# taz.de -- Job-Nachteile nach Klimaprotest: Wenn die Uni den Vertrag auflöst | |
> Wer sich als Lehrkraft oder Uni-Mitarbeiter*in politisch engagiert, muss | |
> mit beruflichen Nachteilen rechnen. Wie viel Radikalität ist erlaubt? | |
Bild: Brief und Siegel drauf | |
Vor dem Hauptgebäude der Friedrich-Schiller-Universität Jena steht eine | |
Gruppe von 70 Personen. Sie halten Schilder hoch, auf denen steht: „Klima | |
schützen ist kein Verbrechen“ und „Solidarität mit Eli – Wiedereinstell… | |
jetzt“. Es ist Ende Mai 2024. Sie protestieren dagegen, dass die Uni | |
kurzfristig den Vertrag einer Person, die öffentlich nur Eli genannt werden | |
will, wieder aufgelöst hat – wegen Vorstrafen aus dem Klima-Aktivismus. | |
Zum Dezember letzten Jahres trat Eli, der eigentliche Name ist der | |
Redaktion bekannt, eine Stelle als wissenschaftliche:r | |
Mitarbeiter:in an der Fakultät für Mathematik und Informatik der | |
Universität Jena an, begleitend zur Promotion. Doch die | |
Friedrich-Schiller-Universität hob den Vertrag zwei Wochen nach | |
Beschäftigungsbeginn wieder auf. Die Begründung: Eli habe Vorstrafen nicht | |
angegeben. Das entsprechende Schreiben liegt der taz vor. Eli hat zwei | |
Verurteilungen aus aktivistischem Kontext. 2021 hat er*sie eine | |
Werkszufahrt blockiert und wurde deswegen wegen Nötigung und Widerstand | |
gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt. 2020 wurde er*sie unter anderem | |
wegen Nötigung bei der Vorbereitung einer Aktion verurteilt. | |
Die Freie Arbeiter:innen Union (FAU), die Gewerkschaft, die Eli | |
unterstützt, sieht die Begründung der Vertragsaufhebung auch rechtlich als | |
nicht ausreichend an: Die Straftaten stünden in keinem Bezug zu Elis | |
beruflicher Tätigkeit und lägen unterhalb der Grenze, welche im | |
Beamtenstatusgesetz für einen Dienstausschluss festgeschrieben sind. Diese | |
liegt bei einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten. Eli möchte | |
wieder eingestellt werden, am 18. Juli beginnt dazu der Prozess vor dem | |
Arbeitsgericht Gera. Die Universität Jena möchte sich im Hinblick auf das | |
laufende Verfahren nicht zu den Vorwürfen äußern. | |
Die Gewerkschaft FAU hat den Fall öffentlich gemacht. In einem offenen | |
Brief beurteilen mehrere Gewerkschafts- und Klimainitiativen, darunter die | |
Betriebsgruppen von Verdi und GEW, den Vorgang als „sehr bedenklich“. Es | |
sei ein „verheerendes Zeichen“ für in der Klimabewegung involvierte | |
Beschäftigte der Universität Jena, so Leo Weis von der FAU. | |
## Raus wegen Marxismus | |
Das Vorkommnis in Jena ist kein Einzelfall. Ähnliche Fälle gibt es auch in | |
München und Frankfurt. Anfang 2022 etwa hatte Benjamin Ruß sich auf eine | |
Stelle am Lehrstuhl für Kartografie und visuelle Analytik der Technischen | |
Universität München beworben. In Bayern und Baden-Württemberg müssen | |
Bewerber:innen auf eine Stelle im öffentlichen Dienst einen Fragebogen | |
zur Mitgliedschaft in verschiedenen Vereinigungen beantworten, die vom den | |
Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet werden. Darunter fallen auch | |
Organisationen wie die Jugendorganisation der Partei Die Linke, SDS und die | |
Rote Hilfe, in denen Ruß Mitglied war beziehungsweise ist. Deswegen und | |
wegen seiner marxistischen Weltanschauung sei er für den Job abgelehnt | |
worden, sagt er der taz. Er hat gegen diese Entscheidung geklagt. Die | |
Technische Universität München wollte sich auf Nachfrage nicht zu dem Fall | |
äußern. | |
In Frankfurt wiederum verbiete die hessische Lehrkräfteakademie es einem | |
Lehramtsstudenten, ein Referendariat zu absolvieren, so die [1][GEW | |
Hessen]. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt klagte Luca S. für tätlichen | |
Angriff auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Landfriedensbruch an, | |
weil er bei einer Demonstration zum 1. Mai 2021 einen Rauchtopf in Richtung | |
eines Polizeibeamten geworfen haben soll. Deswegen wurde er zu einer | |
Bewährungsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Auch Luca S. möchte | |
öffentlich nicht mit ganzem Namen genannt werden, er ist der Redaktion | |
bekannt. Gegen das Urteil hat er Revision eingelegt, auch dieses Verfahren | |
läuft noch. Die GEW fordert, dass er, unabhängig vom Ergebnis der | |
Verhandlung, zum Referendariat zugelassen wird. Aus diesem Konflikt ergibt | |
sich der paradoxe Umstand, dass er zwar kein Referendariat absolvieren | |
darf, aber im vergangenen Schuljahr als angestellter Lehrer an einer | |
Frankfurter Schule weiterarbeiten konnte. | |
Nun wurde sein Vertrag aber nicht verlängert. Luca S. sieht in dem | |
Verfahren und der Höhe der Strafe gegen ihn eine Kriminalisierung eines | |
linken politischen Aktivismus: „Das ist ein Berufsverbot, man muss das auch | |
so benennen.“ Das hessische Bildungsministerium äußerte sich auf Nachfrage | |
der taz nicht zu dem Fall, sieht den Vorgang aber als abgeschlossen an. | |
## Loyalität verlangt | |
[2][Nathalie Oberthür, Rechtsanwältin] und Fachanwältin für Arbeitsrecht in | |
Köln, erklärt, dass es immer eine Einzelfallentscheidung ist, ob Vorstrafen | |
einen Einfluss auf die Einstellung haben. Sie äußert sich nicht zu den | |
Fällen, sondern gibt eine allgemeine rechtliche Einschätzung: „Arbeitnehmer | |
schulden aus ihrer Beziehung zu der Arbeitgeberin eine gewisse Loyalität zu | |
den Interessen der Arbeitgeberin. Das heißt, dass Arbeitnehmer nicht die | |
Interessen der Arbeitgeberin beeinträchtigen dürfen. Und die Interessen des | |
öffentlichen Arbeitgebers sind eine Treue zur Verfassung.“ | |
[3][Torben Ellerbrok, Professor für Öffentliches Recht an der Freien | |
Universität Berlin], erklärt, dass das Fragerecht für Straftaten im | |
öffentlichen Dienst weitreichender greife als in der Privatwirtschaft, „das | |
heißt aber noch nicht, dass dann die Einstellung pauschal verweigert werden | |
kann“. Oberthür erklärte auch, man müsse bei der auszuübenden Tätigkeit … | |
der Art der Verurteilung differenzieren. Die Schwere des Delikts, eine | |
Tätigkeit in Leitungsfunktion oder eine exponierte Stellung wie eine | |
Lehrtätigkeit können unterschiedlich auf die Beurteilung einer Vorstrafe | |
bei der Einstellung im öffentlichen Dienst Einfluss nehmen. | |
Während die Geschichten von Benjamin Ruß, Luca S. und Eli unterschiedliche | |
Anfänge haben, sind die Folgen für alle leider gleich: berufliche Nachteile | |
und laufende Gerichtsverfahren. | |
16 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.gew-hessen.de/ | |
[2] https://www.rpo-rechtsanwaelte.de/Home/Team/Dr-Nathalie-Oberthuer | |
[3] https://www.jura.fu-berlin.de/fachbereich/einrichtungen/oeffentliches-recht… | |
## AUTOREN | |
Alexandra Kehm | |
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