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# taz.de -- Brand in Abschiebehaft Glückstadt: Abschieben um jeden Preis
> Um sich das Leben zu nehmen, zündet M. seine Zelle im Abschiebeknast an.
> Der Gefängnisleiter leugnet den Suizidversuch.
Bild: Hoffnungslosigkeit hinter Gittern: Abschiebhaft Glückstadt
Hamburg taz | Es war nur eine kleine Polizeimeldung: Am 5. Januar sei es in
der [1][Abschiebehaftanstalt Glückstadt] zum Brand einer Matratze im Raum
eines 22-jährigen Marokkaners gekommen. Durch das schnelle Eingreifen der
Vollzugsbeamten hätte der Mann zügig aus dem Raum geholt und vom
Rettungsdienst versorgt werden können. Außer Verbrennungen an den Händen
des Marrokaners sei kein Schaden entstanden. Das Justizministerium
Schleswig-Holstein veröffentlichte gar keine Meldung zu dem Vorfall.
In Wirklichkeit aber ist der Fall dramatisch. Das belegen Dokumente aus dem
Krankenhaus Itzehoe, Berichte von den Notärzten der Haftanstalt und
Dokumente der Bundespolizei, die die taz einsehen konnte. Hinzu kommen
Schilderungen einer Aktivistin aus dem Unterstützungskreis für Geflüchtete
in der Abschiebehaft. Damit lässt sich der Vorgang so rekonstruieren:
Am 5. Januar gegen zwei Uhr morgens zündete der 22-jährige M. in seiner
Zelle alles an, was brennen kann: Kissen- und Bettbezüge, Stühle, eine
Plastikflasche und einen Mülleimer. Das tat er in der Absicht, sein Leben
zu beenden. Als die Vollzugsbeamten ihn aus der Zelle holten, war M.
bewusstlos. Die Aktivistin und die Unterstützergruppe haben Kontakt zu M.,
der sich noch immer in der Hafteinrichtung befindet. Ihre Schilderungen
beruhen auf seinen Aussagen.
Was sicher ist: M. wurde nach dem Brand mit dem Rettungswagen und in
Begleitung von zwei Vollzugsbeamten in das Klinikum Itzehoe gebracht. Dort
wurden seine oberflächlichen Schnittverletzungen, die er sich mit einer
Metallstange zugefügt hatte, sowie die Brandverletzungen an der Hand
behandelt.
## Zelle ohne Tageslicht
Die psychiatrische Assistenzärztin diagnostiziert im Arztbrief:
Anpassungsstörung wegen seelischer Belastung und Suizidversuch mit
selbstverletzendem Verhalten. Sie empfiehlt die stationäre Aufnahme, weil
man eine [2][weitere Suizidalität nicht ausschließen] könne. Im Arztbrief
vermerkt sie zudem: Die stationäre Aufnahme sei „nicht möglich, weil Herr
M. dafür aus der Haft hätte entlassen werden müssen“. Und: „Der Patient
benötigt eine 1:1 Überwachung.“
Gegenüber der Presse und dem Flüchtlingsrat leugnet der Leiter der
Abschiebehaftanstalt, Stefan Jasper, dass es sich um einen Suizidversuch
gehandelt habe. Die Brandstiftung in der geschlossenen Zelle erklärt er so:
„Der Untergebrachte zeigte eine psychische Auffälligkeit, die zu der
Entstehung des Brandes beigetragen haben könnte.“ Eine stationäre Aufnahme
im Krankenhaus sei nicht notwendig gewesen, sagt Jasper.
Am Morgen des 5. Januar wird M. nach wenigen Stunden zurück in die
Haftanstalt gebracht – dieses Mal in eine besonders gesicherte Zelle, einen
sogenannten „BGH“-Raum. BGH steht für besonders gesicherter Haftraum. In
einem solchen Raum befindet sich in der Regel nichts außer einer Matratze,
einer an der Decke installierten Kamera und einer in den Boden
eingelassenen Toilette.
So sei es auch in der Zelle gewesen, in die M. gebracht wurde, berichtet
die Unterstützerin. „Der Raum hatte kein Tageslicht und keine Möbel. Der
Betroffene musste auf dem Boden schlafen“, sagt sie.
Die Notärzte der Haftanstalt schreiben dazu in ihrem Bericht: „Auch wenn
die Unterbringung im BGH Raum eine besondere Belastung der Seele bedeutet,
ist die Maßnahme angemessen. Eine erneute Selbstverletzung oder
Sachbeschädigung oder erneute Brandstiftung kann nicht ausgeschlossen
werden.“ Die Aktivistin des Unterstützerkreises findet das
unverantwortlich.
Es sei nicht das erste Mal, dass die Haftanstalt einem Gefangenen eine
adäquate medizinische Behandlung verweigere und ihn stattdessen besonders
belastenden Umständen aussetze. „Das würde man anderen Menschen mit
Suizidabsichten niemals antun“, sagt die Aktivistin. „Es widerspricht den
[3][psychiatrischen Leitlinien für Suizidalität].“ Doch die Notärzte der
Haftanstalt sehen das anders: „Die Unterbringung im BGH Raum bis zur
Repatriierung ist angemessen“, schreiben sie in ihrem Bericht.
## Erneute Abschiebung scheitert in Paris
Bis zur [4][„Repatriierung“ – also Abschiebung] – sollte es nicht lange
dauern. Am 6. und am 7. Januar vermerkte der Notarzt der Haftanstalt noch,
dass der Patient M. die Nahrungsaufnahme verweigere, sich nicht klar von
Suizid- und Selbstverletzungsabsichten distanziere und wiederholt bekunde,
dass es seiner Seele nicht gut gehe.
Die Unterstützerin berichtet, dass M. in seinem Herkunftsland Marokko, in
dass er abgeschoben werden soll, einen schweren Motorradunfall mit seiner
Freundin gehabt habe. Seine Freundin sei dabei gestorben. M. fürchte die
Rache ihrer Familie. Doch für die deutschen Behörden ist das kein
Fluchtgrund.
Am 8. Januar versuchte die Ausländerbehörde erneut, M. loszuwerden. Ein
Polizeihauptmeister der Bundespolizei schildert den Vorgang in einem
internen Bericht so: Der erste Teil des Abschiebeflugs sei von Hamburg nach
Paris gegangen und ohne Zwischenfälle verlaufen. Beim Umsteigen habe M.
plötzlich sein Verhalten geändert.
## Zehn Milligramm Beruhigungsmittel verabreicht
Er habe sich in der Toilette eingeschlossen und als die Tür geöffnet worden
sei, habe er dort oberkörperfrei gestanden, sich einen zwei Zentimeter
großen Metallclip an den Hals gehalten und gedroht, sich selbst zu
verletzen. Er habe schnelle Schnittbewegungen mit dem Metallclip gemacht,
sein Hals habe leicht geblutet. Französische Polizisten legten ihm
Handschellen an, der Abschiebearzt spritzte ihm zehn Milligramm Diazepam,
ein starkes Beruhigungsmittel.
Bis die Wirkung eingetreten sei, habe M. starken Widerstand geleistet und
eine Blutspur hinterlassen. Der Pilot des Flugzeugs von Paris nach Marokko
weigerte sich, ihn mitzunehmen. Die Abschiebung wurde abgebrochen und M.
samt Abschiebebeamten und Abschiebearzt nach Hamburg umgebucht. Als M.
erfahren habe, dass er wieder in die Haftanstalt käme, habe er darum
gebeten, in Frankreich zu bleiben und erneut Widerstand geleistet –
erfolglos. Kurz nach Mitternacht sei er wieder in die Haftanstalt
eingeliefert worden.
Seit einigen Tagen hat M. in seiner Zelle ein Handy. „Ich will nicht nach
Marokko“, sagt er der taz. „Ich habe Angst um mein Leben.“ Er bestätigt
auch, dass er am 5. Januar versucht hat, sich umzubringen. Es gehe ihm
schlecht, das Licht in seiner Zelle sei 24-Stunden per Bewegungsmelder
aktiviert. Was wünscht sich M.? „Nichts“, sagt er. „Ich habe die Hoffnung
verloren.“
Bei Suizidgedanken sprechen Sie mit jemandem unter 0800-111 01 11 oder
0800-111 02 22 oder besuchen Sie: [5][www.telefonseelsorge.de]
30 Jan 2024
## LINKS
[1] /Abschiebehaft-in-Schleswig-Holstein/!5982210
[2] /Suizide-in-Hamburger-Gefaengnissen/!5957186
[3] https://www.leitlinien.de/themen/depression/version-3/kapitel-12
[4] /Asylrecht-in-der-Europaeischen-Union/!5979217
[5] https://www.telefonseelsorge.de/
## AUTOREN
Katharina Schipkowski
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