| # taz.de -- 20 Jahre Härtefallkommission in Berlin: Der Rettungsanker für Not… | |
| > Die Härtefallkommission hat in 20 Jahren tausenden Menschen Bleiberecht | |
| > gegeben. Die Innensenatorin weiß das zu schätzen, weil auch Berlin | |
| > profitiert. | |
| Bild: Der Erfolg kam danach: Restaurantbesitzer Van Tuyen Pham (links) bekam vo… | |
| Berlin taz | Was hat die Härtefallkommission des Landes Berlin, die in | |
| diesen Tagen ihr 20-jähriges Bestehen feiert, mit der Restaurantkette | |
| Umami zu tun? Sehr viel, denn ohne Härtefallkommission gäbe es die drei | |
| angesagten vietnamesischen Restaurants nicht. Ihr Inhaber, Van Tuyen Pham, | |
| dem die Umami-Restaurants in Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg | |
| sowie Anteile an mehreren anderen Restaurants in bester Stadtlage in Mitte | |
| gehören, wäre ohne Härtefallkommission aus Deutschland abgeschoben worden. | |
| Heute ist der 36-Jährige Millionär, und jemand, der seine Herkunft nicht | |
| vergessen hat. Er spendet Geld für Kinderheime und HIV-infizierte Frauen in | |
| Vietnam sowie für die katholische Kirche in Berlin, die ihn bei seinem | |
| Ankommen hier begleitete und für ihn den erfolgreichen Antrag an die | |
| Härtefallkommission stellte. | |
| [1][Van Tuyen Pham war 14 Jahre jung], als er als minderjähriger | |
| unbegleiteter Asylbewerber nach Deutschland kam. Politisch verfolgt in | |
| Vietnam war er nicht. Dass er in Freiheit und nach eigenen | |
| Wertvorstellungen leben wollte, zählt bis heute nicht als Asylgrund – so | |
| wurde sein Antrag abgelehnt. Wegen seines jungen Alters konnte Pham | |
| allerdings auch nicht abgeschoben werden. Der gläubige Katholik kam in eine | |
| deutschen Pflegefamilie und machte einen Schulabschluss in Berlin. Neben | |
| dem Schulbesuch jobbte er als Tellerwäscher in Restaurants. | |
| Als er volljährig war, hatte er sich bereits in Berlin integriert, wo er | |
| die prägenden Jahre seines Lebens verbracht hatte. Eine Rückkehr zu seiner | |
| Familie nach Vietnam wäre für ihn ein Sturz ins Nichts gewesen. Pham | |
| träumte von einem eigenen Restaurant. Die Innenausstattung hatte er schon | |
| am Schreibtisch seines Pflegevaters entworfen.Aber das alles ließ sich nur | |
| realisieren, wenn Pham ein Bleiberecht in Deutschland erhalten könnte. Und | |
| dafür sah das Gesetz keinen Weg vor. | |
| ## Unzumutbare Härte | |
| Weil es viele Menschen gab wie Pham, die auf gesetzlichem Weg keinen | |
| Anspruch auf ein Bleiberecht hatten, aber gut integriert waren und für die | |
| jede Vernunft gegen eine Abschiebung sprach, wurden gleichzeitig mit dem | |
| neuen Aufenthaltsgesetz von 2005 Härtefallkommissionen in den Bundesländern | |
| geschaffen. | |
| Seither gilt: Wer vollziehbar ausreisepflichtig ist, für den die | |
| Abschiebung aber eine unzumutbare Härte darstellen würde, kann über einen | |
| Antrag an die Härtefallkommission ein Bleiberecht erhalten. „Viele | |
| Betroffene waren bereits fest in Berlin verwurzelt, als ihnen die | |
| Abschiebung drohte“, sagt Integrationsbeauftragte Katharina Niewiedzial, | |
| die heute der Härtefallkommission angehört. „Besonders im Fokus der | |
| Härtefallkommission stehen auch Menschen, die Gewalt erlitten oder | |
| anderweitig besondere Schwierigkeiten in ihrem Leben zu bewältigen haben. | |
| Für all diese Menschen ist die Härtefallkommission oft die letzte Hoffnung | |
| auf ein sicheres Leben in Berlin.“ | |
| In der Berliner Härtefallkommission arbeiten Vertreter mehrerer | |
| Senatsverwaltungen, der katholischen und der evangelischen Kirche, der Liga | |
| der Wohlfahrtsverbände, des Flüchtlingsrates und des Migrationsrates Berlin | |
| mit. Damit stellen die Vertreter der freien Träger eine Mehrheit dar, | |
| anders als in einigen Flächenländern, wo üblicherweise Landkreisvertreter | |
| mit am Tisch sitzen, die in dem Gremium oft gegen ein Bleiberecht votieren. | |
| Allerdings: Auch in Berlin ist das Votum der Härtefallkommission für die | |
| Innensenatorin nicht bindend. Sie hat das letzte Wort. | |
| Eigentlich ist die Berliner Härtefallkommission älter als 20 Jahre. Das | |
| Land Berlin hat sie wie wenige andere Bundesländer bereits in den 1990er | |
| Jahren auf freiwilliger Basis geschaffen, lange bevor ein Bundesgesetz das | |
| zwingend vorsah. Für die bundesgesetzliche Regelung war die Berliner Praxis | |
| Vorbild. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten das Ehepaar Traudl und | |
| Eberhard Vorbrodt, die sich beide weit bis ins Rentenalter hinein für | |
| Flüchtlinge engagierten. Letzten Monat ist Traudl Vorbrodt im Alter von 86 | |
| Jahren gestorben. | |
| ## Der „Fall Mohamed“ | |
| Seit den 1990er Jahren hat die taz immer wieder über Menschen berichtet, | |
| die sich aus unterschiedlichen Gründen an die Härtefallkommission wandten – | |
| erfolgreich und erfolglos. So wie Van Tuyen Pham, der es mit Kreationen, | |
| die zwischen fernöstlicher und regionaler Küche angesiedelt sind, bis in | |
| die Sternegastronomie schaffen will. | |
| [2][2022 berichtete die taz über den schwerbehinderten Pakistaner Raheel | |
| Afzal], dessen zweiter Antrag an die Härtefallkommission erfolgreich war. | |
| Erst ein Ende der Angst vor einer Abschiebung ermöglichte es dem Mann, sich | |
| zu integrieren und einen Platz in einer Behindertenwerkstatt zu finden. | |
| 2015 schlug dieser Fall hohe Wellen: Ein kleiner Junge namens Mohamed war | |
| vor dem Lageso von einem Pädophilen entführt, sexuell missbraucht und | |
| ermordet worden war. In der Folge [3][entschieden die Härtefallkommission | |
| und der damalige Innensenator Frank Henkel (CDU)] für ein humanitäres | |
| Bleiberecht für Mutter, Stiefvater und Geschwister. Die Familie aus Bosnien | |
| sollte die Möglichkeit haben, am Grab des Jungen zu trauern, hieß es. | |
| 2012 lehnte Henkel den [4][Härtefallantrag des Indonesiers Herry H. ab], | |
| nachdem der Fall in der Härtefallkommission eine Mehrheit pro Bleiberecht | |
| erhalten hatte. Der junge Mann war zum Studium nach Berlin gekommen, hatte | |
| hier sein Coming-out, fand Halt im Lesben- und Schwulenverband. In seiner | |
| ländlichen Region in Indonesien gilt Homosexualität als ansteckende | |
| Krankheit, ihm drohte die Zwangsverheiratung mit einer Frau. Sein weiteres | |
| Schicksal ist nicht bekannt. | |
| ## Schlechte Quote von Frank Henkel (CDU) | |
| 2011 stellte eine Familie einer ethnischen Minderheit aus dem Kosovo | |
| erfolglos einen Härtefallantrag. Ihnen drohte im Falle einer Rückkehr | |
| „Blutrache“, also der Tod. Das ist jedoch keine staatliche Verfolgung, | |
| sodass der Asylantrag abgelehnt wurde. Die Härtefallkommission würdigte die | |
| gute Integration der Familie, doch auch hier lehnte Henkel ab. Der Familie | |
| half schließlich das Kirchenasyl. Heute arbeitet der Vater bei einem | |
| Wohlfahrtsverband, die Mutter ist Altenpflegerin. | |
| In 2.635 Fällen hat die Berliner Härtefallkommission seit 2005 eine | |
| positive Entscheidung getroffen und einem Menschen oder einer Familie damit | |
| zu einem Bleiberecht verholfen. Dabei ist die Anerkennungsquote durch die | |
| amtierenden Innensenatorinnen und -senatoren sehr unterschiedlich. Während | |
| Innensenator Frank Henkel (CDU) in den Jahren seiner Amtszeit von 2011 bis | |
| 2016 nur zwischen 33 und 58 Prozent der von der Kommission positiv | |
| bewerteten Fälle ebenfalls positiv beschied, waren es bei Andreas Geisel | |
| (SPD, 2017–2021) 72 bis 77 Prozent, bei Iris Spranger (SPD) in dieser | |
| Legislaturperiode sogar gut 90 Prozent. | |
| Emily Barnickel, die den Flüchtlingsrat in der Härtefallkommission | |
| vertritt, freut sich über den positiven Trend. „Ich bedaure allerdings, | |
| dass gerade bei Flüchtlingen aus Moldau und Georgien oft ein Einsehen | |
| fehlt, dass es auch hier humanitäre Gründe für ein Aufenthaltsrecht geben | |
| könnte.“ Sie denkt beispielsweise an eine betroffene HIV-kranke Familie mit | |
| drei Kindern, deren Härtefallantrag gerade abgelehnt wurde. „Zu Recht wird | |
| darauf geschaut, wie die Antragsteller ihren Lebensunterhalt sichern. Aber | |
| es gibt Fälle, wo das zeitweise nicht möglich ist. Da sollte man auch | |
| humanitäre Gesichtspunkte nicht aus dem Blick nehmen“, findet Barnickel. | |
| An der Arbeit in der Kommission schätzt sie besonders die kollegiale | |
| Zusammenarbeitet. Jede und jeder brächte aus dem jeweiligen beruflichen | |
| Umfeld andere Erfahrungen mit, ein anderes Fachwissen. „Wir ergänzen uns.“ | |
| Das sei nicht immer so gewesen, sagt Barnickel. „Ich weiß, dass es vor | |
| meiner Zeit öfter Spannungen im Gremium gab.“ Die einzelnen Mitglieder | |
| halten Sprechstunden ab, beraten die Hilfesuchenden, bevor sie den Fall in | |
| die Kommission einbringen, klären, ob ein Antrag überhaupt sinnvoll ist | |
| oder ob es vielleicht einen anderen Weg gibt zu einem Bleiberecht. | |
| ## „Menschenwürde im Vordergrund“ | |
| „Ich bin stolz darauf, dass wir in Berlin diese wichtige Institution | |
| haben“, sagt Innensenatorin Iris Spranger (SPD). „In ihr setzen sich | |
| Vertreterinnen und Vertreter der Stadtgesellschaft für eine gesicherte | |
| Bleibeperspektive für Menschen in besonders schwierigen Lebenssituationen | |
| ein.“ | |
| Magdalena Benavente, die den Migrationsrat in der Kommission vertritt, | |
| hofft, „dass unabhängig von der politischen Lage der Mensch und der Schutz | |
| seiner Würde im Vordergrund bleibt und Entscheidungen stets auf der | |
| Grundlage von Humanität und Gerechtigkeit getroffen werden“. Gerade in | |
| Zeiten der vermehrten Angriffe von rechts auf die Migrationsgesellschaft | |
| und den gesellschaftlichen Zusammenhalt sei diese Institution mehr denn je | |
| nötig. | |
| 16 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marina Mai | |
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