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# taz.de -- Streit um Ukraine-Hilfen: Schlechte Zeiten für den Friedenskanzler
> Die Noch-Koalitionäre sind sich oft einig – nicht aber bei der Ukraine.
> Die Grünen halten dem Kanzler vor, Milliarden zurückzuhalten. Die SPD
> keift zurück.
Bild: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beim Besuch der Nato-Übung Quadriga 24, …
Helsinki/Berlin taz | Schlechter hätte der Parteitag der SPD am zweiten
Januarwochenende kaum starten können. Die Wahlkampfleitung hatte für eine
gigantische Lichtinstallation gesorgt und das Programm als QR-Code ebenso
wie ein Herz für die SPD in den Berliner Himmel projiziert. Doch
überstrahlt wurde der Samstagmorgen von einer neuen Umfrage und einem
Zeitungsbericht.
Laut Forschungsgruppe Wahlen hatten sich die Grünen einen Prozentpunkt vor
die Sozialdemokraten geschoben. Zudem berichtete der Spiegel vom Streit in
der Regierung. Das Kanzleramt würde Finanzhilfen für die Ukraine
zurückhalten, [1][zusätzliche 3 Milliarden Euro], von denen
Luftabwehrsysteme, Artilleriemunition, Panzerhaubitzen und Drohnen
angeschafft werden sollten. Alles Dinge, die die Ukraine gerade dringend
gebrauchen könnte.
Da half es auch nicht, dass Kanzler Olaf Scholz, der auf dem Parteitag
akklamatorisch zum Kanzlerkandidaten gekürt wurde, in seiner Rede gleich
15-mal die Ukraine erwähnte und versicherte: Deutschland sei der größte
Unterstützer in Europa, und das werde so bleiben. „Dafür stehe ich, dafür
steht die Sozialdemokratie.“ Die Erzählung der folgenden Tage war gesetzt:
Die Außenministerin und sogar der eigene SPD-Verteidigungsminister seien
dafür, der Ukraine stärker zu helfen, aber Scholz blockiere diese Hilfe,
und zwar aus wahltaktischen Gründen. Er wolle als Friedenskanzler punkten.
Als der „Friedenskanzler“ [2][am darauffolgenden Dienstag beim Nato-Treffen
der Ostseeanrainer in Helsinki weilte], holte ihn das Thema ein. Gefragt,
was dran sei [3][an den Vorwürfen], wiederholte Scholz vor der
internationalen Presse stoisch die Textbausteine seiner Parteitagsrede. Auf
dem Rückflug noch einmal auf die grünen Vorwürfe angesprochen, reagierte er
weitaus emotionaler, geradezu empört.
## Steht der Kanzler Hilfen im Weg?
Andere SPD-Politiker äußern öffentlich ihre Kritik an den Grünen:
„Sperenzchen“, nennt der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner die Vorwürfe.
„Albern“ findet sie Haushalts- und Verteidigungspolitiker Andreas Schwarz,
es gehe vor allem um „Instrumentalisierung“ im Wahlkampf: „Der Kanzler ka…
gar nichts blockieren. Er will eine klare Finanzierung. Entschieden wird im
Parlament.“ Und Stegner ist überzeugt: „Da ist viel Inszenierung. Die
Grünen versuchen krampfhaft Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“
Die so Angesprochenen bleiben aber ihrerseits dabei: Der Kanzler stehe den
Hilfen im Weg. „Er muss aufhören zu blockieren und mit uns allen den
schnellen Weg für die 3 Milliarden gehen“, schreibt Fraktionsvize Agnieszka
Brugger auf der Plattform Bluesky. Erst kürzlich war sie selbst in der
Ukraine. Spricht man mit ihr und anderen Grünen über den Streit, wirkt auch
ihre Empörung echt – oder zumindest sehr gut gespielt.
Dabei gibt es jenseits der Ukraine [4][zwischen SPD] und Grünen eigentlich
große Überschneidungen: Beide Parteien wollen bei den Wähler:innen mit
einem ähnlichen Mix aus Wirtschafts- und Sozialpolitik punkten. Sie setzen
auf den Umbau hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft mit dem Staat als
aktiven Player, sie fordern Steuerprämien für Unternehmen, die in
Deutschland investieren, setzen gleichlautend patriotisch auf einen
Deutschlandfonds. Ein Mindestlohn von 15 Euro ist ebenfalls Konsens,
genauso wie Bürgergeld, Kindergrundsicherung und Entlastungen für die
arbeitende Mitte.
Doch diese Nähe birgt Probleme. Als der damalige
Grünen-Fraktionsvorsitzende Anton Hofreiter 2018 ankündigte, die Grünen
sollten die führende Kraft der linken Mitte werden, stieß das vielen
Sozialdemokrat:innen sauer auf: Die Grünen wollten ihnen also Teile
der Kernwählerschaft abspenstig machen.
## Grüne auf Abstand halten
Seitdem und erst recht vor Wahlen werden die Genoss:innen nicht müde zu
betonen, wie selbstgerecht die Grünen aufträten und wie unbeliebt sie in
der Bevölkerung seien. „Bei mir im Wahlkreis sind die Grünen verhasst“,
hieß es auch auf dem SPD-Parteitag auf die Frage nach den aktuellen
Umfragewerten. Beruhigend, wenn die politische Konkurrenz noch unbeliebter
ist als man selbst.
Viele Kontakte wurden heruntergefahren. Gesprächsforen, in denen sich
Politiker:innen beider Parteien und der Linkspartei darüber
austauschten, wie die gemeinsamen Ziele auch gemeinsam umgesetzt werden
könnten, sind verwaist. Die SPD-Denkfabrik, die gemeinsame Sommerfeste und
Treffen ausrichtete, löste sich Anfang 2024 verstohlen auf. Das Institut
Solidarische Moderne, wo einst Lisa Paus (Grüne) mit Cansel Kiziltepe
(SPD) und Axel Troost (Linke) über Vermögensteuern diskutierte, kündigt für
2025 noch keine neuen Termine an. Die Zeiten für progressive, politische
Bündnisse scheinen passé.
Für die SPD geht es im Wahlkampf darum, die Grünen auf Abstand zu halten,
damit die Bürger:innen sich am Ende nur zwischen Friedrich Merz und Olaf
Scholz entscheiden. Die Grünen versuchen entsprechend alles, um eine
Zuspitzung des Wahlkampfs auf die beiden ehemaligen Volksparteien zu
verhindern. Ihren Anspruch auf die Kanzlerschaft und die Hoffnung auf eine
Regierungsbeteiligung unter Führung der Union untermauern sie damit, dass
sie zum Angriff auf den Amtsinhaber blasen.
Laut ARD-„Deutschlandtrend“ von Infratest dimap kommt für 81 Prozent der
Grünen-Anhänger:innen grundsätzlich auch die Wahl der SPD infrage und
umgekehrt für 61 Prozent der SPD-Anhänger:innen die Wahl der Grünen.
Zwischen keinen anderen Parteien besteht eine so große Offenheit.
Umso härter zeigt sich im Wahlkampf die Konkurrenz zwischen den
Nochkoalitionären. Die Grünen schüren Zweifel daran, dass es mit dem
Klimaschutz auch unter Schwarz-Rot weiterginge. Die SPD wirft umgekehrt den
Grünen vor, dass sie es mit der sozialen Gerechtigkeit nicht ernst meinten.
## Unterschiede klar erkennbar
Dass es aber der Streit über Waffenlieferungen ist, der zu Beginn des
kurzen Wahlkampfs am heftigsten aufflammt, ist kein Zufall. Denn in Fragen
[5][der Ukraine-Unterstützung] sind Unterschiede zwischen SPD und Grünen
noch am deutlichsten erkennbar. Die Grünen wollen der Ukraine erlauben,
Russland stärker unter Druck zu setzen, und Marschflugkörper wie den Taurus
liefern, der von der Ukraine aus bis Moskau fliegen könnte. Der Kanzler
schließt Taurus-Lieferungen aus, im Wahlprogramm wird ausdrücklich darauf
verwiesen, dass man zu dieser Entscheidung stehe.
Was die aktuell im Raum stehenden 3 Milliarden Euro anbelangt, gibt es
trotz Wahlkampfdisziplin auch innerhalb der SPD unterschiedliche
Ansichten. Ralf Stegner stellt infrage, dass die Entscheidung überhaupt
noch vor der Bundestagswahl fallen muss: „Es gibt feste Lieferzeiten und
die Zusage von Olaf Scholz, dass wir weiterhin Luftabwehr liefern werden.“
Im Haushalt für 2025 sind 4 Milliarden Euro an Militärhilfen für die
Ukraine eingestellt. Einen unmittelbaren Mehrbedarf sieht er zurzeit nicht.
Dagegen wirbt SPD-Haushaltspolitiker Andreas Schwarz dafür, zusätzlich zu
den unstrittigen 4 Milliarden Euro die weiteren 3 Milliarden noch vor der
Bundestagswahl zu beschließen. „Wenn man sieht, mit welcher Vehemenz
Russland angreift, ist es wichtig, dass man die Verteidigungsfähigkeit der
Ukraine sicherstellt. Trotz einer Wahl in Deutschland.“ Die entsprechende
Vorlage aus dem Verteidigungsministerium läge schließlich seit November
vor.
Pikanterweise war der Streit um jene zusätzlichen 3 Milliarden einer der
wesentlichen Streitpunkte, an denen die Ampel zerbrach. Olaf Scholz war
dafür, die Schuldenbremse für die Ukrainehilfen auszusetzen,
FDP-Finanzminister Christian Lindner beharrte auf Kürzungen zur
Gegenfinanzierung.
## Und immer wieder Streit
Der Ampelstreit als Wiedergänger im Wahlkampf? Haushälter Schwarz ist
sicher: „Wenn sich alle Befürworter anstrengen, können wir das
Ukraine-Paket parteiübergreifend beschließen.“ 3 Milliarden Euro könne man
durch die Ausnahme der Schuldenregel oder kluge, wenn auch schwierige
Umschichtungen im Haushalt auftreiben. Mit Letzterem spielt er auf den Weg
an, den das Haushaltsrecht als „außerplanmäßige Ausgabe“ bezeichnet. Mit
Zustimmung des Finanzministers und des Haushaltsausschusses im Bundestag
könnten die 3 Milliarden Euro freigegeben werden, mit der Begründung, der
Bedarf sei „unvorhergesehen und unabweisbar“.
FDP und Union würden diesen Weg im Bundestag wohl mitgehen. Auch die Grünen
favorisieren ihn – eben weil Union und FDP ebenfalls zustimmen würde, und
weil die Grünen bei der Finanzierung kein Problem sehen. Sie gehen davon
aus, dass an anderen Stellen im Haushalt genügend Mittel nicht ausgegeben
werden und durch die Ukraine-Milliarden gar kein Loch entstünde.
Das Kanzleramt favorisiert jedoch noch immer den anderen Weg: Die 3
Milliarden aus Krediten zu finanzieren, wozu FDP und Union aber weiter
nicht bereit sind. Scholz spricht davon, dass für den Haushalt 2025 ohnehin
schon 26 Milliarden Euro fehlten. Auch wenn nicht alle Mittel wie gedacht
abflössen, bliebe ein Loch. Würden die 3 Milliarden Euro jetzt ohne neue
Schulden freigegeben, so die Argumentation des Kanzlers, müsste zur
Gegenfinanzierung die nächste Regierung an anderen Stellen kürzen.
Die Situation bleibt also verhakt, vorerst bis zum 29. Januar. Dann kommt
im Bundestag der Haushaltsausschuss wieder zusammen.
19 Jan 2025
## LINKS
[1] /Streit-ueber-Ukraine-Hilfen/!6062471
[2] /Nato-Treffen-der-Ostsee-Anrainer/!6062406
[3] /Nato-Treffen-der-Ostsee-Anrainer/!6058699
[4] /SPD-Wahlprogramm/!6057356
[5] /Krieg-in-der-Ukraine/!6058512
## AUTOREN
Anna Lehmann
Tobias Schulze
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