# taz.de -- Neue Restriktionen für Asylsuchende: Klatschen für Geflüchtete | |
> Die Proteste Hunderttausender gegen die AfD wären die perfekte | |
> Gelegenheit für progressive Migrationspolitik. Doch Bund und Länder sehen | |
> das anders. | |
Bild: Bundeskanzler Scholz und Außenministerin Baerbock auf einer Demo gegen r… | |
Es hätte so schön sein können. Überall in Deutschland machen dieser Tage | |
die [1][Menschen in Sprechchören] und auf Plakaten klar: Die größte | |
Herausforderung in diesem Land sind nicht Geflüchtete, wie von der AfD über | |
die Union bis in Teile der Ampel gerne verkündet wird. Die größte | |
Herausforderung ist [2][der rechte Angriff] auf die Demokratie. Genau der | |
richtige Moment, dachte sich offenbar SPD-Chef Lars Klingbeil, [3][um zu | |
verkünden: Man müsse nun aber wirklich mal mehr abschieben.] | |
„Die Bundesländer haben jetzt die Möglichkeiten und sie müssen diese auch | |
nutzen“, sagte Klingbeil der Neuen Osnabrücker Zeitung. Ganz im Sound des | |
Bundeskanzlers, der schon im Oktober auf dem Cover des Spiegel verkündet | |
hatte, Deutschland müsse „endlich in großem Stil abschieben“. Mitte Januar | |
hat der Bundestag entsprechend deutliche Einschnitte in die Grundrechte | |
Abzuschiebender beschlossen. | |
Wer abgeschoben werden soll, kann nun bis zu vier Wochen eingesperrt werden | |
– ohne jemals gegen irgendein Gesetz verstoßen zu haben. Nicht mal | |
Fluchtgefahr muss bestehen. Wer in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt, muss | |
damit rechnen, dass seine Räume durchsucht werden – auch dann, wenn er gar | |
nicht selbst abgeschoben werden soll, sondern nur der Nachbar eine Tür | |
weiter. Es ist restriktive Symbolpolitik, die an der Zahl der Abschiebungen | |
wenig ändern, im Leben der Betroffenen aber sehr viel Leid verursachen | |
wird. | |
Gleiches gilt für die Bezahlkarten, die Geflüchtete künftig bundesweit | |
anstelle eines Taschengelds in Bargeldform bekommen sollen. Auf diese | |
digitale Variante der seit Jahren umstrittenen Sachleistungen hatten sich | |
Bund und Länder schon auf der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) im | |
November 2023 geeinigt. | |
## Eine Demütigung | |
Jetzt stehen die Details fest: Es gibt ein Grundgerüst, mit dem jedes | |
Bundesland macht, was es will. So wird sich von Land zu Land unterscheiden, | |
ob man Bargeld abheben kann oder nicht, ob man bundesweit oder nur in | |
bestimmten Regionen zahlen kann, an jedem EC-Gerät oder ob bestimmte | |
Branchen ausgeschlossen sind. | |
Menschen den Zugang zu Bargeld zu beschränken oder gar zu verwehren, ist | |
nicht nur eine Entmündigung. Es ist eine Demütigung. | |
Asylsuchende bekommen gerade mal 410 Euro im Monat für ihren notwendigen | |
und persönlichen Bedarf. Günstig einkaufen im Internet, gebraucht auf Ebay | |
oder dem Flohmarkt: alles nicht möglich mit einer Geldkarte ohne | |
Abhebefunktion. Auch die 50 Cent, die viele Cafés verlangen, damit man | |
seine Notdurft verrichten kann: sicher nicht mit Karte. | |
Bundeseinheitlich wird bei allen Unterschieden eins sein: Die Einführung | |
dieser Karte wird so gut wie überall zulasten der Geflüchteten gehen. Das | |
ist schließlich die Idee dahinter. Die Karte sei ein „wichtiger Schritt, | |
Anreize für illegale Migration nach Deutschland zu senken“, findet Hessens | |
Ministerpräsident Boris Rhein (CDU). | |
Soll heißen: Geflüchteten soll es hier richtig mies gehen. Man will | |
vermeintliche „Pull-Faktoren“ reduzieren, die die Menschen angeblich | |
geradezu nach Deutschland locken. Dass diese These wissenschaftlich nicht | |
belegt ist und Expert*innen sie als „vage“ und „veraltet“ bezeichnen: | |
geschenkt. Klingt gemein, klingt entschlossen – machen wir. | |
Monatelang hat sich die Ampelkoalition von rechten | |
Stimmungsmacher*innen in der Migrationsfrage treiben lassen: hin zu | |
viel mehr Restriktion und weit weg von den vielen progressiven Ideen, die | |
sie in ihrem Koalitionsvertrag mal versprochen hatte. Den Familiennachzug | |
für subsidiär Geschützte zum Beispiel haben Bund und Länder bei der MPK | |
einfach begraben. | |
Jetzt wäre die Gelegenheit gewesen, endlich nicht mehr eine immer weiter | |
eskalierende Asyldebatte zu bedienen, sondern stattdessen eigene Themen auf | |
die Agenda zu setzen. Nichts ist Rechtsextremen so zuwider wie eine plurale | |
Einwanderungsgesellschaft, die ihre Probleme selbstbewusst ohne sie löst. | |
## Nur Scheinlösungen | |
Und doch fällt den demokratischen Parteien nichts anderes ein, als weiter | |
populistische Scheinlösungen anzupreisen. Viel deutlicher kann man vielen | |
derer, die gerade in Scharen gegen rechts auf die Straße gehen, gar nicht | |
die kalte Schulter zeigen. Seit Wochen demonstrieren landauf, landab die | |
Menschen in Deutschland gegen die AfD und den Rechtsruck. | |
Seien es Hunderttausende in Großstädten wie München oder Berlin oder | |
Hunderte in kleinen Örtchen wie Puderbach oder Schleiz. | |
Politiker*innen der demokratischen Parteien zeigen sich begeistert, | |
beklatschen die Zivilcourage der Bürger*innen, laufen sogar fleißig mit. | |
Dass aus diesen Demonstrationen aber auch eine Forderung an sie selbst | |
erwächst, wollen viele offenbar nicht hören. | |
Weil in der aktuellen Debatte Differenzierung oft zu kurz kommt, sei | |
gesagt: Natürlich sind Abschiebungen abgelehnter Asylsuchender nicht das | |
Gleiche wie die rechtsextreme Fantasie, deutsche Staatsbürger*innen mit | |
Migrationshintergrund zu deportieren. Die Ampel ist nicht schlimmer oder | |
auch nur genauso schlimm wie die AfD. Doch menschenverachtende Forderungen | |
bekämpft man nicht mit menschenverachtender Politik. | |
Wenn die Menschenwürde von rechts infrage gestellt wird, ist es Aufgabe | |
aller demokratischen Parteien, sie erst recht abzusichern. Und nicht, an | |
Geflüchteten zu testen, wie weit man daran herumsäbeln kann, bevor das | |
Bundesverfassungsgericht bremst. | |
1 Feb 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Demos-gegen-rechts-am-Wochenende/!5988363 | |
[2] /AfD-Kandidat-in-Thueringen-verhindert/!5985598 | |
[3] /SPD-Vorsitzender-zu-Laender-Asylpolitik/!5989509 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
## TAGS | |
Migration | |
Geflüchtete | |
Abschiebung | |
Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
Schwerpunkt Flucht | |
GNS | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Flucht | |
Schwerpunkt Demos gegen rechts | |
Erinnerungskultur | |
Abschiebehaft | |
Asyl | |
Schwerpunkt Flucht | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Leistungen für Geflüchtete: Alle streiten über die Bezahlkarte | |
FDP, SPD und auch die Union fordern Gesetzesänderungen, um die Geldkarte | |
für Geflüchtete zu ermöglichen. Aus Sicht der Grünen ist das nicht nötig. | |
Politologe über Migrationspolitik: „Das hilft der AfD“ | |
Migration vor allem als Problem zu diskutieren, legitimiere die AfD, sagt | |
der Politologe Werner Krause. Wähler*innen bekomme man so nicht zurück. | |
Bremer Demo gegen Rechts: Support your local Antifa | |
In Bremen ruft ein neues Bündnis am Sonntag zu einer Demo gegen Rechts auf. | |
Mit dabei: eine Antifa-Gruppe. Auf die haben es einige Medien abgesehen. | |
Fachleute über Erinnerungskultur: „Wir müssen Erinnern global denken“ | |
Auf den Demos gegen rechts waren wenige Migranten. Martin Link vom | |
Flüchtlingsrat S-H und Heino Schomaker von der LAG Gedenkstätten über | |
mögliche Gründe. | |
Brand in Abschiebehaft Glückstadt: Abschieben um jeden Preis | |
Um sich das Leben zu nehmen, zündet M. seine Zelle im Abschiebeknast an. | |
Der Gefängnisleiter leugnet den Suizidversuch. | |
Neues EU-Asylrecht: Schnell einsperren, dann abschieben | |
Schnellverfahren an den Grenzen, internierte Kinder, direkte Abschiebungen: | |
Was sieht die Asyleinigung der EU vor? | |
Umfrage über Lage in Kommunen: Kaum Geflüchtete in Turnhallen | |
Die Unterbringung Schutzsuchender ist für die Mehrheit „machbar“. Das zeigt | |
eine bundesweite Umfrage unter 600 Kommunen. |