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# taz.de -- Russisches Glücksministerium: Orwell lässt grüßen
> Eine hochrangige Politikerin will ein Ministerium für Glück einrichten.
> Ähnlichkeiten zu George Orwells Liebesministerium aus „1984“ sind rein
> zufällig.
Bild: Das Ministerium empfiehlt: Glück und Gasmaske
Was Bhutan hat und die Vereinigten Arabischen Emirate pflegen, können wir
doch auch, scheint sich Russlands Föderationsratsvorsitzende Walentina
Matwijenko gedacht zu haben, als sie kürzlich mit ihrer Idee an die
Öffentlichkeit trat. „Lasst uns ein Ministerium des Glücks schaffen“, rief
sie enthusiastisch den jungen Teilnehmern eines Bildungsforums in Moskau
zu.
[1][Matwijenko meint das ernst], seit 2016 träumt sie schon den Traum vom
Glück für alle. Was genau sie unter „Glück“ von Staats wegen versteht, s…
sie jedoch nie. „Dieses Ministerium sollte alle Entscheidungen, Gesetze und
Regierungsbeschlüsse darauf prüfen, ob diese die Menschen glücklicher
machen“, erklärte sie auf der Bühne und gab jedoch zu, dass ihre
„Unterstützergruppe“ bisher „noch klein“ sei.
Ein Land, das Krieg gegen ein anderes führt und es nicht einmal so nennt,
ein Land, das seine Männer zu Kanonenfutter macht und die Toten als
„Helden“ beerdigt, lebt weiter seinen Zynismus und will seinem Volk Glück
verordnen. Das erinnert an das „Liebesministerium“ in [2][George Orwells
„1984“], in dem durch Folter alle den „Großen Bruder“ lieben lernen so…
## Mehr Glück erhöht Chance auf Sieg im Krieg
Olga Kowitidi – eine von Matwijenkos Unterstützerinnen, die im
Föderationsrat [3][die annektierte ukrainische Halbinsel Krim] vertritt –
behauptet gar, dass „gefestigtes Glück die Chance auf den Sieg“ erhöhe.
Schließlich wollten alle „ein Russland glücklicher Menschen“.
Die noch unglücklichen Menschen in Russland sind da anderer Auffassung.
„Lasst uns leben, ohne euch ständig in unser Leben einzumischen, das macht
uns glücklich“, schreibt eine Alia auf Telegram. „Wie wäre es mit dem Abz…
der Kriegstechnik aus der Ukraine?“, fragt ein anonymer Nutzer. „Armut
bekämpfen, Gas, Wasser und Klo im eigenen Haus, das wäre etwas, was uns
glücklich macht“, zählt ein Sergei auf. Die Menschen schreiben von „reiner
Idiotie“ und forderten ein „Ministerium der Vernunft“.
„Was passiert eigentlich mit denen, die das staatlich verordnete Glück
nicht anzunehmen bereit sind? 20 Jahre Strafkolonie für die
Unglücklichen?“, kommentiert ein Oleg.
Der Blogger Gleb Staschkow sieht gar einen ganzen Apparat entstehen: „Ein
Ministerium für Glück bräuchte sogleich auch den Föderalen Dienst, der
dafür sorgt, dass alle glücklich sind. Einen Landesbeauftragten und viele
Regionalbeauftragte. Und natürlich Ausschüsse zur Kontrolle des illegalen
Glücks, zur Förderung traditioneller Formen des Glücks und zur Bekämpfung
nichttraditioneller Formen. Eine Glücksersatzkommission. Und Hunderte von
Beamten wären beschäftigt und glücklich.“
Und Psychiater*innen erklären in staatlichen Medien, dass ständiges
Glücksempfinden völlig unnatürlich sei und letztlich zur Verblödung führe.
## UN-Glücksreport stellt Russland schlechtes Zeugnis auf
Die Vereinten Nationen veröffentlichen – auf Vorschlag Bhutans – seit 2012
jährlich den World Happiness Report. Unterschiedliche Faktoren wie das
subjektive Zufriedenheitsempfinden der Menschen, Daten aus der Wirtschaft,
Psychologie, Gesundheitsversorgung, Bildung ergeben den
Glückskoeffizienten. Russland landete [4][in diesem Jahr] auf Platz 79 von
142 Ländern. Deutschland findet sich auf Platz 15.
Finnland, Dänemark und Island [5][sind die Gewinner]. Länder, die Moskau
für „unfreundlich“ hält, weil sie sich an den Sanktionen gegen Russland
beteiligen. Sanktionen, die die Menschen in Russland nicht besonders
glücklich machen.
Dabei gibt es schon „Glücksbeamte“ in Russland. Und zwar auf Kamtschatka,
ganz im Osten des Landes. Dort gibt es das Ministerium für soziales
Wohlergehen und Familienpolitik, im Volksmund „Glücksministerium“. Viel
hört die Welt nicht von glücklichen Kamtschatka-Bewohner*innen.
Wohl auch Walentina Matwijenko nicht. Nach Spott und Häme zog sie – einmal
mehr – ihre Idee zurück. „Es war nur ein Witz“, sagte sie drei Tage nach
ihrem Auftritt beim Moskauer Forum. Zum Glück!
12 Nov 2023
## LINKS
[1] /Meinungsfreiheit-in-Russland/!5593892
[2] /Neue-Realitaeten-im-Ukraine-Krieg/!5851540
[3] /Widerstand-auf-der-Krim/!5966907
[4] https://worldhappiness.report/ed/2023/
[5] /Die-Wahrheit/!5920111
## AUTOREN
Inna Hartwich
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