# taz.de -- Verfassungsschutz soll Bewerber checken: Und täglich grüßt das B… | |
> Rot-Grün in Hamburg erwägt Regelanfragen beim Verfassungsschutz, um | |
> Extremisten aus dem Staatsdienst zu halten. Das erinnert an den | |
> Radikalenerlass. | |
Bild: Gefahr für Hamburgs öffentlichen Dienst? Aktivisten der Gruppe „Musli… | |
Hamburg taz | SPD und Grüne in Hamburg wollen den öffentlichen Dienst | |
besser vor Extremist:innen schützen. Knapp sechs Wochen vor der Wahl | |
bringen die beiden Regierungsfraktionen am Mittwoch einen entsprechenden | |
Antrag in die Bürgerschaft ein. Der ist sehr vage formuliert. Es zeichnet | |
sich aber ab, dass es darum geht, künftig in weiteren Bereichen des | |
Staatsdienstes vor Neueinstellungen generell eine Abfrage beim | |
Verfassungsschutz durchzuführen. | |
Bislang gibt es diese so genannte Regelanfrage in Hamburg nur für | |
Sicherheitspersonal, vor allem für Polizist:innen. In den anderen Bereichen | |
des öffentlichen Dienstes ziehen Hamburgs Behörden den Verfassungsschutz | |
nur anlassbezogen hinzu, also wenn es bereits Zweifel an der | |
Verfassungstreue eine:r Bewerber:in gibt. Das könnte sich bald ändern. | |
Der Antrag der Regierungsfraktionen nimmt ausdrücklich auf die Bedrohung | |
durch Rechtsextreme und [1][Islamist:innen] Bezug, die vermehrt darauf | |
setzten, „gezielt in staatliche Strukturen einzudringen“. „Unser Staat war | |
noch nie so bedroht wie heute“, sagt SPD-Fraktionschef Dirk Kienscherf. Auf | |
eine konkrete Forderung will er sich nicht festlegen. „Wir erteilen einen | |
Arbeitsauftrag an den Senat: Er soll die Problemlage beschreiben und | |
Lösungsvorschläge machen.“ | |
Sina Imhof, innenpolitische Sprecherin der Grünen, wird auf Nachfrage | |
deutlicher: „Wir wollen prüfen, ob die Regelanfrage beim Verfassungsschutz | |
auf weitere Bereiche des öffentlichen Dienstes ausgeweitet werden soll, | |
etwa die Schulen.“ | |
## Kritik von Linken, Gewerkschaften und Bürgerrechtlern | |
Für den innenpolitischen Sprecher der Linken-Fraktion Deniz Celik ist klar, | |
worauf das hinausläuft: SPD und Grüne wollten „den Weg für Regelanfragen | |
bei den Sicherheitsbehörden“ freimachen. „Berufsverbote, Bespitzelungen und | |
Verdächtigungen sind antidemokratisch, nicht nur geschichtsvergessen, | |
sondern auch eine Bedrohung für eine plurale Gesellschaft“, teilt er mit. | |
Für einen Eintrag beim Verfassungsschutz könne schon die Teilnahme an einer | |
antifaschistischen Kundgebung reichen. | |
Auch die Gewerkschaften haben den Antrag der Koalition so verstanden: Keine | |
zwei Stunden, nachdem Rot-Grün seinen Vorstoß öffentlich gemacht hatte, | |
kritisierte Hamburgs DGB-Chefin Tanja Chawla in einer Pressemitteilung „die | |
Wiedereinführung der Regelanfrage im öffentlichen Dienst“. Sie schlägt vor, | |
den Antrag in der Bürgerschaft auszusetzen, um einen Dialog über ein | |
Gesamtkonzept zur Extremismusprävention zu ermöglichen. Darin müsse es auch | |
um Aus-, Fort- und Weiterbildung gehen. | |
„Die Regelanfrage auszuweiten, halten wir für eine völlig unausgegorene | |
Idee“, fügt Sandra Goldschmidt hinzu, stellvertretende | |
Landesbezirksleiterin bei Ver.di. Vorher gebe es viel mildere Mittel, etwa | |
eine Selbstauskunft bei der Einstellung, die im Falle von Falschangaben | |
auch arbeitsrechtliches Gewicht hätte. Oder geregelte Recherchen in | |
öffentlichen Quellen. Sollten sich daraus Verdachtsmomente ergeben, könne | |
man immer noch den Verfassungsschutz hinzuziehen. | |
David Werdermann von der Berliner Bürgerrechtsorganisation „Gesellschaft | |
für Freiheitsrechte“ empfiehlt Behörden, lieber ihre Personalabteilungen so | |
zu schulen, dass sie eigene Recherchen anstellen und mit Bewerber:innen | |
intensive Gespräche über die Verfassungstreue führen können. Der | |
Verfassungsschutz habe sich in Sachen Rechtsextremismus in den vergangenen | |
Jahren [2][„nicht gerade mit Ruhm bekleckert“] und hantiere mit der | |
überholten [3][Extremismustheorie], nach der Linke oft pauschal als | |
Staatsfeinde diffamiert würden. | |
Zudem lege der Inlandsgeheimdienst meistens seine Quellen nicht offen. | |
Betroffene könnten deswegen gegen eine Einstufung durch die Behörde kaum | |
vorgehen. Den Verfassungsschutz hält Werdermann daher für ungeeignet, auch | |
wenn er das rot-grüne Anliegen, den öffentlichen Dienst zu schützen, im | |
Grundsatz für berechtigt hält. Mit einer Regelanfrage würden sich Behörden | |
aber aus der Verantwortung stehlen. Im Zweifel sei dann der | |
Verfassungsschutz schuld, wenn was schiefgeht. „Wir beobachten in mehreren | |
Ländern, dass sich der Wind in eine illiberale Richtung dreht, in Richtung | |
Regelanfrage und Berufsverbote.“ | |
Ins selbe Horn stößt Fabian Georgi vom in Köln ansässigen | |
Grundrechtekomitee: Den rot-grünen Antrag sieht man dort „aus | |
grundrechtlicher Perspektive hochproblematisch“. Kern des Problems sei, | |
dass hier mit den an Macht gewinnenden rassistischen und autoritären | |
Tendenzen, wieder einmal, in repressiver Form umgegangen werden solle. | |
## Hamburgs SPD trieb einst den Radikalenerlass voran | |
Georgi erinnert die rot-grüne Initiative an den Radikalenerlass, mit dem | |
seit 1972 tausenden Linken Berufsverbot erteilt wurde. [4][Treibende Kraft | |
war damals die Hamburger SPD.] Nach über 20 Jahren hatte der europäische | |
Gerichtshof für Menschenrechte ihn für rechtswidrig erklärt. | |
Was für Blüten Einschätzungen des Verfassungsschutzes treiben können, zeigt | |
aktuell ein Fall aus Bayern: Dort verweigert das Kultusministerium der | |
[5][Lehramtsstudentin Lisa Poettinger] das Referendariat. In der Begründung | |
heißt es, bei Protesten gegen die Internationale Automobilausstellung habe | |
sie das Wort „Profitmaximierung“ verwendet – „eine den Begrifflichkeiten | |
der kommunistischen Ideologie zuzuordnende Wendung. Die kommunistische | |
Ideologie ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht | |
vereinbar“, so das Ministerium. Dass der Begriff auch im Mainstream der | |
Wirtschaftswissenschaften geläufig ist, spielte keine Rolle. Dass Papst | |
Franziskus ihn in durchaus despektierlicher Absicht ebenfalls verwendet | |
hat, auch nicht. | |
Könnte Vergleichbares künftig in Hamburg drohen? „Es ist immer misslich, | |
sich mit Bayern zu vergleichen“, sagt die Grüne Imhof, „aber meine | |
Erwartung ist, dass so was hier nicht vorkommt.“ Letztlich entschieden ja | |
die jeweiligen Behörden selbst über die Einstellung von Bewerber:innen. | |
„Man ist nicht automatisch raus, wenn es einen Eintrag beim | |
Verfassungsschutz gibt.“ | |
Celik von der Linken meint: „Die Erfahrung lehrt etwas anderes: In der | |
Praxis folgen die Behörden den Empfehlungen des Verfassungsschutzes.“ | |
29 Jan 2025 | |
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## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
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