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# taz.de -- Zukunft des rheinischen Kohlereviers: Zerstörung mit unbekannten E…
> Die Landschaft im rheinischen Braunkohlerevier ist zerfräst. Die Folgen
> der gigantischen Eingriffe in die Natur sind nicht absehbar.
Bild: Die Kirche in Kerpen-Manheim bleibt. Sie wird vielleicht ein Besucherzent…
Buir taz | Die beiden Anrainergemeinden [1][des Hambacher Waldes] stehen
vor einer sehr unterschiedlichen Zukunft. Morschenich im Westen, zehn Jahre
lang ein Geisterdorf von 140 verlassenen und vielfach abgewrackten Häusern,
hat sich jetzt zum „Ort der Zukunft“ erklärt und offiziell in Bürgewald
umgetauft. Im Juli hat die Gemeinde das gesamte Areal von RWE zurückgekauft
für 36,8 Millionen Euro. Ein einmaliger Vorgang.
Jetzt soll klimaschützend, flächensparend und ressourcenschonend
wiederaufgebaut und neu gebaut werden. Wer zurückziehen will in die alte
Heimat – bitte schön. Sogar eine Strukturwandelmanagerin hat der Ort
neuerdings. 90 Millionen Wiederaufbauhilfe stellen Land und Bund zur
Verfügung.
Anders in Manheim fünf Kilometer östlich. Hier geht die Vernichtung weiter.
Der lukrative Kiesabbau rundherum brummt. Auch dafür wird gerodet, alle
Infrastruktur zerstört. Auch das heutige Manheim soll einmal geflutet
werden, ganze drei Höfe sind noch von renitenten Eigentümern bewohnt, der
Rest ist traurige Brache.
Nur die Kirche steht noch. Sie soll bleiben, vielleicht einmal
Besucherzentrum werden, die Geschichte des Reviers dokumentieren, mit guter
Übersicht von ganz oben. Die Krefelder Journalistin Bärbel Schnell hat dazu
eine [2][schön aufbereitete Dokumentation des Widerstands] erstellt.
## RWE spielt auf Zeit
Nur, wenn Manheim untergeht, ist ein Biotopverbund zum Hambacher Forst
unmöglich, mit „ökologischen Trittsteinen“, wie Antje Grothus das nennt.
Die grüne Landtagsabgeordnete hatte im September zu einem Austausch von
Fachleuten, Anwohnenden und Zivilgesellschaft in ihren Heimatort Buir
gebeten, Titel „tacheles.träume.tagebau. Was passiert an Hambach?“ Das
evangelische Gemeindehaus war brechend voll.
Eine zerfräste Welt braucht „ökologische Revitalisierung“ durch
Waldverbünde. Das war Konsens. Nur wie, wenn Kies wichtiger ist? Der
Braunkohleriese RWE spielt auf Zeit, schafft Tatsachen, auch da herrschte
Einigkeit. Irgendwann, bald, sei es halt zu spät. Michael Zobel, der
umtriebige Aachener Naturschützer und seit zehn Jahren Hambi-Waldführer,
spottete: „Schwimmende Wälder sind mir nicht bekannt.“
Dirk Jansen vom BUND freute sich über „den gigantischen Erfolg“, dass nach
dem Rodungsstopp 2018 „1,1 Milliarden Tonnen Kohle im Boden bleiben“. Nun
aber brauche es endlich eine „ökologische Revitalisierung“ des
Hambi-Terrains, am besten sei das durch „ein Wildnis-Entwicklungsgebiet zu
erreichen“. Dafür aber müsse RWE den Wald endlich abtreten, wozu sich der
Energiekonzern beim Kohledeal vom Dezember 2022 auch bereit erklärt hatte.
Staatssekretär Viktor Haase (Grüne) aus dem NRW-Umweltministerium sprach
von gemeinsamen Gesprächen mit „komplizierten Prozessen zur Umsetzung“.
## Probleme bei starkem Wind
Die Landschaftszerstörung hat bislang unbekannte Effekte. Über Jahrzehnte
hat RWE ein Terrain von der Größe Berlins umgegraben, bis 411 Meter Tiefe
ausgekohlt und die Kulturlandschaft massiv zerstört. Zwei Autobahnen
entstanden neu. Eine davon verläuft seit sechs Jahren hoch oben auf einem
riesigen Wall mittig durch den Tagebau Garzweiler, 15 Kilometer nördlich
von Hambach. Immer wieder gibt es massive Probleme bei starkem Wind, weil
der auf der schrägen Böschung heftig beschleunigt. Hatte niemand recht
bedacht.
Mehrfach kippten schon 30-Tonner um, mehrfach wurde die Strecke stundenlang
gesperrt, es gab Unfälle und einen toten 18-Jährigen. Helfen
Windschutzwände? Die öffentliche Hand winkte ab, viel zu teuer über zehn
Kilometer Länge. Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) riet zu warnenden
Windsäcken und – sieh an – temporären Tempolimits.
Vor Kurzem tauchte aus dem Nichts eine Studie auf, im Auftrag des 2017
gegründeten Zweckverbands Landfolge Garzweiler, ein „interkommunaler
Verbund“ der Anrainergemeinden. Er versteht sich als „Impulsgeber für den
Strukturwandel“.
Ja, heißt es im Gutachten, Windschutzwände, kombiniert mit weitläufigen
Solaranlagen, seien sogar rentabel. Eine Empfehlung gab es gleich dazu: RWE
als Betreiber. Passenderweise ist RWE im Zweckverband laut Satzung selbst
„beratendes Mitglied“. Motto: Erst alles kaputt machen, dann an der
Reparatur der Nachfolgewelt weiter saftig verdienen. „Schon heute ist der
größte Teil unseres Kerngeschäfts grüner Strom“, heißt es auf der
Firmen-Website.
## Riesige Seenlandschaft
Derzeit gräbt RWE immer weiter, 24 Stunden an sieben Tagen in der Woche,
bis mindestens 2030. Zur Kohlegewinnung? Nein, selbst unter [3][dem
ehemaligen Lützerath] wird keine Tonne des Klimagifts mehr gefördert. Es
geht einzig um Abraum zur Abflachung von rund hundert Kilometer Böschungen
der Riesengruben, bevor alles ab etwa 2070 oder vielleicht erst 2085 zur
riesigen Seenlandschaft werden soll. Anderweitiges Füllmaterial ist auch
willkommen, weshalb es in Garzweiler für Bodenaushub aus dem Umland extra
eine Abladestelle gibt.
Für Kriminelle offenbar ein verlockender Ort. Am 3. September durchsuchten
auf Initiative des Landeskriminalamts Düsseldorf 150 ErmittlerInnen Firmen
im Großraum Grevenbroich und Krefeld. 27 Firmen stehen im Fokus, sie sollen
tonnenweise kontaminierten Bodenaushub, falsch deklariert als harmloses
Zeug, im Tagebau Garzweiler entsorgt haben; „illegale Verklappung“ nennt
das eine LKA-Sprecherin, als sei man schon auf See. Vorwurf: Verdacht auf
Bodenverunreinigung, banden- und gewerbsmäßiger Betrug, Urkundenfälschung.
Um welche Giftstoffe es sich handelt, kann der Sprecher der zuständigen
Staatsanwaltschaft Dortmund, Staatsanwalt Tobias Wendt, noch nicht sagen:
„Die Untersuchungen dauern an.“ Er bestätigt, dass aus anfangs sechs
Tatverdächtigen sieben wurden. Drei waren vorläufig festgenommen worden,
zwei wurden gegen Kaution später freigelassen, einer sitzt weiter ein.
Inwieweit die Rheinischen Baustoffwerke (RBS), die Betreiber der
Abraumkippe, an den Deals beteiligt sind, „dazu laufen noch Ermittlungen“.
RBS ist eine hundertprozentige RWE-Tochter, die schon 2021 bei der
Flutkatastrophe an Erft und Ahr schlimme Schlagzeilen machte. Ihr gehörte
die Kiesgrube am Ortsrand von Erftstadt-Blessem, die vollgelaufen
spektakulär kollabierte und Häuser in den Abgrund riss. Die
Staatsanwaltschaft Köln ermittelt bis heute.
## Hohe Kosten
Ab 2030 sollen die Tagebaugruben Hambach und Garzweiler gezielt geflutet
werden, mit Rheinwasser über riesige Röhren, Baubeginn 2025. Zauberhafte
Modellskizzen mit lauschigen Seen und chicen Yachthäfen lassen schon vom
Haus am See träumen und einem Tourismusparadies. Nun gibt es das
Wasserentnahmeentgeltgesetz NRW. Demnach kostet auch Rheinwasser
üblicherweise 5 Cent pro Kubikmeter. Klingt wenig, summiert sich aber bei
340 Millionen Kubikmetern pro Jahr auf 17 Millionen, bei einer mindestens
40 bis 50 Jahre währenden Flutung auf Minimum 700 Millionen Euro insgesamt,
bei großer Verdunstung durch die Erderhitzung made by RWE auch mehr.
Aber RWE will nicht zahlen. Ein Sprecher sagte dem Kölner Stadt-Anzeiger:
„Wir entnehmen das Wasser doch nicht, um es zu verbrauchen. Wir überführen
es lediglich aus ökologischen Gründen.“ Der grüne Umweltminister Oliver
Krischer ist der Auffassung: Die Zahlungspflicht gelte „selbstverständlich
auch zur Befüllung von Rest-Seen“. Der Landtag muss demnächst entscheiden.
Die Schaffung der größten Kunstseen Europas ist ein Eingriff in die Natur,
wie es ihn bislang in dieser Dimension noch nicht gab, mit vielen
Unbekannten. Steigt das Grundwasser? Wie sind Zu- und Abflüsse steuerbar,
kann bei wachsendem Wasserdruck der wachsenden Seen dauerhaft
Standfestigkeit des Umlandes erreicht werden, auch naher Gebäude?
Und wie kann Wasserqualität gesichert werden, welcher Müll auch immer
abgeladen wurde. Greenpeace hat genau an der RWE-Entnahmestelle Dormagen
eine Verdoppelung der Belastung mit den [4][Ewigkeitschemikalien PFAS] und
anderen Giften gegenüber 2020 festgestellt. Der BUND spricht schon von
Ewigkeitskosten in Milliardenhöhe. Michael Zobel sagt: „Der Giftcocktail
für die Seen ist angerichtet. Und niemand weiß, was da schon vorher von RWE
oder anderen über Jahrzehnte abgeladen worden ist.“
## Schulterzucken allenthalben
Zurück in Buir: Wann endlich wird der Hambacher Wald denn in öffentliches
Eigentum überführt, vielleicht in eine Stiftung? Staatssekretär Haase
berichtet von den gemeinsamen Diskussionsrunden, ohne Ergebnis bislang,
wenig transparent zudem. Das Publikum ist ungeduldig. Wann bitte? Haase
muss sich den Spottreim anhören: „Ist dir etwas schnuppe, bilde eine
Arbeitsgruppe.“ Er lächelt. Er hoffe auf erste Ergebnisse im Frühjahr.
Und was will RWE als Eigentümer für die 650 Hektar unfreiwillig nicht
vernichteten Hambi-Restwald haben? Ähh … Schulterzucken allenthalben.
Darauf hat niemand eine Antwort, auch der Staatssekretär nicht. „Darüber
haben wir noch nicht gesprochen.“ Einer sagt, als Aktiengesellschaft den
Anlegern verpflichtet, werde der Konzern das sicher nicht verschenken.
Verkaufspreis zehn Morschenichs, oder mehr? Es sieht so aus, als gewinne
RWE im Braunkohle-Business immer.
7 Oct 2024
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Hambacher-Forst/!t5013292
[2] https://verheizte-heimat.de/zeitleiste/
[3] /Klimaprotest/!5982855
[4] /Anhoerung-zum-PFAS-Verbot/!6006693
## AUTOREN
Bernd Müllender
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