# taz.de -- Personalmangel im Abschiebeknast: Niemand will nach Glückstadt | |
> Die Abschiebehaftanstalt Glückstadt steht immer wieder in der Kritik. | |
> Jetzt hat eine Anfrage ergeben: Ein Drittel der Personalstellen ist | |
> unbesetzt. | |
Bild: Darf kein Knast sein, sieht aber aus wie einer: Abschiebehafteinrichtung … | |
Hamburg taz | Abschiebehaft ist rein rechtlich gesehen kein Gefängnis. | |
Menschen landen dort nicht, weil sie eine Straftat begangen haben, sondern | |
weil sie abgeschoben werden sollen. Daher ist es „so weit wie möglich“ zu | |
vermeiden, „dass die Unterbringung einer Inhaftierung in einer | |
Gefängnisumgebung“ ähnelt. Das hat der Bundesgerichtshof im Sommer | |
festgestellt. | |
Die [1][Abschiebungshafteinrichtung (AHE) Glückstadt] war noch nie | |
besonders gut darin, kein Knast zu sein. Das liegt schon am äußeren | |
Erscheinungsbild. Sechs Meter hohe Betonmauern und fünf Meter hoher | |
Stacheldraht umgeben Teile [2][des ehemaligen Kasernengebäudes]. | |
Seit 2021 nutzen Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern die | |
Einrichtung, um Menschen bis zu ihrer Abschiebung dort unterzubringen. Die | |
Zustände standen von Anfang an immer wieder in der Kritik, zuletzt nach | |
einem [3][Bericht des Landesbeirats der Abschiebehaft] im September. | |
Jetzt gibt es neue Zahlen für das Jahr 2024. Sie sind Teil der Antwort des | |
Hamburger Senats auf eine Anfrage der Hamburger Linksfraktion, die der taz | |
vorliegt. Darin geht es vor allem um die Menschen, die in der Einrichtung | |
arbeiten. Laut der Anfrage sind derzeit 20 von 72 Stellen nicht besetzt. | |
Zudem ist der Krankenstand hoch. Mit rund 40 Krankheitstagen pro Person im | |
Jahr 2024 liegt er über dem Bundesdurchschnitt von 15,1 Tagen. | |
Unzumutbare Zustände | |
„In diesen Zahlen drückt sich aus, dass die Umstände unzumutbar sind, auch | |
fürs Personal“, sagt Carola Ensslen, fluchtpolitische Sprecherin der | |
Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. Der Personalmangel in der | |
Abschiebehaftanstalt habe auch konkrete Auswirkungen für die Insass:innen. | |
Diese beträfen unter anderem den Hofgang und die Besuchszeiten. „Wir hören | |
immer wieder von Besuchsgruppen, dass die nicht reingelassen werden“, sagt | |
Ensslen. | |
Auf die Frage, wie oft Besucher:innen im Jahr 2024 abgewiesen werden | |
mussten, gibt das zuständige Ministerium für Justiz und Gesundheit | |
Schleswig-Holstein keine Antwort. Dies werde statistisch nicht erfasst, so | |
die Betreiberin der AHE, auf deren Angaben sich der Hamburger Senat | |
bezieht. Ebenso wie die „Zeit an der frischen Luft“ könne auch das | |
Besuchsrecht im Einzelfall vorübergehend eingeschränkt werden, aus „Gründen | |
der Sicherheit“ oder bei „Einsatzlagen“, heißt es weiter. | |
Ensslen hält diese Begründung für vorgeschoben. „Ich denke, dass die sich | |
darum drücken, einzuräumen, dass sich die personelle Situation doch | |
auswirkt.“ Das Problem sei, dass man kaum Leute finde, die in der AHE | |
arbeiten wollen. | |
In einigen Fällen sind die Auswirkungen des Personalmangels nicht von der | |
Hand zu weisen. So geht aus der Anfrage hervor, dass es immer noch keine | |
muslimische Seelsorge in der Anstalt gibt, obwohl die Finanzierung schon | |
seit 2023 gesichert ist und ein Träger beauftragt wurde. Das Problem: Es | |
findet sich keine Fachkraft. | |
Ähnlich war es lange Zeit mit der Sozialberatung, die erst seit einigen | |
Monaten wieder angeboten wird. Zuvor hatte es [4][monatelang keine | |
Sozialberatung] in der AHE gegeben, weil der Träger niemanden fand, der | |
sich dieser Belastung aussetzen wollte. | |
Die Einrichtung in Glückstadt war von Anfang an umstritten. Inhaftierte und | |
Unterstützende berichteten von mangelnder Versorgung mit Medikamenten und | |
fragwürdigem Umgang mit Gefangenen in psychischen Notsituationen. Erst | |
Anfang dieses Jahres [5][brannte es kurz nacheinander zweimal] in Zimmern | |
von Inhaftierten. In einem Fall war es nach Aussage des Betroffenen ein | |
versuchter Suizid, den der damalige Leiter leugnete. Der Fall beschäftigte | |
auch den Landtag in Schleswig-Holstein. | |
Auch fehlendes Personal war von Beginn an ein Problem. Im AHE sollten | |
ursprünglich 60 Menschen zugleich inhaftiert sein können, 20 für jedes | |
Bundesland. Weil es zu wenig Personal gab, waren es seit Oktober 2023 nur | |
28 Plätze, seit diesem Jahr sind es 42. | |
Hamburg will am Abschiebegefängnis Glückstadt festhalten | |
Dafür sind laut Hamburger Senat 72 Stellen vorgesehen. Wie viele Menschen | |
derzeit in der AHE auf ihre Abschiebung warten, hat die Hamburger | |
Linksfraktion nicht erfragt. Daher bleibt unklar, ob die Belegung bei 20 | |
unbesetzten Stellen entsprechend angepasst wurde. | |
Die meisten Menschen, die in der Abschiebehaftanstalt Glückstadt inhaftiert | |
sind, kommen aus Hamburg. In den Jahren 2021 bis 2023 waren es rund 50 | |
Prozent. Angesichts der neuen Zahlen zum Personalmangel fordert die Linke | |
den Senat auf, keine Gefangenen mehr nach Glückstadt zu schicken. | |
Die für Abschiebungen zuständige Hamburger Innenbehörde möchte die | |
Entsendung in die AHE Glückstadt dennoch nicht überdenken, wie ihr Sprecher | |
der taz auf Anfrage mitteilte. „Es wird beabsichtigt, die für Hamburg zur | |
Verfügung stehenden Kapazitäten weiterhin zu nutzen.“ | |
10 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Brand-in-Abschiebehaft-Glueckstadt/!5987965 | |
[2] /Neue-Abschiebehaftanstalt-der-Nordlaender/!5790701 | |
[3] https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/Abschiebehaft-Glueckstadt… | |
[4] /Abschiebehaft-in-Schleswig-Holstein/!5982210 | |
[5] /Abschiebehaft-in-Glueckstadt/!5987424 | |
## AUTOREN | |
Amira Klute | |
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