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# taz.de -- Popkultur aus Südkorea: Die koreanische Welle
> Koreanische Filme, Bands und Beautytrends begeistern weltweit. Doch der
> Aufstieg koreanischer Popkultur hat auch Schattenseiten.
Bild: Eine der erfolgreichsten K-Pop-Bands: Seventeen
Warum willst du weg?“, fragen ihre Klassenkameraden. „Weil
Koreaner:innen nie den Nobelpreis gewinnen“, antwortet die
Protagonistin Nora im Film [1][„Past Lives“ von 2023.] Nur ein Jahr später
wird die Geschichte neu geschrieben: Mit [2][Han Kang] gewinnt das erste
Mal eine Person aus Südkorea den Literaturnobelpreis.
Es ist nicht nur ein Triumph für südkoreanische Literatur, sondern auch ein
Symbol für die wachsende kulturelle Bedeutung Südkoreas auf der Weltbühne
in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Südkorea ist aus der globalen
Popkultur heute nicht mehr wegzudenken. Was einst als lokales Phänomen
begann, hat sich dank Streaming-Plattformen und sozialer Medien zu einem
globalen Hype entwickelt.
Serien wie „Squid Game“, Filme wie „Parasite“ und Bands wie BTS haben d…
Land international bekannt gemacht. Dabei ist die wachsende Begeisterung
für koreanische Kultur nicht nur auf Musik und Serien beschränkt – auch die
Sprache, Beautytrends und die Küche des Landes haben eine globale
Anhängerschaft gefunden.
Dieser kulturelle Aufstieg Südkoreas hat einen Namen: Hallyu, die
„koreanische Welle“. Nach der [3][Asienkrise von 1997] befand sich Südkorea
in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage. Die damalige Regierung erkannte
das Potenzial der Kulturindustrie als wirtschaftlichen Motor und Rettung
aus der Krise.
## Startschuss in den 1990ern
Von da an wurde viel Geld in den Export und die Globalisierung koreanischer
Kultur investiert mit dem Ziel, koreanische Filme, Serien, Musik und andere
kulturelle Produkte auf der Weltbühne zu etablieren und das Image Südkoreas
im Ausland grundlegend zu wandeln.
Startschuss der ersten koreanischen Welle war die Serie „What is Love“
1997, die zum ersten Mal nicht nur im koreanischen Fernsehen, sondern auch
in China ausgestrahlt und zu einem großen Erfolg wurde. Lange dauert es
nicht und die Welle schwappte auch in benachbarte Länder wie Japan, Taiwan,
Vietnam und Thailand. Nicht nur koreanische Serien, auch die ersten
K-Pop-Bands fanden hier großen Anklang.
Bis K-Pop zu einem weltweiten Phänomen wurde, vergingen einige Jahre. 2012
galoppierte dann Psy mit seinem viralen Hit „Gangnam Style“ über die
globale Bühne. Der schrille Ohrwurm und die dazu passende, einprägsame
Choreografie waren plötzlich überall zu sehen – in TV-Shows, bei Flashmobs
und in unzähligen Online-Parodien. Als erstes Video überhaupt knackte
„Gangnam Style“ die Marke von einer Milliarde Youtube-Aufrufen und
katapultierte K-Pop damit ins Rampenlicht.
Den tatsächlichen Durchbruch schaffte die koreanische Gruppe BTS, die 2013
ihr Debüt feierte. Ihnen gelang etwas, was für koreanische Künstler zuvor
unerreichbar schien: Sie platzierten mehrere Alben auf Platz 1 der US
Billboard 200 und durchbrachen damit die westliche Musikszene.
## K-Pop begeistert die Massen
Die 2010er Jahre waren das Jahrzehnt, in dem die „Hallyu“-Welle, angeführt
vom K-Pop, die Welt eroberte. Bands wie BTS, EXO und Blackpink dominierten
nicht nur die internationalen Charts, sondern standen auch auf den größten
Bühnen der Welt und versammelten eine globale Fangemeinde hinter sich.
Heute gibt es weltweit [4][über 200 Millionen Hallyu-Fans,] und die Zahlen
wachsen stetig.
Mein Einstieg in die koreanische Popkultur begann nicht etwa mit dem
weltweiten Phänomen „Gangnam Style“ von Psy oder der Megaband BTS, sondern
auf ganz andere Weise – über Serien, genauer gesagt K-Dramen. Zu Beginn
der Coronapandemie hatte ich das Gefühl, wirklich alles auf Netflix gesehen
zu haben. „O.C.“, „California“ und „Gilmore Girls“ zum zigsten Mal
durchzubingen, war auch keine Option mehr.
Als mir dann eine koreanische Serie empfohlen wurde, war ich zunächst
skeptisch. Doch meine Neugier siegte, und so klickte ich auf Play – und war
augenblicklich gefesselt. Die Handlungen sind oft vertraut: Es geht um
Erfolge wie vom Tellerwäscher zum Millionär oder unerwartete Liebe zwischen
zwei Welten (zum Beispiel reicher Erbe und einfache Arbeiterin). All dies
wird in einer hochwertig produzierten Form präsentiert, mit überattraktiven
Schauspieler:innen und in der Regel in einer „bingeable“ Länge von 16
Episoden.
Durch diese Serien entdeckte ich nicht nur die koreanische Kultur, sondern
entwickelte auch ein Interesse für die Sprache und Musik. In diesem Jahr
kam dann eine besondere Gelegenheit: Ich hatte mir ein Ticket für das
Lollapalooza Festival in Berlin gekauft. Dort trat die K-Pop-Band Seventeen
auf. Die 13-köpfige Band ist schon fast ein Jahrzehnt im Geschäft und zählt
zu den etablierten Gruppen im K-Pop, ist bisher aber noch nie in
Deutschland aufgetreten. Der Gedanke, dass sie dort ihre Premiere feiern
würden, löste bei mir Vorfreude aus.
## Banner und T-Shirts von Seventeen
Die Begeisterung der Fans war unübersehbar: Die Anhänger*innen – die
sogenannten Carats – campten bereits im Morgengrauen und waren mit
typischen K-Pop-Fanartikeln wie den ikonischen Lightsticks ausgestattet.
Überall liefen Fans in selbstgemachten T-Shirts und mit Bannern herum, die
Seventeen gewidmet waren. Der Auftritt selbst war ein klassisches
K-Pop-Spektakel – energiegeladen und perfekt synchronisierte Choreografien.
Die gesamte Performance unterstrich einmal mehr, warum K-Pop-Stars als
Allround-Performer gelten.
Doch hinter dem Glanz und der Perfektion des Auftritts verbirgt sich eine
harte Realität, die nicht immer so strahlend ist. Der Balanceakt zwischen
Erfolg und enormem Druck wurde einige Monate später, auch durch [5][einen
Instagram-Post] des Seventeen-Bandmitglieds Seungkwan, beleuchtet.
Der 26-Jährige sprach Ende Oktober offen über die oft toxische
Unternehmenskultur, den [6][mentalen Druck und die gesundheitlichen
Auswirkungen der Branche]: „Ich wollte nur mein Bestes geben und
Verantwortung für meine Arbeit übernehmen, meinen Fans, die mich lieben,
etwas zurückgeben und ihnen positive Energie auf verschiedenste Weise
zukommen lassen. Tatsächlich ist die Belastung für Körper und Geist, die
ich empfinde, oft so groß, dass ich es kaum in Worte fassen kann.“
Während die Welt auf die glamouröse Seite des K-Pops schaut, so sieht man
hinter den Kulissen die Schattenseite der Industrie, die die tief
verwurzelten Probleme Südkoreas widerspiegelt. Wie viele andere K-Pop-Idole
durchliefen auch Seventeen das strikte und intensive Training, das typisch
für die Industrie ist. In Interviews erzählen K-Pop-Stars [7][von ihren
Erlebnissen].
Trainees verbringen oft 12 bis 16 Stunden täglich in langen
Trainingseinheiten. Gesangs- und Tanzunterricht wechseln sich mit
Sprachtrainings in Englisch und Japanisch ab, um die Jugendlichen auf den
internationalen Markt vorzubereiten. Bereits im Alter von 12 oder 13 Jahren
unterzeichnen die Trainees restriktive Verträge mit ihren Agenturen.
## Keine Beziehungen, keine Handys
Diese Verträge beinhalten nicht nur Vorgaben für den künstlerischen
Werdegang, sondern auch Kontrollen über ihr persönliches Leben.
[8][Romantische Beziehungen sind verboten], ebenso der Zugang zu Handys.
Auch das äußerliche Erscheinungsbild wird genau überwacht, mit strengen
Diäten und Schönheitsoperationen. Es ist verstörend und besorgniserregend,
dass diese talentierten Jugendlichen in einer Zeit, in der sie sich
körperlich und psychisch entwickeln, durch exzessives Training und
unrealistische Schönheitsideale stark belastet werden.
Der extreme Karrieredruck, dem K-Pop-Idole ausgesetzt sind, spiegelt den
umfassenden Leistungsdruck wider, der die südkoreanische Gesellschaft
durchdringt. Das Streben nach Erfolg treibt einen unerbittlichen
Konkurrenzkampf und eine Kultur der Perfektion an. Dieser immense Druck hat
in einigen Fällen zu Suiziden geführt – sowohl unter Idolen als auch in der
breiten Gesellschaft.
Der Begriff „Hell Joseon“ beschreibt die Wahrnehmung vieler, dass die
sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Joseon-Dynastie (1392 bis
1910) heutigen Problemen ähneln, in denen eine kleine Elite herrscht und
der Großteil der Bevölkerung in erheblicher Armut lebt.
Junge Menschen fühlen sich in einer gnadenlosen Wirtschaft gefangen, in der
nur wenige Zugang zu renommierten Universitäten und gut bezahlten Jobs
haben. Die „koreanische Welle“ hat zweifellos beeindruckende Erfolge und
kulturelle Bereicherung für die Welt gebracht hat, doch sie hat auch einen
hohen Preis.
## Kein reiner Erfolg
Als K-Pop-Fan fällt es mir schwer, das glänzende Bild, das uns vermittelt
wird, völlig unkritisch zu feiern. Die kraftvolle Performance auf der
Bühne, die perfekten Choreografien und die makellosen Gesichter verbergen
oft ein System, das von Leistungsdruck und Kontrolle geprägt ist und junge
Talente an ihre Grenzen bringt.
Für mich bleibt die Hoffnung, dass die Begeisterung für die koreanische
Kultur auch als Chance gesehen wird, um über Missstände und nötige
Veränderungen zu sprechen. Fortschritt zeigt sich nicht nur im globalen
Erfolg, sondern auch darin, wie eine Gesellschaft auf das Wohl ihrer
Menschen achtet – und genau das darf man bei aller Faszination für K-Pop
nicht vergessen.
4 Nov 2024
## LINKS
[1] /Spielfilm-Past-Lives-ueber-Migration/!5952082
[2] /Roman-von-Nobelpreistraegerin-Han-Kang/!5450978
[3] /Taumelnde-Tiger/!1101773/
[4] https://www.korea.net/NewsFocus/Society/view?articleId=248349
[5] https://www.instagram.com/pledis_boos/?hl=de
[6] /Die-Schattenseiten-des-K-Pop/!5692762
[7] https://www.nytimes.com/2024/10/15/world/asia/newjeans-hanni-bullying-testi…
[8] https://www.deutschlandfunk.de/boy-und-girlbands-in-suedkorea-die-dunkle-se…
## AUTOREN
Cassandra Schwarz
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