erfahrung über die nächste, und verändert die Oberfläche.
In Werkserien wie „Commander Nel’s Archive“ (2020) oder „Ghost of my
Parents Past“ (2018/19) sind es Foto- und Lithografien archivarischer
Bilder, die Uambembe neu beschichtet. Mit Zeichnungen, Beschriftungen oder
Scherenschnitten des eigenen Körpers. Es sind Fotos aus Kolonialarchiven,
schwarz-weiße Bilder, die Momente der Geschichte des Bürgerkriegs [3][in
Angola] zeigen. Ein Krieg, der mit Unterbrechungen von 1975 bis 2002
andauerte. Uambembe versucht sich einzuschreiben in diese Momente,
„Interventionen in Geschichte“ nennt sie das. Man könnte auch sagen:
[4][Eine postkoloniale Aneignung] der eigenen Geschichte, die immer auch
eine der Fremdherrschaft, der Entfremdung ist.
Uambembes Modus der Aneignung ist dabei nicht [5][– wie so oft in der
Gegenwartskunst – identitätsstiftend]. Nicht Vereinnahmung der Geschichte,
sondern ihre Störung. Uambembe will Geister wecken, die unerkannt in den
Oberflächen der Geschichte, ihren Trägerobjekten stecken. Sie sind ihr
künstlerisches Material. An ihnen entfacht sich eine Erinnerung und öffnet
den Raum, in dem Geschichte neu betrachtet werden kann – als persönliche
und als globale. Oder wie Uambembe sagt: „Ich will zeigen, wie sich die
Weltpolitik der Vergangenheit im Privaten und in meiner Gegenwart
eingeschrieben hat.“
In Ausstellungen wie „On the site of the Okavango“, die jüngst in der
Berliner Galerie Anton Janizewski zu sehen war, erzählt Helena Uambembe von
gewaltsamen Grenzkonflikten in Angola und Namibia, von Militärcamps und
Flussmärchen.
## Erinnern und wiederholen
Uambembe tut das im Raum der Erinnerung, der für sie auch einer der
Manipulation ist. Als „Reiteration“ hat der [6][Philosoph Jacques Derrida]
den Prozess des Erinnerns beschrieben. Mit jeder Wiederholung eines
Ereignisses schreibt sich darin eine neue Bedeutung ein. Reiterationen sind
auch Uambembes Nachbauten von Räumen ihrer Kindheit. Wie das verfallene,
von einem Maschendrahtzaun umgebende Haus aus ihrem Geburtsort Pomfret, das
sie im letzten Jahr im MMK Frankfurt rekonstruierte. Oder wie die
Installation „What you see is not what you remember“ (2022), die auf der
Art Basel 2022 zu sehen war.
In Basel gewann Uambembe den renommierten Baloise Art Prize. Eine
Besonderheit. Selten schafft es junge Kunst, noch dazu politische, in
Institutionen und auf dem Kunstmarkt gleichzeitig zu bestehen. In beiden
Installationen, in Frankfurt und in Basel, sind es Details wie bemalte
Untertassen oder geknickte Blumenhälse, die einen Riss in den erinnerten
Raum ziehen. Was Uambembe darin zeigt: das Grauen des Traumas, der
gezwungenen Wiederholung des Vergangenen.
Uambembe aber geht es nicht um persönliche Betroffenheit. Ihr geht es um
die Immersionskraft ihrer Kunst. „Ich will, dass meine Arbeiten amazing
sind, mit allen Sinnen spielen“, sagt sie. Uambembe passt nicht in ein
Kunstverständnis, das sich in den vergangenen Jahren verbreitet hat, und
insbesondere bei Künstlern des Globalen Südens Betroffenheit zum Maßstab
ihrer Kunst macht.
## Statt Paris gehtes nach München, Halle und Freiburg
Den Traum, Künstlerin zu werden, hatte sie schon als Kind. Ihre Familie
unterstützte sie – was in ihren Verhältnissen nicht selbstverständlich war,
wie sie sagt. Die Eltern aber sahen, wie ernst ihre Tochter das Zeichnen
nahm oder in der Bibliothek Kataloge von [7][Francisco de Goya] studierte.
Sie ermöglichten ihr ein Studium in Pretoria, ein Kunstlehrer half nach.
Dann kamen erste Performances, erste Gruppenausstellungen in Johannesburg
und Cape Town. Preise, wie 2019 der in Südafrika durchaus bedeutende David
Koloane Award, und schließlich Einzelausstellungen in Johannesburg,
Frankfurt, Berlin.
Helena Uambembe sitzt auf einem Bürostuhl in ihrem Berliner Atelier, wippt
leicht hin und her. Ein Jahr lang hatte sie ein Stipendium des DAAD, hier
in Deutschland. Eine Gruppenausstellung in Dortmund hatte sie
hierhergebracht. [8][Der Ars Viva Preis] hat ihren Aufenthalt jetzt
verlängert. „Ich habe eigentlich immer davon geträumt, nach Paris zu
gehen“, sagt sie lachend. Fürs Nächste aber arbeitet sie an einer neuen
Soundinstallation für das Haus der Kunst in München, 2025 stehen eine
Ausstellung in Halle an und die Biennale in Freiburg.
Uambembe, die Tochter des Soldaten, kennt die Verhältnisse hier in
Deutschland. Sie sieht, wie rassistische Kräfte stärker werden. Ihre
Zukunft als Künstlerin plant sie trotzdem hier; sie fordert sie ein. Mit
einem hintersinnigen Lächeln, das fast so undurchschaubar ist wie eines
ihrer Ornamente, sagt sie zum Abschied: „Ich freue mich drauf, ich bin
bereit.“
29 Oct 2024
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## AUTOREN
Jonathan Guggenberger
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