# taz.de -- Berufsverbot für angehende Lehrerin: „Ich möchte mich nicht … | |
> Lisa Poettinger soll nicht Lehrerin werden, dafür ist die Klimaaktivistin | |
> der bayerischen Regierung zu radikal. Ihre Anwältin ist aber | |
> zuversichtlich. | |
Bild: Darf zur Zeit nicht Lehrerin werden: Klimaaktivistin Lisa Poettinger | |
München taz | Wer die Geschichte von Lisa Poettiger hören will, muss in den | |
Keller. Und zwar in den des DGB-Gewerkschaftshauses im Münchner Stadtteil | |
Berg am Laim. Unten dann zwei Gänge entlang, ein paar mal rechts abbiegen, | |
am Kicker vorbei, und schon steht man im schmucklosen Jugendraum, in den | |
der Solikreis „Lasst Lisa lehren“ zur Pressekonferenz geladen hat. | |
Denn genau darum geht es: dass Lisa Poettinger, die gerade ihr Staatsexamen | |
gemacht hat, nach dem Willen des bayerischen Kultusministeriums nicht | |
Lehrerin werden darf. Berufsverbot könnte man sagen, und genau das tun | |
Poettinger und vier Mitstreiterinnen und Mitstreiter auch, die sich hier | |
den Fragen der gedrängten Journalisten stellen. Sie fühlen sich an den | |
Radikalenerlass erinnert, nach dem in Deutschland zwischen 1972 und 1991 | |
Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue überprüft | |
wurden. Rund 1200 Anwärtern – zumeist aus dem linken politischen Spektrum – | |
wurde damals ihr Berufswunsch, sei es nun Postbeamtin oder Lehrer, | |
verwehrt. | |
Der Hintergrund ist dieser: Im November teilte das Ministerium Poettinger | |
mit, dass es beabsichtige, ihr die Zulassung zum Referendariat zu versagen. | |
Ohne Referendariat allerdings kann Poettinger auch nicht Lehrerin werden. | |
Die Begründung des Ministeriums: Die 28-Jährige sei Mitglied in | |
linksextremistischen Gruppen, gegen sie liefen Ermittlungsverfahren, unter | |
anderem wegen eines „Angriffs auf Vollstreckungsbeamte“. Und dann noch das | |
eher schräge Argument, Poettinger habe in einem Interview den Terminus | |
„Profitmaximierung“ gebraucht. Das sei eine „den Begrifflichkeiten der | |
kommunistischen Ideologie zuzuordnende Wendung“ und damit „mit der | |
freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar“. Dass der | |
Ausdruck auch von Wirtschaftswissenschaftlern und anderen kommunistischen | |
Gedankenguts unverdächtigen Personen wie etwa Papst Franziskus gebraucht | |
wird – egal. | |
Der Freistaat Bayern habe eben sicherzustellen, so erklärt das Ministerium | |
gegenüber der taz, dass sich Personen, die in den Staatsdienst aufgenommen | |
werden, durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen | |
Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen. Lehrkräfte hätten wie | |
kaum eine andere Beamtengruppe Einfluss auf junge Menschen und ihre | |
Entwicklung. Und dann zitiert der Sprecher noch seine Chefin, | |
Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler): „Wer nicht mit beiden Beinen | |
fest auf dem Boden unserer Verfassung steht, den lassen wir nicht in den | |
staatlichen Schuldienst!“ | |
## „Kapitalismus ist nicht Demokratie“ | |
Eine Unverschämtheit, findet Poettinger. Sie stehe sehr wohl auf dem Boden | |
der Verfassung, sagt sie. Sie habe sie sogar gelesen, und da stehe nirgends | |
etwas über ein vorgeschriebenes Wirtschaftssystem – weder im Grundgesetz | |
noch in der bayerischen Verfassung: „Kapitalismus ist nicht Demokratie.“ Im | |
Gegenteil: Sie sei der Auffassung, dass der Kapitalismus die Verfassung | |
untergrabe. In keinem Fall aber könne Kritik daran mit | |
Demokratiefeindlichkeit gleichgesetzt werden. | |
Lisa Poettinger berichtet, wie gern sie Lehrerin werden würde. Englisch und | |
Ethik, das sind ihre Fächer. Sie erzählt von den zum Teil prekären | |
Umständen, in denen sie in Murnau am Staffelsee aufgewachsen ist. Auch von | |
dem Preis, den sie von ihrer Schule bekommen hat, als sie sich 2015 als | |
Gymnasiastin für Flüchtlinge engagiert habe. Überhaupt sei das Thema Flucht | |
beziehungsweise Fluchtursachen und das Nichtstun des Staates dagegen der | |
Hauptgrund für ihre Radikalisierung als Klimaaktivistin gewesen. | |
Poettinger ist klein, schlank, hat lange braune Haare, die Hände | |
verschwinden gern mal ein bisschen in den Ärmeln ihres Pullovers. Sie | |
spricht besonnen, lächelt. Man ist nicht überrascht, dass die Eltern des | |
Waldkindergartens, in dem sie derzeit arbeitet, ihre Kinder ohne Bedenken | |
in die Obhut dieser Frau geben. | |
Einer der Väter ist auch hier, verliest einen offenen Brief dieser Eltern | |
an das Kultusministerium. Poettinger, heißt es darin, sei nicht nur eine | |
engagierte und talentierte Erzieherin, sondern auch ein leuchtendes Vorbild | |
für die Werte, die die Eltern ihren Kindern vermitteln wollten: | |
Verantwortung, Umweltbewusstsein und gelebte Demokratie. „In ihrer | |
täglichen Arbeit mit den Kindern lebt Lisa demokratische Prinzipien vor – | |
sie zeigt, wie wichtig es ist, unterschiedliche Meinungen zu respektieren, | |
Konflikte friedlich zu lösen und sich aktiv für eine gerechte und | |
nachhaltige Zukunft einzusetzen.“ Außerdem habe Poettinger stets | |
klargemacht, dass sie ihre Rolle als Aktivistin und die als Pädagogin klar | |
trennt. Also doch keine linksradikalen Parolen im Kindergarten, im | |
Klassenzimmer? | |
## „Keinen Bock auf Rechte jeglicher Couleur“ | |
Es ist ja nicht so, dass Poettinger nicht auch anders kann. Es war vor | |
ziemlich genau einem Jahr, da stand die Studentin schon einmal im | |
Rampenlicht. [1][Auf der Bühne einer Demo gegen Rechts.] Zigtausende | |
Münchner waren damals zum Siegestor geströmt, wollten – gerade unter dem | |
Eindruck der zuvor bekannt gewordenen „Remigrationspläne“ einiger | |
AfD-Mitglieder – ihren Protest gegen Rechtsextremismus zum Ausdruck | |
bringen. | |
Aber dann war es nicht zuletzt Poettinger, die viele von ihnen vor den Kopf | |
stieß, in dem sie unter „Rechts“ weit mehr subsumierte als das, wogegen | |
viele meinten, auf die Straße gegangen zu sein. Schon im Vorfeld beschwerte | |
die Aktivistin sich via X: „Was wollen CSU-Politiker:innen vor Ort? Als | |
Versammlungsleiterin kann ich sagen, dass ich gar keinen Bock auf Rechte | |
jeglicher Couleur habe!“ | |
Und auf der Bühne hielt sie dann noch ein Schild mit der Aufschrift „AfD | |
hetzt * Ampel setzt um“ in die Höhe. Zu guter Letzt wurden die | |
Demonstrantinnen und Demonstranten, die gekommen waren, um ihre Stimme | |
gegen Hass und Hetze zu erheben, von der Bühne aus auch noch aufgefordert | |
zu skandieren: „Ganz München hasst die AfD.“ | |
Nicht wenige haben sich damals über Poettinger empört. Was aber eben auch | |
daran lag, dass überhaupt so viele Menschen da waren. 200.000 Menschen | |
kamen zu der Kundgebung gegen rechts, die Poettinger mit anderen | |
organisiert hatte. Eine der größten Demonstrationen in der Münchner | |
Geschichte. | |
Manches weiteres Fundstück von X beziehungsweise Twitter kommt jetzt | |
freilich auch wieder auf den Tisch, etwa ein Post aus dem Jahr 2022, in dem | |
sie schrieb, sie finde es in Ordnung, „Adressen von Nazis, Klimafaschos und | |
Konzerneigentürmer:innen“ zu veröffentlichen und die Häuser mit Farbbeuteln | |
zu bewerfen oder mit Graffiti zu beschmieren. | |
## Ein Damoklesschwert für alle Klimaaktivisten? | |
Anderes in Poettingers X-Timeline ist plump bis radikal. Nur: Reicht das, | |
ihr Demokratiefeindlichkeit zu attestieren? Wäre Poettinger tatsächlich die | |
erste bayerische Lehrerin, die auch mal, freundlich formuliert, Streitbares | |
von sich gibt, beziehungsweise, weniger freundlich formuliert: kruden | |
Unsinn? Zumal wenn sie, wie es die Elterninitiative des Waldkindergartens | |
behauptet, den politischen Aktivismus strikt von ihrer beruflichen | |
Tätigkeit zu trennen weiß. | |
Für Poettinger wie auch ihre Anwältin Adelheid Rupp oder den Moderator der | |
Pressekonferenz, Kerem Schamberger, alle drei Mitglieder der Linken, ist | |
die Sache klar: Es geht hier nicht nur um Lisa Poettinger, sondern um eine | |
„autoritäre Wende“, die „Erzwingung von Konformität“, ein „Damokles… | |
über den Köpfen aller Kilmagerechtigkeitsaktivist:innen“ sowie aller, die | |
„die Machenschaften der Landesregierung an den Pranger stellen“, so | |
formuliert es Schamberger. Es geht darum, alle „mundtot zu machen, die sich | |
zur Wehr setzen“, denn in Bayern sehe man es mit der Meinungsfreiheit ja eh | |
nicht so eng, sagt Poettinger. | |
## Anwältin zuversichtlich | |
Schon im Dezember hat Poettinger dem Kultusministerium eine lange Antwort | |
geschickt, erklärt, warum sie Lehrerin werden möchte, warum sie meint, sehr | |
wohl auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. Jetzt wartet sie noch immer | |
auf Antwort. In gut zwei Wochen würde das Referendariat beginnen. Gegen ein | |
Berufsverbot will sie sich mit allen Mitteln wehren. Die Solidarität mit | |
ihr ist groß. Schon 3000 Menschen hätten eine Solidaritätsbekundung | |
unterschrieben, erzählt Schamberger. | |
Ihre Aussichten stehen laut Rupp nicht schlecht. Eine bloße Mitgliedschaft | |
beim Antikapitalistischen Klimatreffen genüge nicht, um ein Berufsverbot zu | |
begründen, auch wenn es im Verfassungsschutzbericht erwähnt sei; es müsse | |
schon ein konkreter Verfassungsverstoß belegt sein. Auch eine Vorstrafe | |
ihrer Mandantin, die ein Berufsverbot begründe könnte, erwartet Rupp nicht. | |
Denn selbst bei einer Verurteilung in den beiden Verfahren sei kein | |
Strafmaß von mehr als 90 Tagessätzen zu erwarten. | |
In einem der beiden Fälle hat Poettinger ein hetzerisches Plakat | |
beschädigt, das die AfD aufgestellt hatte, um gegen [2][die Lesung einer | |
Dragqueen für Kinder] Stimmung zu machen. Im anderen Fall soll Poettinger | |
bei den Zusammenstößen während der Räumung des besetzten Dorfes | |
[3][Lützerath] gegen die Polizei gewalttätig geworden sein. | |
Um das Referendariat zu bekommen, ihren Überzeugungen abzuschwören oder ihr | |
Engagement einzuschränken, das kommt für Poettinger nicht in Frage. Dafür | |
sei ihr der Schutz unserer Lebensgrundlagen oder auch der Kampf gegen den | |
Faschismus zu wichtig. „Ich möchte mich nicht weggebuckelt haben.“ | |
31 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Demonstration-gegen-rechts-in-Muenchen/!5987588 | |
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[3] /Luetzerath/!t5896252 | |
## AUTOREN | |
Dominik Baur | |
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