# taz.de -- Asselborn über Ukraine-Verhandlungen: „Ein aufgezwungener Friede… | |
> Luxemburgs Ex-Außenminister Asselborn über die Beteiligung von EU-Truppen | |
> bei einem Waffenstillstand, die Rolle Deutschlands und das Verhältnis mit | |
> Trump. | |
Bild: Ex-Außenminister von Luxemburg, Jean Asselborn, hier bei einer Nato-Konf… | |
taz: Herr Asselborn, Sie werden oft als der „letzte Europäer“ bezeichnet �… | |
und Europa steht derzeit wahrlich unter keinem guten Stern. | |
Jean Asselborn: Das ist ein wenig übertrieben. Europa darf nicht am Ende | |
sein. Europa wurde gegründet, damit die Deutschen und die Franzosen | |
aufhören, sich zu bekriegen und Millionen Menschen mit ins Leid stürzen. | |
Europa ist jetzt wichtiger denn je, auch wenn es vielleicht andere | |
Perspektiven hat, allein für Frieden zu sorgen. Das sollte man nicht so | |
einfach wegwerfen. | |
taz: Aber die deutsch-französische Achse ist derzeit nicht besonders | |
stabil. | |
Jean Asselborn: Ihr in Deutschland wählt am 23. Februar. Und dann wird es | |
eine Regierung geben, und in der Opposition Demokraten und auch | |
Rechtsextreme. Die Rechtsextremen verpönen Europa, sie wollen Europa | |
zerbrechen. Aber ich bin überzeugt, [1][die Deutschen können die AfD | |
stoppen]. Jetzt kommen sie sowieso nicht in die Regierung, aber in der | |
Zukunft? Demokraten müssen in Deutschland zusammenstehen. | |
taz: In Frankreich ist die Lage noch komplizierter. | |
Jean Asselborn: In Frankreich gibt es jetzt einen Präsidenten, der nicht | |
mehr die Zügel in der Hand hält. [2][Die Regierung Bayrou] kann auch in den | |
nächsten Tagen und Wochen wieder stürzen – und das könnte wiederum in | |
Frankreich eine Krise auslösen. Die [3][Auflösung des Parlaments in | |
Frankreich] (nach der Europawahl am 9. Juni 2024 – Anmerk. der Redaktion) | |
war keine gute Idee. Frankreich und Deutschland sind die beiden | |
Lokomotiven, die die EU hat. Und wenn eine dieser zwei Lokomotiven – in | |
diesem Fall Frankreich – keine Regierung hat – dann ist Europa nicht | |
voranzubringen. Auch nach der Wahl in Deutschland brauchen wir schnell | |
wieder eine stabile Regierung. Davon hängt das Schicksal Europas ab. | |
taz: Hängt das Schicksal Europas nicht viel stärker von den Ländern im | |
Osten Europas ab? Von Polen oder den baltischen Staaten? | |
Jean Asselborn: Ohne Polen wäre die Osterweiterung 2004 nicht zustande | |
gekommen. Und die Balten sind ganz stark verbunden mit den Polen. Zwischen | |
2015 und 2023 hat sich Polen allerdings mit der Regierung Kaczyński selbst | |
ein Bein gestellt. Hinzu kam die Zusammenarbeit zwischen dem ungarischen | |
Präsidenten Orbán und Kaczyński, die ein gemeinsames Ziel hatten: Europa zu | |
destabilisieren. Wenn der Krieg der Russen, der am 24. Februar 2022 begann, | |
einmal vorüber ist und wir über die Erweiterung der EU sprechen, dann | |
[4][werden der Osten und natürlich Polen] eine noch wichtigere Rolle | |
spielen. | |
taz: Ungarn, Slowakei, Österreich, die Niederlande, Italien – ein | |
[5][Rechtsruck in Europa] ist nicht wegzudiskutieren. Sie sprachen sogar | |
von einer Orbánisierung Europas. Wie stark sind diese Kräfte? | |
Jean Asselborn: Europäische Demokratie bedeutet Rechtsstaatlichkeit, freie | |
Presse, freie Medien und natürlich eine unabhängige Justiz. Frieden ist | |
nicht durch Verträge zu garantieren. Frieden ist nur zu garantieren durch | |
Werte, die wir leben. Wenn Kickl und Wilders und Le Pen und Orbán und Fico | |
einmal Europa dominieren, dann tut es mir leid für zukünftige Generationen. | |
Dann ist die Europäische Union nicht mehr die Garantie, die sie sein muss, | |
dass diese Region der Welt in Frieden leben kann. | |
taz: Seit 24. Februar 2022 herrscht wieder Krieg in Europa. In Deutschland | |
wurde die Zeitenwende ausgerufen, es wird über die Wiedereinführung der | |
Wehrpflicht gesprochen, über mehr Geld für Verteidigung. Abschreckung und | |
Aufrüstung statt Frieden? | |
Jean Asselborn: Artikel 61 der Charta der Vereinten Nationen sagt: Wenn ein | |
Land angegriffen wird, hat es das Recht, eine Koalition zu bilden und dann | |
Hilfe zu bekommen, um sich wehren zu können auf seinem Territorium. Das | |
ist, was wir dann Schritt für Schritt gemacht haben. Den einen ging es zu | |
weit, den anderen ging es nicht schnell genug. | |
Aber: Wir sind in Europa, wir haben von der Friedensdividende gelebt. Wir | |
haben nach dem Fall der Mauer geglaubt, dass wir mehr Geld investieren | |
können in Kooperation, in Entwicklungshilfe, in Sozialbudgets als in | |
Waffen. Das kann aus heutiger Sicht ein Fehler gewesen sein. Aber das hat | |
jeder vernünftige Politiker damals und auch die Menschen in Europa so | |
gesehen. | |
taz: Deutschland wurde in den vergangenen mehr als 1.000 Tagen zum | |
zweitgrößten Waffenlieferanten der Ukraine. Und trotzdem wurde und wird dem | |
deutschen Kanzler Scholz Zögerlichkeit vorgeworfen. Gerechtfertigt? | |
Jean Asselborn: Ich bin damit nicht einverstanden. Deutschland ist ja kein | |
normales Land, sondern ein Land, das im Osten und im Westen anders tickt. | |
Neuhardenberg ist nicht Koblenz oder Rüdersheim. Das ist ein anderes | |
Deutschland, ein sehr sympathisches Deutschland. Die Menschen dort waren | |
immer auf einer Linie, dass man als Europäer irgendwie schauen muss, dass | |
man diese Äquidistanz zwischen Russland und Amerika hält. | |
taz: Haben Sie dafür Verständnis? | |
Jean Asselborn: Ich war auch einer von denen, die immer geglaubt haben, wir | |
müssten versuchen, mit Russland ein normales Verhältnis zu haben. Aber das | |
wurde am 24. Februar 2022 alles von Putin kaputtgeschlagen. 2005 waren wir | |
mit Juncker, mit Barroso und mit Solana einen ganzen Tag im Kreml und haben | |
eine Vereinbarung für den Frieden (For Peace Agreement) unterschrieben. Da | |
ging es um Außenpolitik, Innenpolitik, Bildungspolitik et cetera. Damals | |
war Russland ein strategischer Partner der Europäischen Union. Putin hat | |
uns damals gesagt, die größte Katastrophe im 20. Jahrhundert sei der | |
Zusammenbruch der Sowjetunion. Aber es gibt kein Argument, Schulen, | |
Spitäler, Menschen zu bombardieren. | |
taz: Und gibt es wiederum seitens der EU kein anderes Mittel als Waffen, um | |
Putin in die Schranken zu weisen? | |
Jean Asselborn: Ich kann mich noch genau erinnern, als wir damals mit den | |
europäischen Außenministern [6][die Bilder von Butscha] sahen. Da haben wir | |
beschlossen, dass sich die Ukraine gegen die Angriffe der Russen wehren | |
können muss. Aber so einfach geht das nicht. Und es braucht Zeit, bis es | |
zielgenaue Sanktionen geben kann. [7][Aber Deutschland hat auch vieles | |
ermöglicht, was den Wiederaufbau angeht.] | |
taz: Seit diesem Montag ist Donald Trump erneut Präsident der USA. Sein | |
Versprechen, den Krieg in 24 Stunden zu lösen, hat er zurückgezogen. Er | |
nennt nun einen Zeitrahmen von sechs Monaten. Welche Taktik verfolgt Trump | |
mit der Ukraine? | |
Jean Asselborn: Trump möchte mit Putin sprechen, doch was der Kreml genau | |
anstrebt, bleibt unklar. Sollte es Trump gelingen, einen Waffenstillstand | |
zu erreichen, könnten die USA Europa dazu auffordern, mit Truppen die | |
Demarkationslinie zu sichern – idealerweise im Rahmen der UNO, auch wenn | |
das schwierig ist. | |
taz: Würden Sie das befürworten? | |
Jean Asselborn: Man muss sehr genau darauf achten, was damit gemeint ist. | |
Es geht hier nicht um europäische Truppen, die gegen Russland kämpfen. Wenn | |
von Truppen in der Ukraine gesprochen wird, wird oft missverstanden, dass | |
es um Kampfhandlungen gegen Russland geht. Das wäre hier nicht der Fall. | |
Das Ideal wäre ein Einsatz von Blauhelmen – einer UNO-Mission, in der auch | |
Europäer vertreten sind – um die Demarkationslinie zu überwachen und | |
sicherzustellen, dass der Waffenstillstand eingehalten wird. Ich | |
unterstütze diesen Ansatz, doch das wird eine große Herausforderung für die | |
Europäer. | |
Die Frage bleibt, ob die Amerikaner unter Trump bereit wären, sich daran zu | |
beteiligen. Trump signalisiert ja, dass er weder Geld in die Ukraine | |
stecken noch Truppen in europäische Konflikte entsenden will. Stattdessen | |
erwartet er, dass die Europäer die Verantwortung für Sicherheit in ihrer | |
Region übernehmen. Es handelt sich hier um eine friedenssichernde und keine | |
kämpfende Mission. | |
Die entscheidende Frage bleibt jedoch: Welche Druckmittel verhindern, dass | |
Putin erneut eskaliert? Sicherheitsgarantien sind dafür unerlässlich. | |
taz: Welche Rolle spielt Europa auf dem Weg zu einer verhandelten Lösung? | |
Jean Asselborn: In den Verhandlungen hätten die Amerikaner, insbesondere | |
unter Trump, eine stärkere Position als die Europäer. Vor einem Jahr, als | |
die Ukraine keine Mittel mehr zur Verteidigung hatte, kam die Munition | |
zeitweise ausschließlich aus Europa, da die Republikaner US-Hilfen | |
blockierten. Trump könnte daher Druck ausüben, um Verhandlungen | |
voranzutreiben. [8][Doch ein aufgezwungener Frieden wäre inakzeptabel.] Die | |
Ukraine und Europa müssen beteiligt sein; ein Deal ausschließlich zwischen | |
Trump und Putin wäre problematisch. | |
Die humanitären Kosten des Krieges sind enorm, mit nahezu einer Million | |
Toten auf beiden Seiten. Eine Amnestie könnte helfen, den Konflikt zu | |
beenden, doch die konkreten Sicherheitsgarantien und Schritte nach einem | |
Waffenstillstand, wie etwa die EU-Erweiterung, müssen sorgfältig geplant | |
werden. Trump wird an seinem Umgang mit dem Krieg in der Ukraine gemessen | |
werden. | |
taz: Sie befürworten also, dass Trump möglichst schnell ein Treffen mit | |
Putin organisiert – sei es im Kreml, in Washington oder auf neutralem | |
Boden? | |
Jean Asselborn: Ja. | |
taz: Das alles kostet Geld. Damit wären wir schnell bei einer erneuten | |
[9][Debatte über die Nato-Ziele] und die Erhöhung der | |
Verteidigungsausgaben. Das würde viele europäische Staaten – darunter auch | |
Deutschland – enorm unter Druck setzen. | |
Jean Asselborn: Die sogenannte Friedensdividende, also die Einsparungen im | |
Verteidigungsbereich zugunsten anderer Bereiche, lässt sich nicht einfach | |
umverteilen. Dies darf nicht zulasten der Sozialpolitik oder der Gemeinden | |
geschehen. Doch genau hier liegt die Herausforderung, denn die | |
Sozialbudgets machen in vielen europäischen Ländern bis zu 30 Prozent der | |
Gesamtausgaben aus.Es wird eine zentrale Frage sein, ob die Menschen bereit | |
sind, solche Investitionen zu akzeptieren. Ein rein nationaler Ansatz wird | |
kaum ausreichen. | |
taz: Sondern? | |
Jean Asselborn: Idealerweise müsste es einen europäischen Plan geben, der | |
die Finanzierung regelt. Die Staaten müssten Wege finden, zusätzliche | |
Mittel bereitzustellen, etwa durch gemeinsame Anleihen. Steuererhöhungen | |
sind politisch heikel und wenig populär. Daher bräuchte es innovative | |
Finanzierungsmodelle, um den nötigen Spielraum zu schaffen. Es ist jedoch | |
klar, dass man nicht einfach auf bestehende Budgets zurückgreifen kann. Es | |
wäre ein enormer Kraftakt, der sorgfältig abgestimmt und langfristig | |
tragfähig sein müsste. | |
taz: Ist die EU bereit für Trump? | |
Jean Asselborn: Es gibt für mich nur eines: Wir in Europa müssen standhaft | |
bleiben – aus Respekt vor unseren Kindern und Enkelkindern, die in dieses | |
21. Jahrhundert hineinwachsen. Es ist unerlässlich, dass wir an den | |
Prinzipien des Rechtsstaats und den Regeln der Demokratie festhalten und | |
nicht ins Hintertreffen geraten. Europa wird in den kommenden vier Jahren | |
eine entscheidende Rolle spielen, und ich bin fest davon überzeugt, dass | |
wir auf der richtigen Seite stehen. Diejenigen, die glauben, alles auf den | |
Kopf stellen zu dürfen, werden nicht die Gewinner sein, unter einer | |
Bedingung: dass wir keinen Millimeter nachgeben. | |
Die Europäische Kommission muss konsequent handeln, insbesondere im Umgang | |
mit den sozialen Medien. Thierry Breton hat gezeigt, wie wichtig es ist, | |
entschlossen für die Durchsetzung der EU-Gesetze zu kämpfen. Das darf nicht | |
verwässert werden oder nachlässig geschehen. | |
22 Jan 2025 | |
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