# taz.de -- Protestbewegungen: Wie es weitergeht | |
> Wie können Protestbewegungen durchhalten? Darauf wollte unsere Autorin | |
> Antworten finden – und merkte, dass schon die Frage Teil eines Irrtums | |
> ist. | |
Bild: Über 100 Jahre Protest für Frauenrechte, Klimagerechtigkeit und gegen R… | |
Vor kurzem war ich bei einem Prozess gegen ein Mitglied der Letzten | |
Generation. Ein schmaler junger Mann, Mitte 20, Solarbauer. Er war | |
angeklagt, weil er Farbe an die Hamburger Uni gesprüht hatte und in der | |
ersten Reihe im Gericht saß eine Schulklasse. Im letzten Prozess gegen | |
Mitglieder der Letzten Generation, bei dem ich war, hatten die beiden | |
Angeklagten Reden gehalten, in denen sie mit aller Leidenschaft erklärt | |
hatten, warum der Kampf gegen die Klimakatastrophe so dringlich sei. | |
Nun saß da also eine Schulklasse, was für ein Publikum, und der Angeklagte | |
sagte – nichts. Nichts, außer, dass er bei der Letzten Generation aufgehört | |
hat und mit anderen Aussteiger:innen jetzt einen Lebenshof für | |
Schlachttiere plant. | |
Hinterher, auf dem Flur vor dem Gerichtssaal, sagte der Solarbauer noch, | |
dass er alles versucht hat: gespendet, demonstriert, blockiert. Vergeblich, | |
sagte er, das 1,5-Grad-Ziel sei verfehlt. „Ich habe keine Hoffnung mehr“, | |
meinte er, der nicht wie ein Typ für Pathos wirkte. Nur für einen kurzen | |
Moment belebte er sich, als es um die Leute ging, mit denen er sich | |
zusammengeschlossen hatte und um das Schwein, das fast der erste Bewohner | |
des Gnadenhofs geworden wäre, das dann aber doch woanders unterkommen | |
musste. | |
Der Solarbauer auf dem Flur war wie ein Licht, das man ausgeknipst hat, und | |
der Ausgangspunkt für meine Frage: Wie halten Protestbewegungen | |
Durststrecken aus? Wie [1][motivieren sich Aktivist:innen, wenn sie beim | |
Aufstehen in den Nachrichten hören, dass Klima kein Thema im Wahlkampf ist] | |
und abends, bevor sie ins Bett gehen, noch die Bilder der jüngsten | |
Waldbrände sehen? Es sollte eine Weile dauern, bis ich verstand, dass diese | |
Fragen das eigentliche Problem sind. | |
## Wer durchhalten will, muss sich vorbereiten | |
Aktivist:innen haben vorhergesehen, dass es mühsame Phasen geben wird. | |
Bei der Letzten Generation etwa werfen diese bereits auf der Internetseite | |
ihren Schatten voraus, unter Werten, Punkt sechs: „Wir kommunizieren unsere | |
eigenen Grenzen, zum Beispiel wenn wir unsere Aufgaben nicht mehr erfüllen | |
können.“ Sie versprechen sich selbst keinen Rosengarten vom Protest. | |
Es gibt die verschiedensten Angebote für Leute, die sich überfordert oder | |
ausgebrannt fühlen, sei es bei den Psychologists for Future oder beim | |
Verein Rückendeckung für eine aktive Zivilgesellschaft. Ein möglicher | |
Beratungsgrund dort sind „Gefühle der Hoffnungslosigkeit“. Allerdings: Was | |
in der Theorie abgedeckt ist, kann in der Praxis trotzdem fehlen. | |
Ein Telefonat mit Manon Gerhardt, Sprecherin von Extinction Rebellion in | |
Berlin. Gerhardt, hauptberuflich Bratschistin bei der Deutschen Oper | |
Berlin, arbeitet seit drei Jahren im Presseteam, sie ist bei der | |
Aktionsplanung dabei und leitet außerdem Kreativ-Workshops, um neue | |
Aktionsideen zu entwickeln. Wenn man eine E-Mail an die Presseadresse | |
schickt, passiert erst einmal nichts. Gerhardt ist mittlerweile die Einzige | |
im Presseteam. „Es kann schon sein, dass ich den Leuten hinterher trauere“, | |
sagt Manon Gerhardt. „Die Fluktuation ist schwierig.“ Ist sie auch zornig, | |
enttäuscht? „Nein, es triggert eher die Frage: Finde ich es noch gut hier?“ | |
Vor drei Jahren stellte sich niemand diese Frage; die Treffen platzten aus | |
allen Nähten. Schon damals, von Beginn an, versuchten die | |
Aktivist:innen, dem Ganzen Stetigkeit zu geben. Sie trafen sich in | |
Präsenz, schenkten Tee aus, gingen Bier trinken, damit echte Bindungen | |
entstehen können. Sie haben alles richtig gemacht. | |
Die Leute von Extinction Rebellion schrieben schon in die DNA der Bewegung, | |
dass sie einen anderen, sorgenden Umgang nicht nur in Sachen Klima, sondern | |
auch miteinander haben wollen. Sie schufen Strukturen, die Erschöpfte | |
auffangen sollen. Nur, sagt Gerhardt, dass derzeit schlicht nicht mehr | |
genügend Leute da sind, um die Struktur zu füllen. | |
Zu der Erschöpfung kommt das Gefühl des Scheiterns. „Wir haben literally | |
nichts erreicht“, sagt Gerhardt. „Keine unserer Forderungen ist erfüllt und | |
seit dem Ukrainekrieg redet niemand mehr vom Klima.“ Ich höre ihr zu und | |
denke, wie klingt Erschöpfung, wenn nicht so? Aber sie klingt noch nach | |
etwas anderem. Nach Stufe fünf von Bill Moyers Movement Action Plan, für | |
Eingeweihte kurz MAP. | |
## Das Gefühl von Machtlosigkeit ist unvermeidlich | |
Bill Moyer war ein US-Bürgerrechtsaktivist, der eigentlich überall dabei | |
war: beim Kampf gegen rassistische Wohnungspolitik, bei der Poor People’s | |
Campaign, beim American Indian Movement und beim Vietnamprotest. Im Jahr | |
1978 sollte Moyer auf einer Konferenz von Atomkraftgegner:innen | |
sprechen, er erwartete, dass sie voller Stolz auf ihren Erfolg wären. | |
Schließlich hatten sie es geschafft, einen nationalen Widerstand gegen die | |
mächtige Atomindustrie zu erschaffen. | |
Stattdessen sprachen die Aktivist:innen am Vorabend seines Vortrags | |
darüber, dass sie nichts erreicht hätten sowie über ihre Erschöpfung und | |
Zweifel, genügend Leute mobilisieren zu können. Moyer konnte das nicht | |
fassen, und er blieb die Nacht über wach, um seinen [2][Movement Action | |
Plan] zu schreiben. Er ist Aufmunterung, Beruhigung und Streckenplan in | |
einem. | |
Dabei passt er auf ein DIN-A4-Blatt und sieht im ersten Moment aus wie eine | |
Patientenkarte mit Fieberkurve. Moyer teilt die Entwicklung sozialer | |
Bewegungen in acht Stufen ein, angefangen bei „Normales Leben“ bis zur | |
letzten Stufe „Den Kampf fortsetzen“. Stufe sieben ist „Erfolg“, aber n… | |
interessanter ist Stufe fünf: „Die Krise der Machtlosigkeit erkennen“. Ein | |
bis zwei Jahre nach dem hoffnungsvollen Beginn verlieren laut Moyer die | |
Aktivist:innen den Glauben daran, jemals Erfolg zu haben. „Inevitably“, | |
schreibt er, also unvermeidlich. | |
Seine Beschreibung klingt so, als habe er Manon Gerhardt zugehört: „Sie | |
nehmen an, dass die Machthaber zu stark sind und ihre Bewegung gescheitert | |
ist“, schreibt er. Dabei sei es ironischerweise genau der Moment, in der | |
Phase sechs schon begonnen hat, die mehrheitliche öffentliche Unterstützung | |
für die Ziele der Aktivist:innen. | |
## Die Medien sorgen sich – zu Recht? | |
In den Zeitungen liest man gelegentlich Texte, die mitleidig fragen, ob | |
[3][Fridays for Future wieder in Schwung kommen]. Die Autor:innen | |
sprechen mit Aktivistinnen, die 2019 dabei waren und fragen, wie es sein | |
konnte, dass damals 100.000 zur Demo kamen und heute nicht mal die 18.000, | |
mit denen die Veranstalter:innen gerechnet haben. Im September 2013 | |
ist im US-Magazin The Nation ein Text über die [4][New Yorker | |
Occupy-Bewegung] erschienen, der auch so ein Abgesang war. | |
Die Occupy-Bewegung war die Protestbewegung gegen die Macht der Banken und | |
dem Claim, die 99 Prozent der Bevölkerung zu vertreten, die nicht | |
superreich sind. „[5][Schluss machen mit Occupy]“, heißt der Titel und in | |
der Unterzeile fragt der Autor, Nathan Schneider: „War es wirklich | |
umsonst?“ | |
Er trifft eine junge Frau, die einmal Aushängeschild der Bewegung war und | |
nun eine Firma gegründet hat, in der Jugendliche aus den armen Teilen New | |
Yorks Kompost ausliefern. Gleichzeitig macht sie einen Kurs, um Gebäude auf | |
ihre Energieeffizienz prüfen zu können und auch noch einen Baulehrgang. | |
Schneider ist offenkundig beeindruckt von ihr, er beschreibt ihre Tatkraft, | |
die umso stärker strahlt, wenn Schneider die zermürbenden Sitzungen der | |
bröckelnden Occupy-Bewegung dagegen schneidet. | |
Der Bewegung sei es nicht gelungen, schreibt er, die Gräben zwischen ihren | |
Mitgliedern zu schließen. Auch Nathan Schneider erwähnt Bill Moyers | |
Stufenmodell, er nennt es mechanistisch und die Aussicht auf Stufe fünf | |
eine unheimliche Prophezeiung. | |
Genau betrachtet hat die MAP mehrere Stellen, die mehr Fragen aufwerfen als | |
das übersichtliche Diagramm vermuten lässt. Was verrät den | |
Aktivist:innen auf Stufe fünf, ob ihre Zweifel Begleiterscheinung | |
ihres Erfolgs sind oder vielmehr Symptom ihres Scheiterns? Und zwei Stufen | |
weiter stellt sich die Frage: Wann ist eine Bewegung erfolgreich? War | |
Occupy erfolglos, weil die Finanzmärkte die alten geblieben sind oder ist | |
die gegenwärtige Forderung, dass die Reichen für ihren Anteil an der | |
Klimakrise aufkommen, eine Idee, die sie mit auf den Weg gebracht haben? | |
## Eine Strategie: den Staffelstab weiterreichen | |
Ich rufe die feministische Filmemacherin Helke Sander an. Sander ist | |
bekannt geworden für eine Rede, in der sie 1968 auf der | |
Delegiertenkonferenz des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes | |
forderte, Kindererziehung und Hausarbeit fair zu teilen. Die Delegierten | |
fanden es überflüssig, überhaupt darüber zu diskutieren, woraufhin eine | |
andere Frau Tomaten auf den Vorstand warf. Der Aufruhr sorgte dafür, dass | |
sich noch am selben Abend eigenständige Frauengruppen gründeten. Helke | |
Sander, Ikone der neuen Frauenbewegung, ist inzwischen 87 Jahre alt und, um | |
es vorwegzunehmen, das Ergiebige an diesem Gespräch ist, dass sie mit | |
einigen meiner Fragen nichts, rein gar nichts anfangen kann. | |
„Wie sind Sie mit Durststrecken umgegangen?“, frage ich. „Wir hatten nie | |
Durststrecken“, sagt Helke Sander. „Es ging immer weiter voran.“ Schiff | |
versenkt, denke ich. Aus diesem Telefonat werde ich keine | |
Durchhaltestrategien mitnehmen. Nach Moyers Modell frage ich sie erst gar | |
nicht. Sie fände es mit Sicherheit abwegig, etwas so Vielfältiges wie den | |
Aufbruch der Frauen in ein Kurvendiagramm einzutragen. „Wir wussten damals | |
nicht, dass es früher schon Frauenbewegungen gegeben hatte“, sagt Sander. | |
„Wir kannten nur die Suffragetten als hysterische Frauen, die Männer mit | |
Regenschirmen verprügelten.“ | |
Sie beschreibt, wie sie diese neue Welt erforschte, die Frauenbewegung der | |
1848er, die Mädchenbildung forderte und von der heute niemand mehr spricht. | |
Von der Französin Olympe de Gouges, die Frauenrechte als Teil der | |
universellen Menschenrechte forderte und 1793 auf der Guillotine starb. | |
Über die Entdeckung dieser Vorgängerinnen habe sich die neue Frauenbewegung | |
vernetzt. Doch eine Strategie, denke ich: sich in eine Tradition stellen. | |
Einen Staffelstab weitertragen, auch wenn zwischen den Übergaben eine Menge | |
Zeit liegt. | |
## Durststrecken sind nur Scheinriesen | |
Helke Sander erzählt davon, wie sie mit den Kindergärtnerinnen zu einem | |
lang vorbereiteten Streik aufrief, der Berlin für einen Tag lahmlegen | |
sollte, weil die Eltern, aber besonders die Mütter der Kinder, dann auch zu | |
Hause bleiben wollten. Der Plan hatte eine breite Unterstützung und wurde | |
durch eine Gewerkschaft zuerst scheinbar unterstützt, dann aber sabotiert. | |
Wie sie mit dem Rückschlag umgegangen sind? „Da hat man weitergemacht“, | |
sagt Sander lapidar. Zumal aus dem halb versackten Streik immerhin das | |
Bewusstsein entstanden sei, dass es zu wenig Kindergärten in Berlin gab. | |
Ob sie erschöpft waren? „Das war keine Kategorie“, antwortet Sander, noch | |
lapidarer. Das klingt freudlos, aber das war es nicht, dagegen spricht | |
bereits der Tomatenwurf. Spaß, Spektakel oder schlicht etwas gerne tun, | |
diese Grundsätze zogen sich bereits durch die Aktionen der Suffragetten, | |
deren Karikatur sich bis heute scheußlich gut hält. Das Prinzip lebt weiter | |
im [6][Gorleben-Treck] – dem Protestmarsch gegen Kernenergie 1979 – und in | |
der [7][Freien Republik Wendland] mit ihrem Passwesen, in den giftig-bunten | |
Brunnen von Extinction Rebellion und in den Picknicks von Parents for | |
Future auf den Straßen der Innenstädte. | |
Helke Sander ist nicht die einzige, die mit meiner Frage nach den | |
Durststrecken nichts anfangen kann. Vermutlich hätte ich schon vorher zur | |
Kenntnis nehmen können, dass es für viele Aktivist:innen nicht die | |
Überschrift ist, unter der sie ihre Arbeit gerade sehen. Eine kurze Liste | |
der Durststreckenverweigerinnen: Annika Kruse von Fridays for Future. „2019 | |
gab es mehr Aufmerksamkeit, zu Coronazeiten sind einige Leute abgewandert. | |
Aber inzwischen kommen neue. Und wir erreichten immer weitere Kreise.“ | |
Oder ein Polizist, Mitglied bei Parents for Future: „Ich sehe da keine | |
Durststrecke. Wir hatten letztes Jahr Vernetzungstreffen mit 24 Gruppen, | |
die gibt es alle noch. Im Maschinenraum tut sich eine Menge.“ Und Lea Dohm, | |
Psychologin bei der [8][Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit]: „Das | |
Klimafeld ist hoch dynamisch. Viele sind jetzt sehr fokussiert auf die | |
Bundestagswahl, da gibt es ein großes Engagement.“ | |
Ist es möglich, dass der allgegenwärtige Diskurs von Multikrise, | |
Erschöpfung und Überforderung den Anspruch an die Präsenz der | |
Aktivist:innen immer höher schraubt? Oder anders formuliert: Je weniger | |
sich bewegt, desto mehr Superheld:innen-Qualitäten sollen die haben, die | |
überhaupt etwas tun. Weil sie für die Überforderten stellvertretend die | |
Welt retten sollen. Und wenn die Überforderten, denen die Kraft für die | |
Demo fehlt, die gelichteten Reihen beim Klimastreik sehen, fragen sie | |
ängstlich, ob den Aktivist:innen etwa die Luft ausgeht. Die Geräusche | |
im Maschinenraum hören sie nicht. | |
## Wenige oder viele? Egal, Hauptsache mit Hingabe | |
Ob nun die Abschaffung der Sklaverei, das Frauenwahlrecht oder das Ende der | |
Apartheid, augenscheinlich waren einige politische Bewegungen in der | |
Vergangenheit erfolgreich. Und mussten auf dem Weg zu diesem Erfolg mit | |
Rückschlägen umgehen. Gibt es dazu keine Forschung, frage ich mich. „Die | |
Protestforschung stürzt sich gerne auf die, die gerade laufen“, sagt Simon | |
Teune vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin. | |
Wenn wenige auf den Straßen laufen, wird Protest unsichtbar. Dabei findet | |
er statt, nur abseits des Scheinwerferlichts. „Es ist eine Lücke in der | |
Forschung“, sagte Ilse Lenz, die als Soziologin zur Frauenbewegung forscht. | |
„Die soziale Bewegungsforschung ist eine kleine Disziplin, aber die | |
Bedeutung der Frage wird allmählich klar.“ | |
Sie denkt eine Weile nach, dann fällt ihr doch eine größere Arbeit zum | |
Durchhalten ein: „Survival in the doldrums“, also „Überleben in der | |
Flaute“, und im Untertitel: Die amerikanische Frauenrechtsbewegung von 1945 | |
bis in die 1960er. Geschrieben haben sie die US-Soziologinnen Verta Taylor | |
und Leila Rupp, und die Fragen, mit denen sie sich am längsten befassen, | |
sind Gemeinschaft und Commitment. „Commitment ist entscheidend für das | |
Überleben jeglicher Gruppe, vor allem, wenn sie erfolglos dabei ist, die | |
gesetzten Ziele zu erreichen“, schreiben sie. | |
Sie zitieren aus einem Interview mit der Suffragette und Friedensaktivistin | |
Mabel Vernon, die damals als fast 90-Jährige auf ihr Netzwerk | |
zurückschaute: „Wir hatten sehr aktive, hingebungsvolle Leute. Es machte | |
keinerlei Unterschied, ob es wenige oder viele waren.“ | |
Das ist ein Gedanke, der später in der Protestforschung wieder auftauchen | |
wird. Sich auf Massendemonstrationen allein zu verlassen, schreibt die | |
US-Politikwissenschaftlerin Erica Chenoweth, sei die falsche Strategie. | |
Aber was, wenn die wenigen, die anders als die Demo-Eintagsfliegen immer | |
dabei sind, für einen Moment außer Tritt kommen? | |
Wolfgang Ehmke ist Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. Er hat | |
ein Buch geschrieben mit dem Titel „Das Wunder von Gorleben“, was | |
irreführend ist, denn er betrachtet den Ausstieg aus der Atomkraft | |
keineswegs als Wunder. Sondern als harte Arbeit. Hört man ihm zu, dann ist | |
es schwierig, nicht zu glauben, dass er nebenbei auch auf Bill Moyers | |
Stufenmodell schaut. | |
Für Ehmke war die Zeit nach den großen Brokdorf-Demos der Tiefpunkt – denn | |
das AKW wurde dennoch gebaut. „Wir waren ratlos, dass 100.000 Menschen | |
nicht ausreichten, um diesen Projekten Einhalt zu gebieten.“ Und in den | |
Bewegungszeitschriften wurde lamentiert, dass der Widerstand bröckelte. | |
Manche der Aktivist:innen seien zu frustriert gewesen, um weiter zu | |
planen, zu blockieren, zu demonstrieren. Tatsächlich sei damals aber die | |
Wende im öffentlichen Bewusstsein schon erreicht gewesen. Und in die Lücken | |
traten plötzlich neue Leute, etwa aus Kirchenkreisen. | |
## Die Frage ist, was der Rest macht | |
Simon Teune, der Protestforscher an der FU Berlin, sagt, dass das | |
eigentlich Erstaunliche nicht das Abbröckeln der Massendemos sei. Sondern, | |
dass es bei der Klimabewegung einen festen Kern gebe, der immer noch dabei | |
ist. Fragt man die erschöpfte Manon Gerhardt, ob sie überlegt, | |
auszusteigen, lacht sie nur. „Erst, wenn ich tot bin.“ Statt den Klimarave | |
mit 2.000 Leuten zu organisieren, macht sie jetzt Kampagnen mit 25, gerne | |
Straßentheater, weil es Frust kanalisiert. | |
Gerhardts ehemaliger Kollege aus dem Presseteam hat einen Bus-Führerschein | |
gemacht, um den Solibus lenken zu können. Helke Sander denkt darüber nach, | |
wie Kindergrundsicherung ohne bürokratische Hürden aussehen kann. Der | |
Solarbauer baut einen Stall für das nächste Schwein, das vorm Schlachten | |
gerettet werden kann. Keiner von ihnen braucht Hinweise zum Durchhalten, | |
sie tun es einfach. | |
Am Ende seines Textes über den Fortbestand von Occupy schreibt Nathan | |
Schneider, dass die Frage nicht sei, ob die Occupy-Leute dabei blieben oder | |
nicht. Die Frage sei, was der Rest tue. Wir müssen uns keine Sorgen darum | |
machen, ob die Klimaaktivist:innen die richtigen Durchhaltestrategien | |
kennen. Die Frage ist, ob wir uns von den Zuschauerbänken erheben. | |
2 Feb 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Fridays-for-Future/!6058812 | |
[2] https://www.historyisaweapon.com/defcon1/moyermap.html | |
[3] /Situation-der-Klimabewegung/!5993085 | |
[4] /Schwerpunkt-Occupy-Bewegung/!t5050482 | |
[5] https://www.thenation.com/article/archive/breaking-occupy/ | |
[6] /Endlagerprojekt-Gorleben-und-die-taz/!5720325 | |
[7] /40-Jahre-Republik-Freies-Wendland/!5679541 | |
[8] /Thema-Gesundheit-auf-UN-Klimakonfernz/!5978101 | |
## AUTOREN | |
Friederike Gräff | |
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