# taz.de -- Deutsche Außenpolitik: Das Undenkbare wird denkbar | |
> Trump, Ukrainekrieg, Putin, Gaza: Die Weltordnung scheint aus den Fugen. | |
> Deutschland muss eine neue Rolle finden. Im Wahlkampf ist das bisher kaum | |
> Thema. Warum? | |
Bild: Wie soll man auf den Tyrannen Trump reagieren? Zu dieser Frage gibt es un… | |
Berlin taz | Krise ist in der Außenpolitik der Normalzustand. Irgendwo | |
kracht es immer. Doch derzeit erleben wir tektonische Verschiebungen, die | |
die Grundpfeiler bundesdeutscher Politik erschüttern. Was als | |
selbstverständlich galt, schwankt. Nach 1990 erschien die EU als robustes | |
Friedensprojekt, dessen Motor und Profiteur die Exportnation Deutschland | |
war. Richtung Russland setzte die Bundesrepublik ihre nach 1990 auf Handel | |
und Ausgleich ausgerichtete Ostpolitik fort. Die Nato und die Schutzmacht | |
USA sollten höchst unwahrscheinliche Angriffe aufhalten. Der | |
Verteidigungsetat schrumpfte. | |
Auf internationaler Bühne war die Bundesrepublik, auch wegen der | |
[1][vergleichsweise übersichtlichen Kolonialgeschichte], ein allgemein | |
akzeptierter, beliebter Player. Die regelbasierte internationale liberale | |
Ordnung war das natürliche Terrain für bundesdeutsche Softpower – und | |
Leitplanke für blendende Geschäfte. Der Globalisierungsschub nach Ende des | |
Kalten Krieges und der WTO-Beitritt Chinas bescherten der deutschen | |
Wirtschaft eine Exportweltmeisterschaft nach der nächsten, eine Menge gut | |
bezahlte Jobs und Konzernen wie VW gewaltige Gewinne. | |
All das existiert noch, aber es franst an allen Ecken und Enden aus. Der | |
Westen, ein demokratischer Machtblock, der um die USA zentrierte, ist mit | |
Trump endgültig fragil geworden. Im Osten tritt Russland als | |
aggressiv-imperiale Bedrohung auf. Das deutsche Erfolgsmodell der letzten | |
drei Jahrzehnte ist angeschlagen, vielleicht ruiniert. Es fußte auf drei | |
Faktoren: Man bekam billiges Gas aus Russland, exportierte teure Produkte | |
nach China, für Verteidigung sorgten fast umsonst die USA. Mit Putins | |
Überfall auf die Ukraine und der erneuten Amtszeit von Donald Trump ist das | |
vorbei – auch ökonomisch. Trump droht Europa [2][genauso mit Strafzöllen.] | |
Die EU taugt angesichts dieser Sturmflut von Krisenszenarien nur bedingt | |
als Rettungsanker. Die Neonationalisten wollen die EU zu einer | |
Wirtschaftsgemeinschaft zurückbauen, angelehnt an Russland. Ob die EU als | |
politischer Akteur dauerhaft Le Pen, Wilders, Meloni und die Putin-Fans | |
Kickl und Orbán übersteht, ist offen. | |
Wohlstand hängt von Außenpolitik ab | |
Mit Außenpolitik gewinnt man keine Bundestagswahlen – mit zwei Ausnahmen. | |
Der Sieg der SPD 1972 war auch ein Votum für Willy Brandts Ostpolitik. Der | |
Sieg der SPD 2002 war auch ein Votum für Schröders Nein zum Irakkrieg der | |
USA. Sonst sind Brot-und-Butter-Themen zentral vor Bundestagswahlen: | |
Wohlstand, Wirtschaft, Soziales. | |
2025 ist die Lage anders. Denn der Wohlstand der Bundesrepublik ist stärker | |
als je zuvor mit seiner Außenpolitik verknüpft. Das Ende des deutschen | |
Erfolgsmodells wird teuer. Doch erstaunlicherweise gibt es in diesem | |
Wahlkampf keine markante Kontroverse, welche Rolle Deutschland in der | |
konfus erscheinenden neuen Weltordnung spielen soll. Warum eigentlich? | |
Es mag paradox anmuten: Aber die Bedrohung all dessen, was in der | |
Bundesrepublik lange als selbstverständlich galt – Nato und Westen, EU und | |
regelbasierte internationale Ordnung – ist vielleicht zu massiv, um darüber | |
einen fundamentalen Richtungsstreit zu führen. Die Abgründe sind | |
schwindelerregend. Das Publikum fühlt sich von Inflation, Ukraine-Krieg, | |
Wirtschaftsbaisse sowieso überfordert. Da ist es wenig erfolgversprechend, | |
vor der Wahl auch noch apokalyptische außenpolitische Szenarien an die Wand | |
zu malen. Im Wahlkampf erscheinen die großen Themen eher klein geraspelt, | |
als rhetorische Unterschiede und strategische Differenzen. Mit einer | |
Ausnahme – dem Geld. | |
In Sachen Europa sind sich SPD, Grüne und Union im Kern einig: Berlin muss | |
im eigenen Interesse eine ausgleichende Rolle spielen, um eine Implosion | |
der EU zu verhindern. Die Union hat Sympathien für eine gegen Putin | |
gerichtete politisch-militärische Achse Paris-Berlin-Warschau. Aber das ist | |
nur ein Gedankenspiel, das eine mögliche Präsidentin Marine Le Pen sowieso | |
beerdigen würde. Konsens ist: Europa muss, erst recht nach Trumps Sieg, | |
eine eigenständige Rolle spielen. Scholz ist nicht zufällig am Tag nach | |
[3][Trumps Amtseinführung in Paris.] | |
Trump ist die Unbekannte in allen außenpolitischen Szenarien. Wird er die | |
Ukraine opfern, die Nato in Luft jagen, einen Handelskrieg gegen Europa | |
provozieren? Wahrscheinlich kommt es nicht so drastisch. Die USA brauchen | |
Verbündete. Aber mit Trump, dessen Devise lautet „Warum klingeln, wenn man | |
auch die Tür eintreten kann“, ist das bisher Undenkbare denkbar geworden. | |
SPD, Grüne und Union beteuern im Chor, dass die USA der wichtigste | |
Verbündete bleiben werden. In Denkfabriken werden zwar Szenarien | |
ventiliert, wie ein mit französischen und britischen Atomwaffen | |
bewaffnetes, strategisch autonomes Europa ohne USA aussehen kann – aber das | |
macht sich keine Partei zu eigen. Gerade in einem nach rechts kippenden | |
Europa ist der Weg dorthin ungewiss. | |
Einen gewissen Dissens gibt es bei der Frage, wie man auf Trump reagiert. | |
Diplomatisch vorsichtig kritisierte Scholz Trumps irre Drohung, Grönland | |
und Panama zu annektieren. Merz warf daraufhin Scholz prompt vor, den | |
US-Präsidenten mit „erhobenem Zeigefinger“ zu reizen. | |
Malcolm Turnbull, früherer konservativer australischer Ministerpräsident, | |
hat in „Foreign Affairs“ kürzlich anschaulich gezeigt, was trotz aller | |
Ungewissheit von Trump zu erwarten ist. Der sei schon nach 2016 „im Amt | |
eher noch wilder und unberechenbarer als im Wahlkampf“ aufgetreten. Kurzum: | |
Verlass ist nur auf Trumps Unzuverlässigkeit. Turnbull hat aber aus eigener | |
Erfahrung einen Tipp, was hilft. „Wer Tyrannen nachgibt, fördert noch mehr | |
Tyrannei. Der einzige Weg, den Respekt von Leuten wie Trump zu gewinnen, | |
besteht darin, ihnen Paroli zu bieten.“ Bundesdeutsche Unterwürfigkeit | |
gegenüber dem großen Bruder, die man gelegentlich bei der Union findet, | |
dürfte daher das falsche Rezept sein. | |
Auf den ersten Blick sind die Unterschiede zwischen SPD einerseits, und | |
Union und Grünen andererseits, offensichtlich beim Ukraine-Krieg. | |
Schwarz-Grün will den Taurus, den Marschflugkörper, der bis Moskau Ziele | |
treffen kann, liefern. Scholz pflegt sein Image als besonnener Stratege, | |
der massive Unterstützung der Ukraine mit Stoppsignalen kombiniert. Aber | |
das sind graduelle, keine essenziellen Differenzen. Auch eine | |
Merz-Habeck-Regierung würde die Rhetorik in Sachen Ukraine-Krieg vermutlich | |
dämpfen. Wenn Schwarz-Grün so redet wie Roderich Kiesewetter, wäre das ein | |
Wählerbeschaffungsprogramm für AfD und BSW. Damit würden jene, die Angst | |
vor einer Ausweitung des Krieges haben, in das Lager der | |
Pro-Putin-Ideologen verjagt. | |
Berlin wird mehr für Militär ausgeben | |
Fakt ist: Die Unterschiede zwischen SPD und Schwarz-Grün sind kleiner, als | |
es die oft dampfende Rhetorik glauben lässt. Egal, wer die Wahl gewinnt: | |
Deutschland wird im eigenen Interesse die Ukraine weiter mit Waffen und | |
viel Geld unterstützen. | |
Strittig ist indes, wer das bezahlt. Die Reichen mit Vermögenssteuer, die | |
Mittelschicht mit noch mehr Abgaben oder die Armen via Abbau des | |
Sozialstaates? Denn auch wenn die schlimmsten außenpolitischen Szenarien | |
ausbleiben, wird Berlin mehr Geld für Militär ausgeben. Das gilt sogar im | |
besten Fall, einem baldigen akzeptablen Waffenstillstand in der Ukraine und | |
einem kalten Frieden mit Putin. Der Wiederaufbau der Ukraine, der eine | |
halbe Billion Euro kosten und für Berlin teuer wird, kommt hinzu. | |
Gleichzeitig ist das alte profitable deutsche Wirtschaftsmodell vorbei. Die | |
billige fossile Energie aus Russland wird so wenig zurückkehren wie | |
zollfreie, offene, globale Märkte. | |
SPD und Grüne wollen angesichts dessen vernünftigerweise die | |
[4][Schuldenbremse lockern]. Die Union hingegen entwirft | |
wirtschaftspolitische Wolkenkuckucksheime und scheint einen Abbau des | |
Sozialstaats einer Reform der Schuldenbremse vorzuziehen. Das Mindeste, was | |
im Wahlkampf klar werden sollte, ist, wer für die Krise zahlen soll. | |
Und die regelbasierte Ordnung, zu der sich alle Mitte-Parteien mit Herzblut | |
bekennen? Sie steht angesichts des globalen Autoritarismus, mit Hinblick | |
auf Trump, Xi und Putin, unter extremem Druck. Deutschland, politisch eine | |
Mittelmacht, ökonomisch eine Weltmacht im Abschwung, hat ein vitales | |
Interesse an zivilen, verlässlichen internationalen Regeln. Gleichzeitig | |
kann es diesen Trend aber nur begrenzt einhegen. | |
Günstig aber wäre, wenn Deutschland die Ordnung des Rechts auch dann ernst | |
nehmen würde, wenn sie eigenen Interessen zuwiderläuft. Ein Beispiel dafür | |
ist der Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den | |
israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, bei dem Berlin sich | |
weigert, ihn zu vollstrecken. Dass noch nicht mal der demokratische | |
Musterschüler die eigenen Regeln befolgt, zeigt, wie zerbrechlich die | |
regelbasierte Ordnung mittlerweile geworden ist. Auch ohne Trump. | |
20 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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