# taz.de -- Theateradaption von „Und alle so still“: Ein Experiment mit dem… | |
> Das Schauspiel Hannover zeigt Mareike Fallwickls Roman als | |
> Empowerment-Stück über Ausbeutung. Glorifiziert wird die Verweigerung der | |
> Figuren nicht. | |
Bild: Sie leiden reglos am System – die Theateradaption des Romans „Und all… | |
Die Zuschauer:innen sind eingestimmt auf Empowerment. Und so brandet | |
sofort Auftrittsapplaus auf, wenn die Anleiter:innen eines dafür | |
gestalteten theatralen Seminars ins Scheinwerferlicht treten. Der Abend | |
am Schauspiel Hannover ist mit „Und alle so still“ betitelt und will über | |
die pointierte Nacherzählung von [1][Mareike Fallwickls gleichnamigem | |
Roman] auf einen revoluzzernden Solidaritätskurs einschwören, aber das eben | |
über ein Experiment mit der Stille. | |
Weswegen das achtköpfige Ensemble erst mal vor zwei Bühnenbildmauern | |
schweigt, gegen die es später anzurennen gilt, sodass sie im Schlussbild | |
einstürzen und den Blick öffnen. Sie könnten, diese Mauern, aber auch | |
Einfassungen von Schwimmbecken sein. | |
Denn Elin (Helene Krüger) erzählt vom morgendlichen Bad im Pool des | |
Wellnesshotels ihrer Mutter, bei der die 20-Jährige immer noch lebt. | |
[2][Elin ist Influencerin], lässt sich dafür bezahlen, Produkte zu loben, | |
damit ihre 1,2 Millionen Follower:innen sie kaufen. Für dieses zynische | |
Geschäftsmodell muss sie sich den Verhaltenswünschen und dem Marketing | |
ihrer Geld- und Klickgeber anpassen und Hasskommentare und sexistische | |
Beleidigungen ertragen, die auf der Bühne eingesprochen werden. | |
Zudem leidet Elin darunter, nie Kontakt zu Vater und Großeltern gehabt zu | |
haben. Denn ihre Singlemutter verachtet familiäre Anbindung, hält das | |
Sich-Durchschlagen für Feminismus. Das alles stresst. Zur Entspannung gönnt | |
sich Elin täglich einen Fick mit irgendwem und die Umarmungen des Wassers; | |
lässt sich „schwerefrei, normfrei, schmerzfrei“ treiben. Krüger gestaltet | |
ihre Rolle halb spielend, halb erzählend, was den Duktus für Jorinde Dröses | |
Inszenierung vorgibt. | |
## Leiden am Patriarchat | |
Zweite Hauptfigur ist Pflegefachkraft Ruth (Johanna Bantzer). Damit sie bei | |
ihren Ausführungen zumindest ein wenig ins Interagieren kommt, legt sich | |
ein Schauspieler als Patient auf einen Tisch und lässt Ruth Fürsorgearbeit | |
vollziehen, während sie von der Überschreitung ihrer Belastungsgrenze und | |
schlechter Bezahlung berichtet. Die Autorin versteht Elins und Ruths | |
Probleme strukturell: [3][als Folge kapitalistischer Ausbeutung.] | |
Bekräftigt wird diese Behauptung durch die dritte Hauptfigur, Nuri (Fabian | |
Dott). Zu Hause sieht er „farbloses Schweigen, Schweigen der Erschöpfung. | |
Schweigen der Gleichgültigkeit.“ Er kommt aus prekären Verhältnissen und | |
absolviert täglich drei Jobs. | |
„Das Patriarchat ist ein Versprechen an die Männer, das nie eingelöst | |
wird“, erklärt dieser Nuri, „es richtet uns Männer zugrunde, und wir merk… | |
es nicht. Wir lassen zu, dass wir von allen Emotionen abgetrennt werden, | |
außer von der Wut, wir lassen zu, dass wir benutzt werden, für die | |
Produktion, für Kriege, für einen ewigen Kreislauf aus Gewalt und noch mehr | |
Gewalt. Und wir kapieren nicht, dass wir dabei draufgehen.“ | |
So plakativ anklagend geht hier meist die Rede, die Figuren zu | |
Thesenträger:innen macht, für die es immer wieder Gesinnungsapplaus | |
gibt. Die Männer haben an diesem Abend keine Chance, sind bis auf Nuri | |
allesamt Lachnummern. Aber es geht nicht um den Kampf Frauen gegen Männer, | |
sondern gemeinsam gegen das Patriarchat. Allerdings in Stille. Also erst | |
mal reglos zur Ruhe kommen. Hinlegen auf Treppen, Straßen und Plätze zur | |
Demonstration des kollektiven Burn-outs. „Vollkommen friedlich, seltsam | |
schön“ wirkt das auf der Bühne, auch in Hannovers Innenstadt; Videos davon | |
prägen die eingeblendete Nachrichtensendung. | |
## Naive Planlosigkeit | |
Auch hier machen Fallwickl/Dröse vieles richtig, indem sie den | |
Verweigerungsschlummer nicht als bewusst gewaltfreien Widerstand | |
glorifizieren. Vielmehr zeigen sie die naive Planlosigkeit, da die Frauen | |
nicht weiter denken als: „Wir machen das für uns.“ Andererseits macht Ruth | |
deutlich, dass in Krankenhäusern und Heimen viele Menschen sterben werden, | |
wenn sich niemand mehr kümmert. Weiterzuarbeiten sei ihre menschliche | |
Pflicht. | |
Position drei zur Stillstandsbewegung ist [4][rohe Gewalt, mit der sich | |
Ehemänner, Polizisten, Soldaten] gegen die zerstörerischen Folgen fürs | |
öffentliche wie auch private Leben wehren. Wozu Dröse auch Fotos von Trump, | |
Musk, Weidel und so weiter projizieren lässt. Ihr schwesterliches | |
Miteinander aber wird gefeiert, so dass der Queerchor Hannover final mit | |
dem Ensemble „Give me real power“ schmettert. | |
„Und alle so still“ ist ein einfach konstruiertes, pathetisch inszeniertes | |
Selbstverständigungsstück, ja geradezu Aufstachelungstheater, das Menschen | |
wohl eine Prise mutiger aus der Vorstellung gehen lässt, als sie in sie | |
hineingegangen sind. | |
17 Mar 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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