| # taz.de -- Abschiebehaft in Glückstadt: Wer haftet für die Haft? | |
| > Zuwanderung und Integration gehört in Schleswig-Holstein nun zum | |
| > Sozialministerium. Nur mit Abschiebehaft will Ministerin Touré nichts zu | |
| > tun haben. | |
| Bild: Im Knast: Abschiebehaft in Glücksstadt | |
| Rendsburg taz | Aminata Touré (Grüne) ist normalerweise alles andere als | |
| zurückhaltend: Sogar über ihr aktuelles Make-up berichtete [1][Deutschlands | |
| erste Schwarze Ministerin] jüngst per Instagram. Auffallend ruhig ist das | |
| von ihr geleitete Sozialministerium dagegen, wenn es um die Abschiebehaft | |
| in Schleswig-Holstein geht. | |
| Zwar bilden die Themen Asyl, Flucht, Zuwanderung und Integration nun einen | |
| Schwerpunkt des Sozialministeriums, die Haftanstalt aber soll zum September | |
| an das Justizministerium angegliedert werden. Offizielle Statements dazu | |
| gibt es von den beteiligten Häusern nicht. Die Trennung könnte durchaus | |
| Vorteile haben, meint der Flüchtlingsrat – wenn das so gewollt ist. | |
| Meterhohe Mauern, Stacheldraht, Innenhöfe, die nur durch vergitterte Gänge | |
| zu betreten sind: In der Abschiebehaftanstalt in Glückstadt, die in einer | |
| ehemaligen Kaserne untergebracht ist, sitzen Menschen, die [2][keine | |
| Verbrechen begangen haben] – denen die Behörden aber zutrauen, | |
| unterzutauchen statt sich abschieben zu lassen. Die Einrichtung mit rund 60 | |
| Plätzen, die auch Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern belegen können, wurde | |
| [3][2021 auf Beschluss der Jamaika-Regierung eröffnet]. | |
| Für die Grünen gehörte das zu den schwierigsten Entscheidungen während der | |
| Koalition mit CDU und FDP. Drei Jahre zuvor hatten sie mit SPD und SSW die | |
| alte Abschiebehaft geschlossen. | |
| ## Niemand wollte verantwortlich sein | |
| Zuständig für die neue Haftanstalt ist das Landesamt für Zuwanderung und | |
| Integration, das bislang dem Innenministerium unter der Sabine | |
| Sütterlin-Waack (CDU) unterstellt war. Nun hat Touré das Landesamt unter | |
| das Dach des Sozialministeriums geholt – bis auf die Abschiebehaft. Die | |
| Ministerien und das Landesamt bestätigen auf Anfrage den Wechsel der | |
| Zuständigkeit, wollen sich aber darüber hinaus nicht äußern. | |
| Das spricht dafür, dass die Beteiligten die Lösung für nicht besonders | |
| glücklich halten. Offenbar, so klingt es in Gesprächen durch, lag bei den | |
| Koalitionsverhandlungen zwischen CDU und Grünen die Verantwortung für die | |
| Abschiebehaft wie die sprichwörtliche heiße Kartoffel auf dem | |
| Verhandlungstisch: Niemand wollte sie haben. Schließlich soll die CDU | |
| zugegriffen haben. | |
| Kritik kommt von der Opposition: „Wenn das Innenministerium weiter | |
| zuständig wäre, hätte ich das ja noch verstehen können“, sagt | |
| SPD-Sozialpolitikerin Birte Pauls. „Aber das Justizministerium?“ Das passe | |
| nicht zu den Versprechen der Regierung, es handele sich eben nicht um eine | |
| Haftanstalt im üblichen Sinn. „Wir haben immer kritisiert, dass man | |
| Menschen einsperrt, die nichts verbrochen haben“, sagt Pauls. | |
| Im – bisher nicht eingetretenen – Extremfall ist sogar denkbar, Frauen und | |
| Kinder hinter die Glückstädter Gitter zu bringen. „Und für diese Familien | |
| will die Sozial- und Familienministerin auch nicht mehr zuständig sein?“, | |
| fragt Pauls. Sie wirft Touré vor, sich „ein Handtaschenministerium zu | |
| bauen, statt mit schwerem Gepäck zu arbeiten“. | |
| ## Verständnis für Touré vom Flüchtlingsrat | |
| Doch es gibt auch Verständnis dafür, dass die Neumünsteranerin Touré, deren | |
| Eltern vor ihrer Geburt aus Mali geflohen waren, keine Verantwortung für | |
| die Abschiebehaft übernehmen will. „Wir können das gut nachvollziehen“, | |
| sagt Martin Link vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein, der die Haft als | |
| „folgenschweres finsteres Erbe aus der Jamaika-Koalition“ generell ablehnt. | |
| Sachlich müsse die Trennung nichts Schlechtes bedeuten: „Es hat den | |
| Abschiebungshäftlingen in den vergangenen Jahren nicht unbedingt gutgetan, | |
| dass die Fachaufsicht für den Umgang mit ihnen im selben Ministerium | |
| angesiedelt war wie die Aufnahme von Schutzsuchenden und die Integration | |
| von Einwander*innen.“ | |
| Martin Link verweist darauf, dass zahlreiche Haftbeschlüsse rechtswidrig | |
| seien: Wer keine Rechtsberatung oder Unterstützung habe, unterliege oft den | |
| teilweise „hemdsärmeligen Beschlüssen“ der Amtsgerichte. Wenn nun das | |
| Justizministerium auch die Abschiebehaft verantwortet, „bleibt abzuwarten, | |
| ob das der Gerechtigkeit Früchte bringt“. | |
| Auch Torsten Döhring, Stellvertreter von Stefan Schmidt, dem | |
| Zuwanderungsbeauftragten des Landes, findet die neue Zuständigkeit nicht | |
| bedenklich: „Schließlich ist es kein freies Politikfeld, sondern die | |
| Ausländerbehörden handeln nach Recht und Gesetz.“ Da die Bundesebene | |
| zuständig sei, könne keine Landesministerin die Regeln für den Aufenthalt | |
| ändern. „Aber sie kann Erlasse herausgeben, die den Rahmen hinsichtlich der | |
| Abschiebungshaft vorgeben“, betont Döhring. „Das wird sie aber auch könne… | |
| wenn die Justizministerin für die Abschiebungshaft zuständig ist.“ | |
| Stefan Schmidt selbst sagt es kurz und knapp: „Der Zuständigkeitswechsel | |
| hat keine aufenthaltsrechtliche Relevanz. Insofern sehe ich keinen | |
| Unterschied, welches Ministerium zuständig ist, sondern fordere, dass es | |
| keine Abschiebungshafteinrichtung gibt.“ | |
| 4 Aug 2022 | |
| ## LINKS | |
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| ## AUTOREN | |
| Esther Geißlinger | |
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