# taz.de -- Fridays for Future: Die letzten Grünen | |
> Fridays for Future mobilisiert nicht mehr die Massen und Klima spielt im | |
> Wahlkampf keine große Rolle. Warum die Bewegung erst recht weitermacht. | |
Bild: Sie sind nicht viele, aber sie sind widerständig: Fridays For Future-Akt… | |
Duisburg und Hannover | |
Linda Kastrup steht mit einer kleinen Gruppe von Aktivist*innen auf | |
einer Stahlbrücke, hinter ihr die stillgelegten Hochöfen des Duisburger | |
Hüttenwerks. Es ist ein frostiger Januartag mit Schneeregen, doch das | |
Wetter schreckt die 25-jährige Studentin nicht ab. Vor der Kulisse der | |
Industrieruine reckt sie die Faust in die Luft. „Was wollen wir?“, ruft sie | |
entschlossen, „Klimagerechtigkeit“, antworten ihre Mitstreiter*innen | |
von Fridays for Future (FFF) im Chor. Dann entrollen die Aktivist*innen | |
am Geländer ein Transparent mit dem Aufspruch: „Zukunft wär schon geil“. | |
Das gilt allerdings auch für die Bewegung. Der Landschaftspark | |
Duisburg-Nord, heute ein Naherholungsgebiet in der Stadt, ist fast | |
menschenleer, nur ein lokales Filmteam ist für die Aktion vorbeigekommen. | |
Die Aktivist*innen geben Interviews, machen Fotos für Social Media, | |
zeigen sich selbstbewusst. | |
Noch vor wenigen Jahren schien Fridays for Future unaufhaltsam: 2019 | |
mobilisierte die Bewegung bis zu 1,4 Millionen Menschen für den globalen | |
Klimastreik, vor der Bundestagswahl 2021 war Klimaschutz das beherrschende | |
Thema. Doch die Euphorie, mit der Fridays for Future den Klimaschutz einst | |
überall ins Zentrum der gesellschaftlichen Debatte rückte, ist verflogen. | |
Woran liegt das? | |
## Ein Erfolg der Bewegung ist, dass es sie noch gibt | |
„Die Ausgangslage ist heute eine völlig andere als vor der letzten Wahl“, | |
führt Kastrup an, die auch eine der Sprecherinnen der Bewegung auf | |
Bundesebene ist. „Wir haben seitdem eine massive Diskursverschiebung nach | |
rechts erlebt“, erinnert sie. „Immer wieder übernehmen auch demokratische | |
Parteien die Positionen der AfD.“ Mittlerweile müsse man für so | |
grundlegende Dinge wie für die Demokratie und gegen rechts demonstrieren, | |
Klimaschutz habe es da schwer. „Wir gehen auch dafür auf die Straße, um | |
unsere langfristige Meinungsfreiheit und damit die Möglichkeit zum | |
Druckaufbau für mehr Klimaschutz abzusichern.“ | |
Der Protestforscher Daniel Saldivia Gonzatti vom [1][Wissenschaftszentrum | |
für Sozialforschung] in Berlin nennt weitere Gründe für die | |
Demobilisierung: Es gebe einen Ermüdungseffekt, die Fridays-Aktionen seien | |
weder neu noch überraschend. Schulstreik gelte nicht mehr als Schockmittel, | |
viele der Aktivist*innen von damals seien heute selbst im Studium oder | |
im Beruf. Dazu komme die Krisenstimmung in der Gesellschaft: Statt | |
Klimaschutz bestimmten Wirtschaftslage und Migration die Debatte. „Den | |
Aktivist*innen gelingt es bisher nicht ausreichend, diese Themen mit | |
Klimaschutz zu verbinden“, meint der Experte. „Die Bewegung hat es nicht | |
geschafft, ihr einseitiges Öko-Image abzulegen.“ | |
Schließlich der politische Widerstand: „Längst hat sich eine | |
rechtskonservative Gegenbewegung formiert und nutzt Klimathemen, um | |
Kulturkämpfe zu befeuern“, mahnt auch der Politikwissenschaftler. | |
Trotzdem zeige Fridays for Future immer noch ein großes | |
Mobilisierungspotenzial, besonders im Vergleich zu massenwirksamer | |
Protestorganisation etwa von Querdenken, von denen es allenfalls noch | |
Ableger gebe. Fridays for Future habe ihre Strategie immer wieder an | |
veränderte politische Rahmenbedingungen angepasst, um für eine soziale | |
Klimapolitik zu werben. Saldivia Gonzatti sagt: „Es ist schon ein Erfolg | |
der Bewegung, dass es sie nach sechs Jahren weiterhin gibt.“ | |
Mit der Neuwahl kämpft sie um ihre Bedeutung. Wie der Klimaschutz | |
insgesamt, der [2][laut ARD-Deutschlandtrend auf Platz vier der wichtigsten | |
Themen] abgerutscht ist. | |
## „Setzen an vielen Stellen an“ | |
Wenige Stunden vor der Aktion in Duisburg. Die Spitze um Luisa Neubauer hat | |
soeben in Berlin ihre [3][Forderungen zur Bundestagswahl] präsentiert, als | |
dieser Satz fällt: „Wir können für Klimaproteste mobilisieren, aber es muss | |
auch das Vertrauen in eine Regierung geben, dass Proteste wirken.“ | |
Umgekehrt stellt sich die Frage, ob Protestmittel wie Demos und | |
Transparente dann noch die richtigen sind. | |
In Duisburg weht ein eisiger Wind, es beginnt zu schneien. Die | |
Aktivist*innen scherzen, ihre Pappschilder sähen im Schneeregen so | |
traurig aus. Linda Kastrup, blonde Haare, einnehmendes Lächeln, erklärt: | |
„Wir setzen an vielen Stellen an, nicht nur alleinig mit Demonstrationen.“ | |
Dazu gehörten Verfassungsklagen, Bündnisse mit Gewerkschaften und lokalen | |
Akteuren vor Ort. In Duisburg, wo einst Kohle und Stahl das Stadtbild | |
prägten, wolle man die Stadt mit lokalen Verbündeten zur | |
[4][Klimaneutralität 2035] drängen. | |
„Wir sehen, dass in den letzten Jahren mehr Klimaschutz umgesetzt wurde als | |
je zuvor. Unser Protest wirkt“, ist sie überzeugt. „Aber die Regierungen | |
tun das nicht von allein, deswegen müssen wir weitermachen. Jedes | |
Zehntelgrad Erderhitzung, das wir verhindern, ist ein voller Erfolg.“ | |
Nach der Banneraktion am Stahlwerk fahren die Aktivist*innen mit der | |
Bahn ins Linke Zentrum, die nächste Klimademo vorbereiten. Mit Filzstift | |
schreiben sie den Treffpunkt unter Plakate, planen, wer die Redebeiträge | |
übernehmen soll. „Wer fragt die Omas gegen Rechts an?“, wirft Kastrup in | |
die Runde. Ein Streitpunkt: Soll auch die CDU zur Demo eingeladen werden? | |
„Die kommen eh nicht, da können wir uns die Mühe sparen“, sagt eine junge | |
Aktivistin. „Ich finde, wir sollten grundsätzlich alle demokratischen | |
Parteien ansprechen“, entgegnet Kastrup. „Aber nur, wenn sie auf unsere | |
Forderungen eingehen“, meint ein anderer Aktivist. „Die hängen wir ihnen in | |
der Mail an, um noch mal Druck zu machen.“ Zustimmung. | |
Kastrup versprüht Optimismus. Klar würden sich die Krisen überlagern. „Aber | |
die Klimakrise geht ja nicht weg. Gerade weil sie so spürbar ist, müsste | |
die neue Regierung den Menschen wenigstens ihre Sorgen und Nöte | |
diesbezüglich abnehmen und konsequenten Klimaschutz von selbst mitdenken.“ | |
Was ihr Zuversicht gibt? „Meine Ortsgruppe sitzt direkt hinter mir“, zeigt | |
sie auf die sieben Menschen im Raum, „ich bin nicht allein. Wir kommen hier | |
zusammen, bestärken uns und planen neue Aktionen. So kommt man aus der | |
Ohnmacht heraus.“ Natürlich sei sie auch mal wütend oder müde, aber | |
Klimaschutz brauche nun mal einen langen Atem. Jedes Mal, wenn sich ein | |
neues Gesicht im Plenum dazusetze, freue sie sich – und strahlt. Zuletzt | |
sei die Gruppe größer geworden, berichtet sie. | |
## Wie tickt die Klima-Jugend heute? | |
Allerdings war im vergangenen Jahr auch viel vom Rechtsruck in der | |
Gesellschaft zu lesen, und explizit die Jugend stand dabei im Fokus: Bei | |
den Europawahlen im Frühsommer 2024 büßten die Grünen in der Altersgruppe | |
der 16- bis 24-Jährigen 23 Prozentpunkte im Vergleich zu 2019 ein. Die AfD | |
hingegen wurde bei den Jungen mit 16 Prozent (plus 11 Prozentpunkte) nur | |
knapp hinter der CDU zweitstärkste Kraft. | |
Was ist, wenn die Aktionen fürs Klima – Wahrheit, Wirklichkeit und gesunder | |
Menschenverstand, wie die prominenteste FFF-Aktivistin Luisa Neubauer es | |
jüngst in einem Tiktok-Video nannte – nicht ausreichen? | |
Einer Studie der [5][Bertelsmann-Stiftung] vom Dezember 2024 zufolge glaubt | |
nur noch jeder fünfte junge Mensch, durch politisches Engagement etwas | |
bewirken zu können. Fast 40 Prozent der befragten 16- bis 30-Jährigen sind | |
der Ansicht, dass sie die gesellschaftlichen Verhältnisse ohnehin nicht | |
ändern können. Befunde, die sich nach sechs Jahren Klimademo anhören wie | |
eine Hiobsbotschaft. | |
Hat die Bewegung Fridays for Future, die einst allein in Deutschland | |
Millionen Menschen auf die Straße brachte, verloren? | |
## Ein Jahr nach der Räumung | |
Ein Besuch bei der Ortsgruppe in Hannover. Sanja Wellmann, 18 Jahre alt, | |
führt den Reporter an einer Schnellstraße vorbei zu einer breiten Schneise | |
schneebedeckter Ödnis. Ein paar Baumstümpfe ragen in den grauen Himmel. Der | |
Autoverkehr auf dem Südschnellweg rauscht, auf der mit Bauzäunen gesperrten | |
Fläche warten Bagger auf ihren nächsten Einsatz. | |
Es ist das Bild eines Kahlschlags: „Genau ein Jahr ist es jetzt her, als | |
die Polizei hier in der Leinemasch ein von Klimaaktivist*innen | |
besetztes Baumhauscamp aufgelöst hat“, erzählt Wellmann. Die Bundesstraße | |
soll verbreitert werden, 16 Hektar Bäume im Naherholungs- und | |
Hochwasserschutzgebiet Leinemasch mussten weichen. Dagegen gab es | |
Widerstand. | |
Die FFF-Gruppe hatte sich mit lokalen Klima- und Umweltverbänden bis zum | |
Ende für den Erhalt des Gebiets eingesetzt – es half nichts, am frühen | |
Morgen des 15. Januar 2024 wurden das [6][Camp geräumt] und die Bäume | |
gerodet. | |
Einen Lichtblick aber gibt es: „Wir sind hier für dieselbe Sache | |
zusammengekommen, haben gelernt, Widerstand zu leisten und unter | |
erschwerten Bedingungen bei teils minus zehn Grad zusammenzuleben“, sagt | |
Wellmann, die schon mit zwölf Jahren auf ihre erste Fridays-Demo gegangen | |
ist. In Hannover habe sich eine Initiative gebildet, die ein vergleichbares | |
Debakel beim Westschnellweg – einer weiteren Verkehrsader in der Stadt, die | |
saniert werden soll – verhindern will. „Das ist alles aus der Bewegung | |
heraus entstanden“, sagt sie. „Wir sind an einem Punkt in der Klimakrise, | |
wo man für jeden Baum kämpfen muss.“ | |
## Wirkung ist kaum messbar | |
Verlieren oder gewinnen, so einfach ist es nicht: Der Erfolg einer Gruppe, | |
die ein breites übergeordnetes Thema wie den Klimaschutz adressiert, sei | |
nicht direkt messbar, da zu viele Faktoren in Frage kämen, konstatiert | |
Politikwissenschaftler Daniel Saldivia Gonzatti. | |
Selbst wenn ein konkreter Schaden fürs Klima – wie in Hannover – nicht | |
durch den Widerstand in der Bevölkerung verhindert werden könne, gebe es | |
aber durchaus lokale Errungenschaften. In Hamburg beispielsweise hat | |
Fridays for Future erfolgreich für ein Volksbegehren für mehr Klimaschutz | |
mobilisiert. | |
Auch die Bertelsmann-Studie bestätigt: Die klimabewegte Jugend ist nicht | |
unbedingt verloren gegangen. Umweltschutz und Klimawandel nannten zwar nur | |
zwölf Prozent der Befragten als das Thema, das sie am meisten interessiert | |
– es steckt aber auch in Themen wie Frieden, sozialer Gerechtigkeit oder | |
Mobilität drin. | |
Mann kann es ja auch so sehen: Immerhin noch mehr als zwei Drittel der | |
Jugendlichen wollten sich politisch engagieren oder seien zumindest | |
teilweise dazu bereit, macht Regina von Görtz, Jugendexpertin der Stiftung, | |
deutlich – sie wüssten bloß nicht, wo und wie. „Die Befragten glauben, da… | |
sie eher auf lokaler als auf nationaler Ebene etwas verändern können“. | |
## Druck auf die Union machen | |
Auf Bundesebene scheint Fridays for Future auf taube Ohren zu stoßen. | |
Anfang Januar statteten einige Aktivist*innen der CSU bei ihrer | |
Winterklausur im Kloster Seeon einen Besuch ab. „Hütte brennt, Söder pennt�… | |
schrieben sie auf vermeintliche Wahlplakate mit dem Konterfei des | |
bayrischen Ministerpräsidenten. Oder „Bratwurstpolitik statt Klima“. | |
Eingeladen war auch der Vorsitzende der Schwesterpartei CDU, | |
Kanzlerkandidat Friedrich Merz. | |
Der lässt eine Anfrage der taz offen, ob die Union Druck durch die Bewegung | |
verspürt. Neubauer konfrontierte kürzlich zum Beispiel CDU-Politiker Jens | |
Spahn in Berlin, wie die Union ohne Heizungsgesetz, Gasausstieg oder | |
Verkehrswende die Klimaziele einhalten wolle. Das Tiktok-Video belustigte | |
die eigene Blase, produzierte darüber hinaus aber kaum Schlagzeilen. | |
„Viele Menschen haben immer noch dieses Bild von uns im Kopf, dass wir | |
gegen SUVs, Flugzeuge und Plastikflaschen sind“, bedauert Sanja Wellmann. | |
„Dabei verstehen wir uns als systemkritische Bewegung mit der Vision einer | |
lebenswerten und sozial gerechten Welt“, sagt die Aktivistin, während sie | |
an den Überresten der geräumten Leinemasch vorbeiläuft. Am Wegrand baumeln | |
noch ein paar Seile in den verbliebenen Bäumen, an denen sich die | |
Besetzer*innen entlanghangelten. | |
„Protest funktioniert immer indirekt“, erläutert der Politologe Saldivia | |
Gonzatti. „Er wirkt wie eine Verstärkung der öffentlichen Meinung.“ Im | |
Grunde hätten alle Forderungen von Fridays for Future mit Investitionen in | |
die Zukunft zu tun, stellt er fest – die Öffentlichkeit sei laut Umfragen | |
aber momentan mehrheitlich der Meinung, dass aufgrund der Wirtschaftslage | |
Investitionen in Klimaschutz nicht die höchste Priorität hätten. Das | |
bedeute nicht, dass sie Klimaschutz ablehnend gegenüberstünde. | |
Es gebe Erfolgspotentiale, das habe die Forschung in der Vergangenheit | |
gezeigt. „Besonders im Wahlkampf gibt es Möglichkeiten, zu beeinflussen, | |
was nach der Wahl auf der parlamentarischen Agenda stehen wird.“ In | |
Allianzen mit Gewerkschaften wie Verdi sieht Saldivia Gonzatti eine | |
Möglichkeit, das Klima-Thema auf der Agenda zu halten. Auch die lokale | |
Verankerung helfe dabei. Bundesweit bestehen nach Angaben der | |
Aktivist*innen noch immer mehrere hundert Ortsgruppen, über 500 waren | |
es mal zu Hochzeiten. | |
## Wen wählen, wenn nicht grün? | |
Warum aber ruft Fridays for Future nicht dazu auf, eine bestimmte Partei zu | |
wählen? „Unser Anspruch ist, dass alle demokratischen Parteien Klimaschutz | |
umsetzen“, verdeutlicht Linda Kastrup. „Es darf nicht an der Güte von einem | |
zukünftigen Bundeskanzler liegen, ob die Welt untergeht oder nicht.“ | |
Am Tisch ihrer Duisburger Ortsgruppe sehen sie das ähnlich. Einer arbeitet | |
für die Grünen, will aber nicht mit Namen zitiert werden. „Man muss in | |
einer Partei nicht alles toll finden und kann immer Kompromisse eingehen“, | |
sagt er. „Außer es geht um die Lebensgrundlagen der Menschheit.“ Bewegung | |
und Partei hätten unterschiedliche Rollen, damit sich etwas ändere, müsse | |
es auch von innen angestoßen werden. | |
Die Enttäuschung über die Grünen ist offensichtlich. 2021, bei der letzten | |
Bundestagswahl, gaben viele Aktivist*innen der Partei ihre Stimme – in | |
der Hoffnung, dass sie als Regierungspartei Fortschritte beim Klimaschutz | |
erzwingen würde. Von der Bilanz der gescheiterten Ampelregierung ist nun | |
nicht nur Kastrup ernüchtert. Das [7][Dorf Lützerath im rheinischen | |
Braunkohlerevier]? Abgebaggert, trotz der Grünen in der | |
nordrhein-westfälischen Landesregierung. „Das hat das Vertrauen der | |
Klimabewegung gerade hier in NRW stark erschüttert“, sagt Kastrup. | |
## Auf dem Tiefpunkt | |
Nach der Räumung der Proteste sei das Verhältnis zwischen Klimabewegung und | |
Grünen auf einem Tiefpunkt angekommen, rief auch Fridays-Frontfrau und | |
Grünen-Mitglied Luisa Neubauer den Delegierten beim Parteitag im November | |
2024 ins Gewissen. Sie sagte das in ihrer Abschiedsrede für Ricarda Lang, | |
die Grünen-Parteichefin während der Ampelkoalition war – und mit der sie | |
gut befreundet ist. | |
Erst mit der Debatte um Gasbohrungen vor der ostfriesischen Insel Borkum | |
schien eine „lange vermisste Augenhöhe“ wieder greifbar, so Neubauer. „D… | |
Bewegung wurde nicht als Dienstleister für die Verteidigung unliebsamer | |
Gesetzesvorhaben verstanden, sondern als notwendiges Korrektiv.“ | |
Ricarda Lang, die Ende September 2024 ihren Rücktritt von der | |
Grünen-Parteispitze verkündete, blickt im Gespräch mit der taz | |
selbstkritisch zurück: „Wir haben geglaubt, dass alle im Grunde dasselbe | |
wollen“, sagt sie, „nämlich den Wohlstand Deutschlands, der auf fossilen | |
Grundlagen beruht, auf klimaneutrale Beine zu stellen. Aber es gibt auch | |
Gruppen, die massiv von den fossilen Strukturen profitieren und dagegen | |
kämpfen. Darauf haben wir uns nicht schnell genug eingestellt.“ | |
Von der Bewegung müsse man sich den Vorwurf gefallen lassen, den sozialen | |
Ausgleich nicht an den Anfang der Auseinandersetzung gestellt zu haben. | |
„Wir haben zu oft zugelassen, dass Klimaschutz als Elitenprojekt | |
wahrgenommen wird“, bedauert sie. Damit habe man es den Gegner*innen | |
leichtgemacht, Klimaschutz als eine Gefahr für Menschen mit kleinem | |
Geldbeutel darzustellen. | |
Und heute? Fridays for Future sieht im Wahlprogramm der Grünen „richtige | |
Ansätze“, kritisiert aber den fehlenden Gasausstieg – und dass | |
Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidat Robert Habeck den Kohleausstieg bis | |
2030 infrage gestellt hat. | |
Lisa Badum ist die klimapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im | |
Bundestag und sie findet, dass Fridays for Future ihre Partei zu Recht | |
antreibe. „Wir als Partei und die ganze Gesellschaft brauchen | |
radikal-realistische Forderungen, um das Nötige gegen die Klimakrise zu | |
tun. Gerade wenn sie manchmal unbequem sind“, sagt Badum. | |
Mit der Ampelregierung habe man beim Ausbau der Erneuerbaren viel erreicht | |
und wolle jetzt noch weitergehen. „Gleichzeitig brauchen wir breite | |
gesellschaftliche Bündnisse für eine sozial gerechte Klimapolitik, um uns | |
gemeinsam gegen die Angriffe der fossilen Lobby zu wehren.“ Bei der Wahl am | |
23. Februar, mit einer möglichen CDU im Kanzleramt, drohe ein Rückschritt | |
hinter das Erreichte, das dürfe nicht zugelassen werden. | |
## Missmutig im Matsch | |
In Hannover stapft Sanja Wellmann missmutig durch den Matsch. Sie darf zum | |
ersten Mal bei einer Bundestagswahl wählen, denkt darüber nach, strategisch | |
abzustimmen, solange sie halbwegs dahinterstehen könne. Dann hält sie inne, | |
blickt über die zerstörte Wiese, die bald Straße sein wird. „Wir müssen | |
einfach überall präsenter werden, auf Plakaten, in Social Media, auf | |
Demos“, meint sie. Ihre Ortsgruppe habe überlegt, ob es sinnvoll sei, | |
wieder eine Demonstration zu organisieren. Letztendlich habe man sich auch | |
deshalb dafür entschieden, weil man den Menschen das Gefühl geben wolle, | |
nicht allein zu sein. | |
„Unsere Aufgabe ist es, dass im aktuellen politischen Kontext nicht | |
vergessen wird, dass wir eine existenzielle Klimakrise haben, die alle | |
Probleme verschärft“, beschwört sie. „Damit sind wir gestartet und groß | |
geworden. Und damit werden wir auch weitermachen. Auch wenn jetzt andere | |
politische Probleme dazukommen, außer uns macht es ja niemand.“ | |
16 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://www.wzb.eu/de/personen/daniel-saldivia-gonzatti | |
[2] /Klimakrise-als-politisches-Nischenthema/!6058488 | |
[3] /Fridays-for-Future/!6057359 | |
[4] https://klimaentscheid-duisburg.de/ | |
[5] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2024/dezem… | |
[6] /Teurer-Polizeieinsatz-in-Hannover/!6031746 | |
[7] /Zukunft-des-rheinischen-Kohlereviers/!6034810 | |
## AUTOREN | |
Maximilian Arnhold | |
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