# taz.de -- „Animal Farm“ am Staatstheater Hannover: Buckeln vor dem Schwei… | |
> Von der unterwürfigen Natur des Menschen und seinem Machtinstinkt: Emre | |
> Akal inszeniert George Orwells „Animal Farm“ in Hannover mit kalter | |
> Präzision. | |
Bild: Milch für den selbst ernannten Anführer: Frauen in „Animal Farm“ me… | |
Als Folge einer [1][Revolution] etabliert sich immer wieder ihr | |
Ausgangspunkt: ein totalitäres Regime. Diesen Kreislauf zu durchbrechen, | |
dazu wollte [2][George Orwell] mit seiner „Animal Farm“ (1945) anregen. Ob | |
das überhaupt möglich ist, fragt nun Regisseur [3][Emre Akal] am Schauspiel | |
Hannover. | |
In der Vorlage regiert ein stets trunkener Landwirt abseits aller Bio-, | |
Öko-, Tierwohl-Standards seine Bauernhof-Welt, bis die Tiere ihren Peiniger | |
zum Teufel jagen. Aber sie lassen dann eben nicht in | |
Gleichheit-Freiheit-Brüderlichkeit eine artendivers-egalitäre Utopie | |
erblühen, vielmehr werden Schweine die neuen Chefs mit dem alten | |
Machtgebaren. | |
Da Orwell in seinem Roman zugleich den Kommunismus [4][stalinistischer | |
Prägung] und den Kapitalismus englischer Prägung kritisierte – wegen der | |
ähnlich repressiven Mechanismen –, denkt Regisseur Akal den Klassiker | |
weiter zur Infragestellung grundsätzlicher Prinzipien menschlichen | |
Zusammenlebens. Im Stile eines Lehrstücks fokussiert er den Punkt, an dem | |
sich eine Gruppe aufteilt in Mächtige und Ohnmächtige. Wobei die | |
schweigsamen Anpassungswilligen es denjenigen mit Dominanz-Willen leicht | |
machen, ein tyrannisches Zweiklassensystem zu errichten. | |
Anders als Orwell schaut Akal aber nicht, wie es den anderen Tieren, | |
sondern fünf Vertretern des Homo sapiens unterm Joch der Schweineherrschaft | |
ergeht. Reduziert sind sie auf ihre im Wortsinn nackte Existenz, den | |
ausgemergelten Körper. Auf drei enge Schaukästen beschränkt sich ihr | |
Lebensraum, ein Gefängnis. Links auf der Bühne ist mit wattigen Wolken und | |
himmelblauer Farbe eine Freiluft-Illusion installiert für Freizeitmomente. | |
Mehr als eine Schaukel steht dafür aber nicht zur Verfügung. Das | |
überwiegende Dasein besteht aus entfremdeter Arbeit, dazu ist | |
Maschinenlärmmusik zu hören. Die Menschen haben gigantische Rüben für den | |
Schweinehunger zu züchten, die Frauen müssen literweise Milch aus ihren | |
Brüsten in Kannen melken für den Schweinedurst. | |
In weitere Behältnisse ejakulieren die Männer. Mit ihrem Samen werden | |
Frauen wie Tiere [5][künstlich geschwängert]. Und alle Arbeitsergebnisse, | |
auch die Neugeborenen, sind dann in einem Opferritual im Wohnzimmer der | |
Bühnenmitte durch eine Luke zu reichen, die wie ein [6][Big-Brother]-Eye | |
aussieht. Für die Lieferung gibt es zur Regeneration der Arbeitskraft | |
riesige Rindersteaks. | |
## Solidarisches Miteinander korrumpiert | |
Auf den drei Bildebenen lässt die Inszenierung als animierter Comic ständig | |
neue Miniszenen aus dem Ausbeutungsalltag aufleuchten. Bis jemand ein | |
Exemplar der „Animal Farm“ in einer Bodenluke findet, daraufhin die Welt | |
als eine veränderbare entdeckt und zum Widerstand dagegen aufruft, dass | |
„alles, what we produzieren, uns von den Tiers geklaut wird“. | |
In diesem restringierten Denglisch artikulieren sich die Figuren, Sprache | |
für eine differenzierte Kommunikation haben sie wohl nicht. Aber es reicht | |
zur Parole „Der Humensch is free!“ und den Beschluss, ab sofort nur noch | |
für den Eigenbedarf zu arbeiten. | |
Aber schon korrumpiert der „Animal Farm“-Leser das solidarische | |
Miteinander, setzt einen Hut auf, markiert sich als etwas Besonderes. Er | |
lässt die anderen bis zum Umfallen malochen, verkauft das als Arbeit für | |
die Freiheit und den Wohlstand aller und genießt willkürlich eingeführte | |
Sonderrechte. Er produziert nichts, bekommt aber immer zuerst zu essen, die | |
anderen müssen sich mit den Resten begnügen. Sie nehmen es hin: Mensch ist | |
und bleibt der devote Diener von Hierarchien! Aus Feigheit, Angst vor | |
Verantwortung, Faulheit, Dummheit. | |
## Symbolisches Spanferkel | |
Das muss sich ändern. Also liegen final ein alter Schweine- und neuer | |
Menschenkönig tot am Boden, die Regie serviert ein Spanferkel wohl fürs | |
symbolische Verspeisen der sich immer wieder aus der Menge erhebenden | |
Machtschweine. Aber die Menschen lächeln nur gequält. Essen nicht. | |
Verweigern den anarchistischen Befreiungsschlag. Es entsteht ein Vakuum, in | |
dem sich wohl gleich der/die Nächste über die Mehrheit erheben und die | |
Rangordnung erhalten wird. | |
So reduziert die Erzählung in einer schnell getakteten Sinnbilderfolge | |
daherkommt, so klar ist die Herleitung der These, dass sich hinter der | |
unterwürfigen Natur des Menschen der Instinkt zur Macht verbirgt, den aber | |
nur wenige mit dem Zynismus de[7][r Narzissten] ausleben. | |
Dabei entwickelt die Inszenierung in ihrer eiskalten Präzision eine große | |
Faszination. Wenn auch angemerkt werden kann, dass sie die kritisierte | |
Perspektive bedient, Gesellschaft nur vertikal gegliedert zu denken und zu | |
leben. Denn es wird nicht performativ auf Augenhöhe, sondern von oben nach | |
unten doziert: Bühnenkunst als Frontalunterricht fürs Publikum. Aber eben | |
inhaltlich forsch, fesselnd stringent und ästhetisch eigenwillig. | |
18 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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