| # taz.de -- Asyl: Eine gute Partie | |
| > Dem in Berlin lebenden Indonesier Herry H. droht die Abschiebung in sein | |
| > Herkunftsland. Dort soll er mit einer Frau verheiratet werden. Aber H. | |
| > ist schwul. | |
| Bild: Proteste gegen Abschiebepraxis | |
| „Ich kann und will das Leben nicht leben, das meine Großfamilie für mich | |
| ausgesucht hat“, sagt Herry H. Der schmächtige 32-jährige Indonesier mit | |
| dem kindlichem Gesicht sitzt in den Räumen des Berliner Lesben- und | |
| Schwulenverbands. Ihm droht die Abschiebung nach Indonesien – und dort die | |
| Zwangsheirat. Sein Vater, sagt Herry H., habe bereits eine Frau für ihn | |
| ausgesucht: „Eine Frau aus gutem Hause, denn ich gelte als gute Partie.“ | |
| H.s Eltern glauben, er habe in Berlin einen Hochschulabschluss erworben. | |
| Dass er das Studium der Elektrotechnik schon vor gut einem Jahr abgebrochen | |
| hat, wissen sie nicht. | |
| „Schon als Kind galt ich als zu feminin“, sagt H., der aus einer ländlichen | |
| Region stammt. „Ich habe meiner Mutter gern in der Küche geholfen.“ Aber | |
| Herrys Rolle als Junge war nicht die Küchenarbeit: „Mein Großvater hat mich | |
| mehr als einmal aus der Küche geholt, mit Telefonkabeln verprügelt und zum | |
| Fußballspielen gezwungen.“ | |
| Das wirkte. Mit 15, so H., habe er sich verhalten, wie ein Mann sich zu | |
| verhalten hat. „Und ich habe mich dafür verachtet.“ Der Gedanke, schwul zu | |
| sein, kam Herry H. In Indonesien trotzdem nicht. „Dort gilt Homosexualität | |
| als ansteckend. Wie sollte ich mich angesteckt haben?“ | |
| Als der junge Mann zum Studium nach Berlin kam, füllte er zunächst die | |
| Rolle aus, die seine Familie ihm mit auf den Weg gegeben hatte. „Ich sollte | |
| nur studieren, keinesfalls die westliche Lebensweise annehmen. Mit dem | |
| Diplom sollte ich zurückkehren, heiraten, einen guten Job und Kinder | |
| bekommen.“ Und so lernte er die erste Zeit nur – „von Montag bis Sonntag�… | |
| Die inneren Konflikte begannen, als H. 2004 seine Heimat besuchte. „Ich | |
| spürte, dass die mir zugedachte Rolle nicht meine ist.“ | |
| Jörg Steinert vom Lesben- und Schwulenverband sitzt H. gegenüber, während | |
| dieser erzählt. „Ich habe lange gedacht, Herry stamme aus einer | |
| muslimischen Familie“, sagt er. Aber H. ist Katholik. Der Fall zeige, so | |
| Steinert, dass sich der Lesben- und Schwulenverband stärker für asiatische | |
| Kulturen öffnen müsse. | |
| Wieder in Deutschland, besuchte Herry H. eine schwule Männergruppe. Es tat | |
| ihm gut, wie selbstverständlich für die Männer dort ihre Homosexualität | |
| war. Doch er kämpfte mit sich – für seinen zweiten Besuch nahm er sich ein | |
| ganzes Jahr Zeit. | |
| 2010 drohte ihm zum ersten Mal die Abschiebung, weil er die | |
| Regelstudienzeit weit überschritten hatte. Die Härtefallkommission | |
| ermöglichte ihm ein weiteres Jahr Aufenthalt, schließlich lagen nur noch | |
| wenige Examen vor ihm. Doch dann kam der Burn-out: „Mein Körper hat alles | |
| abgelehnt, was mir von meiner Familie aufgedrängt wurde“, sagt H. Er habe | |
| mit den Psychologen besprochen, das Studium hinzuwerfen und seinen Traumjob | |
| zu erlernen: Koch. | |
| H. fand eine Lehrstelle bei einer Hotelkette. Weil seine | |
| Aufenthaltserlaubnis erloschen ist, darf er sie bis heute nicht antreten. | |
| Er wandte sich ein zweites Mal an die Härtefallkommission, diesmal wegen | |
| der drohenden Zwangsverheiratung. Die Kommission befürwortete ein | |
| Bleiberecht, Innensenator Frank Henkel (CDU) sah das anders. | |
| Dass H. noch hier ist, verdankt er einer Petition, die der Flüchtlingsrat | |
| ans Abgeordnetenhaus gerichtet hat. Henkel hält sich an den Brauch, nicht | |
| abzuschieben, solange über die Petition nicht entschieden ist – | |
| erfahrungsgemäß dauert das zwei bis drei Monate. Die grüne Abgeordnete Anja | |
| Kofbinger, die die Petition bearbeitet hat, hofft, dass H.s Wunsch auf | |
| Bleiberecht eine breite Zustimmung findet. „Schließlich droht ihm die | |
| Zwangsverheiratung.“ | |
| Es waren CDU und CSU, auf deren Initiative Zwangsverheiratung 2011 als | |
| Straftat eingeführt wurde. „Da werden sich Berlins Christdemokraten kaum | |
| dem Opferschutz verweigern können und wollen“, sagt Kofbinger. | |
| 25 Apr 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Marina Mai | |
| Marina Mai | |
| ## TAGS | |
| Elterliche Gewalt | |
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