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# taz.de -- Russische Gaslieferungen nach Europa: Kein russisches Gas mehr durc…
> Seit Beginn des Jahres fließt kein Gas aus Russland mehr durch die
> Ukraine. Damit verliert Gazprom Einnahmen in Milliardenhöhe. Welche
> Konsequenzen drohen Europa?
Bild: Mächtiger Monopolist Gazprom: Die Zentrale in Sankt Petersburg
Seit 1. Januar fließt kein russisches Gas mehr durch die Ukraine. Warum?
Im Dezember hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt,
sein Land werde nicht zulassen, dass Russland „zusätzliche Milliarden“ mit
„unserem Blut“ verdient. Und damit war klar, dass der am 31. Dezember 2024
auslaufende Vertrag nicht verlängert wird. Mit dem von Russland und der
Ukraine gleichzeitig vorgenommenen Stopp des Transits von russischem Gas
durch die Ukraine geht damit eine Ära zu Ende und seit 1. Januar 2025 ist
der Gastransit auf null gestellt. Mitunter waren pro Jahr über diese
Pipeline über 100 Milliarden Kubikmeter Gas transportiert worden.
Dem russischen Konzern Gazprom, der laut dem ehemaligen Chef des
ukrainischen Netzbetreibers GTS, Sergej Makogon, 2022 und 2023 pro Jahr
rund 6 Milliarden US-Dollar für den Transit erwirtschaftet hatte, gehen mit
dem Aus des ukrainischen Transits Milliarden verloren. Der Verlust der
Ukraine liegt, so der russische Dienst von Voice of America, bei 800
Millionen US-Dollar pro Jahr. Dies war der zweite kommerzielle
Transitvertrag in der Geschichte der ukrainisch-russischen Beziehungen,
nach dem sogenannten 11-Jahres-Vertrag von 2008.
Jetzt bekommt die Ukraine also weniger Gas. Müssen die Menschen in der
Ukraine nun mehr frieren?
Nein, denn es handelt sich um Transitgas. Die Ukraine hat dieses Gas nur
durchgeleitet, selbst aber nicht benutzt. Betroffen von dem Lieferstopp
sind vor allem die Slowakei, Ungarn, Österreich und die Republik Moldau.
Die Slowakei und Ungarn haben noch bis kurz vor Jahresende um eine
Fortführung der Lieferungen gekämpft. [1][Der slowakische Premierminister
Robert Fico erklärte], die Weigerung der Ukraine, ab dem 1. Januar
russisches Gas zu transportieren, sei nicht nur eine politische Geste,
sondern eine „äußerst kostspielige Entscheidung“, deren Folgen seiner
Meinung nach die Europäische Union zu tragen habe.
Am 29. Dezember schrieb Fico einen offenen Brief an den Präsidenten des
Europäischen Rates, António Costa, und an die Präsidentin der Europäischen
Kommission, Ursula von der Leyen, in dem er sich über die Weigerung der
Ukraine beklagte, 2025 russisches Gas zu transportieren. Die Slowakei, so
das ukrainische Portal rbc.ua, deckt 19 Prozent der ukrainischen
Stromimporte ab.
Als Reaktion auf die Blockade des russischen Gastransits in die EU drohte
Fico, [2][der am 22. Dezember zu Gesprächen mit Putin nach Moskau gereist
war], mit der Unterbrechung der Stromlieferungen in einer Zeit, in der es
im ukrainischen Energiesystem zu Engpässen kommt. Putin habe Fico
offensichtlich angewiesen, so Selenskyj in einer ersten Reaktion, eine
„zweite Energiefront“ zu eröffnen.
Müssen nach dem Stopp Menschen in Europa in kalten Wohnungen sitzen?
Die Länder, die bisher besonders viel Gas aus Russland über die Ukraine
erhalten hatten, [3][wie Österreich,] Ungarn und die Slowakei, geben sich
gelassen. Man sei auf die Situation vorbereitet gewesen, heißt es. Man
komme auch ohne russisches Pipelinegas zurecht. Und: Frieren müsse niemand.
Ist die Drohung der Slowakei, keinen Strom mehr in die Ukraine zu
exportieren, ernst zu nehmen?
Nicht wirklich. Die Slowakei ist im Verband Europäischer
Übertragungsnetzbetreiber Entso-E. Würde sie im Alleingang entscheiden,
keinen Strom mehr zu exportieren, könnte die EU-Kommission die Slowakei
hierfür sanktionieren, ja sogar aus dem Entso-E-Verband ausschließen. Auf
ein derartiges Risiko wird sich die Slowakei, die jährlich 200 Millionen
US-Dollar mit dem Export von Strom in die Ukraine einnimmt, wohl kaum
einlassen. Nicht einmal Ungarn, das ansonsten der Slowakei freundschaftlich
verbunden ist, will bei einem derartigen Stromlieferboykott mitmachen.
Gibt es andere Drohgebärden?
Ja. Etwa die Drohung, Hilfen für ukrainische Flüchtlinge zu verringern.
Dies wird die Slowakei vermutlich auch in die Tat umsetzen. Und es könnten
noch andere Racheakte der slowakischen Machthaber folgen. Die Ukraine
ihrerseits sollte sich überlegen, ob sie nicht mit ihrer aggressiven
Rhetorik gegenüber Bratislava eine Mitschuld an dem aktuell schlechten
slowakisch-ukrainischen Verhältnis trägt. Die Ukraine kann sich keine
weiteren feindlichen Nachbarn leisten.
Wie reagiert man in der Republik Moldau auf das Ende des Gastransits?
Dort ist die Lage deutlich ernster. Und die Gründe für den Lieferstopp sind
andere. Moldau solle erst einmal seine Schulden an Gazprom bezahlen, heißt
es von russischer Seite. Moldau sieht das anders und erkennt die
angeblichen Schulden nicht an. Moldau hat russisches Gas zur Verstromung
importiert. Und diese Verstromung findet in einem Kraftwerk statt, das sich
auf dem Gebiet der separatistischen, eng mit Russland verbundenen Region
Transnistrien befindet.
Dieser Strom fehlt der Republik Moldau nun. Transnistrien wiederum, das
das russische Gas auch für das Heizen von Wohnungen einsetzt, ist nun vom
russischen Gas abgeschnitten. In der Folge sitzt nun ein Großteil der
Bevölkerung Transnistriens vor kalten Heizkörpern. Ironie der Geschichte:
Das Ende der russischen Pipelinelieferungen trifft ausgerechnet
russlandfreundliche Separatisten.
Könnte Moldau russisches Pipelinegas auf anderen Wegen erhalten?
Technisch gesehen ist das möglich. Doch Russland ist dagegen. Nach einem
Bericht von Radio Liberty beschuldigt die Präsidentin von Moldau, Maia
Sandu, Gazprom, die Energiekrise zu provozieren, da das russische
Unternehmen sich weigere, Gas über eine alternative Route zu liefern.
Wie geht es weiter in Moldau?
Bislang hatte die Zentralregierung in Chișinău einen Modus Vivendi mit der
separatistischen Region Transnistrien gefunden. Dort sind rund 1.500
russische Soldaten stationiert. Transnistrien, das russisches Gas
verstromt, liefert diesen Strom in andere Teile Moldaus. Bürger von
Transnistrien können überall in Moldau studieren, und Transnistrien
beteiligt sich auch an landesweiten sportlichen Wettkämpfen. Derzeit steht
die Fußballmannschaft Sheriff Tiraspol aus Transnistrien an der Spitze der
nationalen Liga der Republik Moldau.
Doch mit dem Ende der Lieferungen aus Tiraspol, der weiteren Verarmung der
Region Transnistrien – seit Anfang Januar stehen die Fabriken wegen der
ausbleibenden Gaslieferungen still – scheint das fragile friedliche
Zusammenleben bedroht.
Bringt ein Stopp des russischen Pipelinegases das Ende des Krieges näher?
Ja und nein. Zum einen fehlen der russischen Kriegskasse jedes Jahr 5
Milliarden US-Dollar. Gleichzeitig ist auch klar, dass Russland Gas nicht
mehr als Waffe einsetzen kann. Andererseits könnte eine weitere Eskalation
folgen. Bis Ende 2024 galten die Bereiche in unmittelbarer Nähe der
Pipeline als ziemlich sicher. Russland hat nie die Gaspipeline beschossen.
Damit dürfte es nun vorbei sein. Auf technischer und humanitärer Ebene gibt
es Kontakte zwischen ukrainischen und russischen Behörden.
Man hatte über den Export von Getreide über das Schwarze Meer verhandelt,
hatte gemeinsam die Pipeline am Laufen gehalten und [4][über den Austausch
von Gefangenen] verhandelt. Diese Zusammenarbeit hat Ende des Jahres einen
Austausch von 300 Gefangenen ermöglicht. Die Pipeline hat ebenfalls eine
Zusammenarbeit von ukrainischen und russischen Fachleuten ermöglicht: auf
technischer und organisatorischer Ebene.
Diese Kooperationen tragen zu einer Entspannung des russisch-ukrainischen
Verhältnisses bei. Leider ist mit dem Lieferstopp von russischem Gas durch
die Ukraine solch eine Form der russisch-ukrainischen Zusammenarbeit nicht
mehr möglich. Und das leistet einer weiteren Eskalation Vorschub.
Wer ist der Gewinner?
Die Abhängigkeit von russischem Gas ist nun Geschichte. Doch es könnten
dennoch neue Abhängigkeiten folgen. In den letzten Jahren haben die USA
ihre Lieferungen von Flüssigerdgas (LNG) als Alternative zu russischem Gas
in die Europäische Union erheblich gesteigert. Der Hauptlieferant von LNG
für die EU ist aktuell Norwegen. Gleichzeitig dürften die Gasimporte aus
den USA zunehmen. Nicht ganz freiwillig, droht der künftige US-Präsident
Donald Trump doch Ländern, die kein US-amerikanisches Gas kaufen wollen,
mit neuen Zöllen. Auch die Türkei, die unter anderem aus Russland Gas
erhält, bietet sich als Lieferant an.
Wird überhaupt kein russisches Gas mehr in Europa genutzt werden?
Das ist unklar. Bei dem aktuellen Konflikt geht es nur um Pipelinegas.
Russland baut aktuell seine Kapazitäten zur Verflüssigung von Erdgas aus
und will dieses Gas per Schiff exportieren. Und ob aus der Türkei
geliefertes Gas wirklich zu hundert Prozent türkisches Gas ist, wird sich
wohl nur schwer ermitteln lassen.
3 Jan 2025
## LINKS
[1] /Deutschland-unabhaengiger-von-Russland/!6056585
[2] /Slowakei/!6058219
[3] /Oesterreich-kuendigt-Gasvertrag/!6037895
[4] /Kriegsgefangenenaustausch-in-der-Ukraine/!6042344
## AUTOREN
Bernhard Clasen
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