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# taz.de -- Freistaat gegen Klimaaktivistin: Bayern außer Kontrolle
> Eine Lehramtsstudentin bekommt kein Referendariat. Bayern wirft der
> Klimaaktivistin „kommunistische Ideologie“ vor. Das ist falsch und
> gefährlich.
Bild: Lisa Poettinger unterrichtet bei einer Großdemonstration gegen Rechts in…
Lisa Poettinger ahnte bereits, was auf sie zukommt. Vor wenigen Monaten
erzählte die angehende Lehrerin in einem Interview, wie der Bayerische
Staat auf ihr Engagement bei [1][„Extinction Rebellion“] reagierte: Er
schickte Mitarbeiter des Bayerischen Staatsschutzes zu ihr nach Hause.
Eine Gefährderansprache, die eine unmissverständliche Warnung
transportieren sollte: Wenn du dich auf diese Weise für Klimaschutz
einsetzt, verbaust du dir damit schnell deine Zukunft. Vier Jahre später
hat der Freistaat seine Drohung wahr gemacht. Poettinger, die mittlerweile
ihr Studium abgeschlossen hat, darf ihr Referendariat nicht antreten.
Es ist schwer zu sagen, was an dieser Entscheidung dümmer ist. Die
Engstirnigkeit, die darin zum Ausdruck kommt, oder die Begründung, mit der
der Staat ihr einen legitimen Anstrich verpassen möchte. So wird der
28-Jährigen allen Ernstes zum Vorwurf gemacht, die [2][Internationale
Automobil-Ausstellung] in München öffentlich als „Symbol für
Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima“ bezeichnet zu
haben – was die Veranstaltung wahrscheinlich auch für die meisten
gemäßigten Bürger:innen durchaus trefflich zusammenfasst.
Das Bayerische Kultusministerium hingegen will in der Formulierung eine
„kommunistische Ideologie“ erkennen. Und die scheint heute offenbar noch
genauso für Berufsverbote herhalten zu müssen wie zu Franz-Josef Strauß’
Zeiten.
## Vergewaltiger blieb dagegen verbeamtet
Auch an Hochschulen in Bayern gibt es immer wieder Fälle, in denen der
Verfassungsschutz Karrieren beendet – etwa an der Technischen Universität
München, als 2022 ein Geoinformatiker wegen seines politischen Engagements
eine bereits zugesagte Stelle wieder verlor. In Bayern reicht dazu, beim
Studierendenverband der Linkspartei SDS aktiv zu sein.
Ein anderer Fall, der sich im Dezember zutrug, zeugt davon, dass Bayrische
Gerichte auch durchaus anders entscheiden können. Da erhielt [3][ein
Feuerwehrmann, der eine Frau vergewaltigt hatte], eine mildere Strafe, um
seinen Beamtenstatus nicht zu gefährden.
Wenn es jedoch um Extremismus von links geht – oder das, was CSU und Freie
Wähler darunter verstehen – scheint der Landesregierung jedes Maß verloren
gegangen zu sein. Das gilt allen voran für die konsequenten Forderungen der
jüngeren Generationen nach Klimaschutz.
## Klimaproteste seien „Terrorismus“
Wer sich in Bayern dafür einsetzt, muss schon länger mit Repressalien
rechnen. Siehe den Umgang mit den Aktivist:innen der „Letzten
Generation“. [4][Zwischenzeitlich knastete der sogenannte Freistaat mehr
als 20 von ihnen „präventiv“ in Haft] – die darauffolgende Rüge des
UN-Sonderberichterstatters für Umweltschützer interessierte in München
niemanden. Offenbar auch nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts,
das die Legitimität der Proteste unterstrich.
Stattdessen ist Söders Bayern vorne mit dabei, verzweifelte Klimaproteste
als Terrorismus zu etikettieren. Da ist es eigentlich fast schon
konsequent, den Personen auch in der Berufswahl Steine in den Weg zu legen:
einmal non grata, immer non grata.
In Bezug auf die Schulen ist diese Haltung jedoch fatal: Wenn der Staat nun
damit beginnt, gesellschaftskritische Lehrkräfte von den Schulen
fernzuhalten, offenbart sich ein verheerendes Missverständnis in Bezug auf
die Rolle von Pädagog:innen. Noch immer begreifen die Ministerien (nicht
nur in Bayern) ihre Beamt:innen als reine Exekutivorgane, die als
Beamt:innen privilegiert behandelt werden, dafür bitte aber sonst die
Klappe halten sollen.
## Poettinger wehrt sich – zurecht
Wer aber möchte, dass junge Menschen im kritischen Denken geschult werden,
braucht keine vorwiegend loyalen Staatsdiener:innen, sondern
Demokrat:innen. Solche, die sich die Zeit nehmen, in Geografie über die
Menschenrechtsverletzungen von Frontex zu reden, die in Politik die
verheerende Klimapolitik der Bundesregierung behandeln und in Sozialkunde
über die falschen Verheißungen des Kapitalismus aufklären. Themen, die in
den Schulbüchern übrigens oft gar nicht vorkommen.
Es ist gut, dass sich Lisa Poettinger wehrt und gegen die Entscheidung des
Ministeriums vorgehen möchte. Man kann nur hoffen, dass ihre Klage Erfolg
hat.
Erstens, weil die der bayerische Staat mit dieser unfassbaren Nummer nicht
einfach durchkommen sollte. Zweitens, weil sich Poettinger nach eigenen
Aussagen besonders um Kinder aus schwierigen Familienverhältnissen kümmern
möchte – und damit besonders wertvoll an einer Schule wäre. Und drittens,
weil Schüler:innen unbedingt aus erster Hand hören sollten, wie schnell
auch in Bayern demokratische Selbstverständlichkeiten abgeräumt werden
können.
27 Jan 2025
## LINKS
[1] /Extinction-Rebellion/!t5602581
[2] /Protest-gegen-Automobilausstellung-IAA/!5956556
[3] /Rape-culture-in-der-Justiz/!6053239
[4] /Vorbeuge-Gewahrsam-in-Bayern/!5898321
## AUTOREN
Ralf Pauli
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