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# taz.de -- Abschiebehaft in Schleswig-Holstein: Allein hinterm Stacheldraht
> Seit Jahresbeginn ist die Abschiebehaft Glückstadt ohne Sozialberatung:
> Die Diakonie findet einfach niemanden, der sich der Belastung aussetzen
> will.
Bild: Hier kommen seit Jahresbeginn keine Sozialberater mehr rein: Einfahrtstor…
Rendsburg taz | Psychologische Gespräche, Hilfe bei der Organisation der
ersten Tage nach der Rückkehr, Kontakte zu Rechtsanwält:innen – die
Aufgaben der Sozialberatung für Menschen in Abschiebehaft sind vielfältig
und können für die Betroffenen Weichen stellen. Doch die Frauen und Männer,
die zurzeit hinter den hohen Mauern der [1][Abschiebehaftanstalt in
Glückstadt] festgehalten werden, erhalten keine Beratung. Der bisherige
Träger, die Diakonie Rantzau-Münsterdorf, hat den Vertrag mit dem Land
Schleswig-Holstein gekündigt: Ihr fehlte das Personal, das sich auf die
schwierige Aufgabe einlassen wollte.
Für Thorsten Sielk, Geschäftsführer des regionalen Diakonischen Werks mit
Hauptsitz in Elmshorn, war es eine schwere Entscheidung. „Wir hatten lange
überlegt, ob wir uns bei einer Einrichtung, deren Existenz wir ablehnen,
überhaupt einbringen“, sagt er der taz. Doch es überwog der Wunsch, „die
Menschen in der Einrichtung auf dem Weg, den wir nicht verhindern können,
zu begleiten und ihnen so gut wie möglich zu helfen“.
[2][Im August 2021 ging die Abschiebehaft, die von Schleswig-Holstein,
Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern belegt wird, in Betrieb], seither bot
die Diakonie dort Beratungen an. Zum Jahresende kündigte sie den Vertrag:
„Wir konnten die Aufgabe nicht auf dem Niveau weiterführen, wie es nötig
wäre.“ Die Fluktuation sei groß gewesen: „Unsere Fachkräfte fanden die
Arbeit spannend, wichtig und sinnvoll – aber eben auch sehr belastend.“
[3][Denn die Menschen in der Abschiebehaft stehen unter großem Stress], es
bleibt wenig Zeit, um mit ihnen zu arbeiten, hinzu kommt das Umfeld:
„Stacheldraht, Mauern, grelle Beleuchtung, das ist ein Gefängnisgefühl“,
sagt Sielk. Allerdings herrsche noch größerer Druck als im Knast: „Im
Gefängnis gibt es einige, die wissen, dass sie Mist gebaut haben, und sich
damit auseinandersetzen wollen. Hier geht es um Menschen, die keine
Verbrechen begangen haben, und die nicht wissen, wie ihre Zukunft
aussieht.“
## „Abschiebehaft ist für die Insassen eine Katastrophe“
Auch wenn sie in Einzelfall helfen könnten, sei die Arbeit für die
Sozialberater:innen nicht immer befriedigend, sagt Sielk.
Schließlich sei es nicht mehr möglich gewesen, freie Stellen adäquat zu
besetzen – auch wegen Glückstadts Lage: „Für Beschäftigte aus Kiel oder
Hamburg sind das weite Anfahrtswege.“
Die fehlende Beratung macht den Ehrenamtlichen der Besuchsgruppe
Glückstadt, die sich um die Inhaftierten kümmern, Sorgen: „Abschiebehaft
ist für die Insassen eine Katastrophe. Das Ende ihrer Träume, der
behördlichen Willkür ausgesetzt und meist eine existenziell bedrohliche
Situation“, sagt Dirk Rogge, Mitglied der Besuchsgruppe. „Nach dem Ausstieg
der Diakonie nimmt sich niemand außer uns den Nöten und Wünschen der
Gefangenen an. Wir fürchten eine noch höhere Zahl an Suizidversuchen als
bisher schon.“
Zuständig für die Abschiebehaft ist das Justizministerium. Deren Sprecher
bestätigt, dass die Diakonie den Vertrag gekündigt hat. Betroffen seien vor
allem Beratungsgespräche und Gruppensitzungen innerhalb der Einrichtung,
die das Land jenseits des gesetzlichen Anspruchs auf Einzelberatungen
finanziere. Generell gebe es Hilfe und Gespräche, einerseits durch die
Mitarbeiter:innen, die unter anderem Freizeitangebote machen. Für die
medizinische und psychologische Versorgung seien die Ärzt:innen der
Notarztbörse im Haus, zudem würden die beiden christlichen Kirchen sowie
die türkische Gemeinde die Seelsorge sicherstellen.
Die Besuchsgruppe berichtet dagegen, dass es zurzeit keine evangelische
Seelsorge gibt. Auch die medizinische Behandlung sei, gerade bei
psychologischen Problemen, nicht optimal: „Gefangene berichten, dass sie
meist mit Tabletten abgespeist oder nicht ernst genommen werden“, sagt ein
Mitglied der Gruppe. Und Sielk weist darauf hin, dass die fachliche
Beratung schwer durch Seelsorge zu ersetzen sein.
Das Abschiebungshaftvollzugsgesetz des Landes sieht die Sozialberatung
ausdrücklich vor: „Die Einrichtung gewährleistet den Zugang zu einer
behördenunabhängigen Beratung durch eine einschlägig tätige Hilfs- und
Unterstützungsorganisation“, heißt es dort. Das Ministerium sucht bereits
seit Oktober nach einem neuen Träger – bisher ohne Erfolg, mangels
Angeboten freier Träger, teilt der Sprecher mit. Immerhin: „Derzeit wird
mit zwei weiteren Trägern der freien Wohlfahrtspflege über eine
Zwischenlösung verhandelt.“
Aus Sicht von Hamburgasyl, der Arbeitsgemeinschaft kirchlicher
Flüchtlingsarbeit in Hamburg, sei das Wichtigste, „Strukturen zu stärken,
die den inhaftierten Menschen rechtlich zur Seite stehen“. Denn in vielen
Fällen würden Personen rechtswidrig in die Abschiebehaft gebracht. Die hohe
Fehlerquote rechtlicher Entscheidungen zeige, dass es nötig ist, den
betroffenen Menschen eine Lobby zu geben und sie zu unterstützen, heißt es
auf der Homepage der Gruppe.
Die Sozialberatung sei nicht für rechtliche Fragen zuständig, betont zwar
Thorsten Sielk. Aber in den Gesprächen könnten Kontakte zu Anwält:innen
vermittelt werden. „Bei einer Überprüfung hat nicht jedes Urteil
standgehalten“, sagt Sielk. „Es sind einige Leute aus der Anstalt entlassen
worden, zumindest wurde ihre Haft ausgesetzt.“ Er wünscht sich daher, dass
sich bald wieder ein Träger für die Sozialberatung findet.
9 Jan 2024
## LINKS
[1] /Abschiebehaft-in-Glueckstadt/!5868059
[2] /Neue-Abschiebehaftanstalt-der-Nordlaender/!5790701
[3] /Abschiebungen-in-Schleswig-Holstein/!5937467
## AUTOREN
Esther Geißlinger
## TAGS
Abschiebehaft
Abschiebung
Sozialarbeit
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Abschiebung
Schwerpunkt Rassismus
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